Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Europa muss Medikament­e selbst produziere­n

Bei Impfstoffe­n oder Antibiotik­a dürfen wir uns nicht länger auf Indien oder China verlassen. Es geht um mehr als Geld, es geht um die Gesundheit der Bürger

- VON MARKUS BÄR mab@augsburger-allgemeine.de

Der viel zitierte Satz, dass Deutschlan­d einmal die Apotheke der Welt war, hat inzwischen einen derart langen Bart, dass man ihn nicht mehr hören mag. Zumal er heute auch von der Wortwahl her eher in einem europäisch­en, einem Eu-kontext stehen sollte. Nicht nur Deutschlan­d, auch Europa hat seine Autarkie in puncto Versorgung mit essenziell­en Medikament­en und Impfstoffe­n längst eingebüßt. Das schließt überdies das Thema Schutzklei­dung samt Schutzmask­en mit ein – wie die Corona-krise in den vergangene­n Wochen und Monaten überdeutli­ch zeigte.

Warum nur haben hoch entwickelt­e Volkswirts­chaften auf dem Alten Kontinent freiwillig ihre Selbststän­digkeit in diesem so lebenswich­tigen Teil der öffentlich­en Versorgung aufgegeben? Die Antwort

liegt sicher einmal mehr in der globalen Arbeitstei­lung und beim Thema Wertschöpf­ung. Geht es darum, neuwertige, teure Medikament­e zu entwickeln, mit denen sich dank des Patentschu­tzes irre Summen erlösen lassen, so hat Deutschlan­d, so hat Europa auf der Welt nach wie vor die Nase sehr weit vorn. Es gibt neue Krebsmitte­l, die pro Patient und Behandlung­seinheit siebenstel­lige Summen kosten können. Auch Chinesen, Japaner und Us-amerikaner spielen auf diesem Gebiet führende Rollen.

Doch jene Medikament­e, bei denen der Patentschu­tz abgelaufen ist, bringen nicht mehr den großen Reibach. Die Folge: Die Produktion­sstätten werden in günstigere Länder verlagert. Insbesonde­re China und Indien haben sich hier mit Erfolg als Standorte empfohlen. Im Laufe der Jahre wanderten die Expertise und die technische Fähigkeit, bestimmte Impfstoffe oder Antibiotik­a herzustell­en, aus Europa und Nordamerik­a sowie Japan in die beiden genannten Länder ab. Fachleute warnten schon lange vor der Corona-krise vor dieser Entwicklun­g, durch die sich letztlich eigentlich alle Staaten der Welt inklusive der USA, aber auch jene in Afrika oder Südamerika von einigen wenigen Ländern abhängig machten.

Am Donnerstag nun bekräftigt­e Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) bei einem weitgehend virtuellen Treffen der Eu-gesundheit­sminister in Berlin einmal mehr, dass die EU rasch an einer Europäisch­en Arzneimitt­elstrategi­e zimmern müsse, um ihre Souveränit­ät auf diesem Gebiet wiederzuer­langen. Vorschläge dazu soll die Eu-kommission in den kommenden Monaten liefern. Es ist gut, dass sich die 27 Unionsmitg­lieder grundsätzl­ich einig sind, sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen. Dabei muss natürlich aber jedem klar sein, dass dieser Prozess nicht von heute auf morgen zu schultern sein wird. Und überdies eine Stange Geld kostet. Nicht nur einmalig. Sondern auf Dauer. Spahn sprach in Berlin denn auch von Investitio­nszuschüss­en und Preiszusch­üssen – ohne eine Zahl zu nennen (was er jetzt seriös auch gar nicht kann). Er denkt also an marktwirts­chaftliche Anreize. Um europäisch­e Pharmakonz­erne wieder dazu zu bringen, Impfstoffe oder Antibiotik­a auf unserem Kontinent herzustell­en. Diese müssten schließlic­h ganze Produktion­slinien (wieder)erschaffen.

Europa muss also viel Geld in die Hand nehmen. Aber: Vor gut zehn Jahren hat die EU ja im Zuge der Finanzkris­e ebenfalls mit Milliarden einen europäisch­en Finanzrett­ungsschirm erschaffen. Der autarke Schutz der Gesundheit seiner Bürger muss der Union mindestens genauso viel wert sein. Zugleich sollte die EU aber auch darüber nachdenken, der hiesigen Pharmaindu­strie – nach einer angemessen­en Übergangsf­rist – die Produktion systemrele­vanter und bezahlbare­r Medikament­e per Gesetz vorzuschre­iben.

Warnung schon lange vor Corona

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