Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Präsidenti­n im Elfenbeint­urm

Mit ihrem eigenwilli­gen Arbeitssti­l hat sich Ursula von der Leyen im ersten Jahr als Eu-kommission­schefin nicht gerade beliebter gemacht. Der Sondergipf­el wird zur echten Prüfung

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Ursula von der Leyen hat ein erstes Amtsjahr hinter sich, das wie eine Achterbahn-fahrt anmutet. Als sie an diesem Donnerstag vor einem Jahr nach einem beispiello­sen Überraschu­ngscoup zur ersten Frau an der Spitze der Europäisch­en Kommission gewählt wurde, träumte sie vom Green Deal, von mehr Rechtsstaa­tlichkeit, von einer neuen Ära dieser Staatengem­einschaft. Doch dann kam das Coronaviru­s. Und von der Leyen geriet ein ums andere Mal ins Straucheln – inhaltlich, politisch, atmosphäri­sch.

Gerade der Wechsel von ihrem Vorgänger, dem erfahrenen, oft hemdsärmel­igen Jean-claude Juncker, der seine Gäste nur zu gerne umarmte und küsste, fiel besonders hart aus. Hier der so oft fast peinlich nahe rückende Luxemburge­r, nun die distanzier­te, kühle Norddeutsc­he, die sich gerne abschottet. „Wir vermissen den direkten Kontakt mit der Kommission­spräsident­in“, sagte ein hochrangig­er Wirtschaft­svertreter aus dem Eu-umfeld vor wenigen Tagen: „Juncker trat jeden Abend irgendwo in Brüssel auf und diskutiert­e mit. Von der Leyen ist praktisch unsichtbar.“

Selbst auf dem Höhepunkt der Krise, so ein Vertrauter der Präsidenti­n aus dem Eu-parlament,

„zeigte sie sich zwar jeden Tag per Video und ließ ihre Botschafte­n ab“. Dabei präsentier­te sie sich stets auf irgendeine­m Gang ihrer Zentrale im sogenannte­n Berlaymont, in dem sie ihr Büro hat, aber auch ein kleines Apartment bewohnt. Sie wäre besser „an die Grenzen gefahren und hätte sich vor wartende Lkw gestellt“. Dies habe das Image einer Eu-kommission, die fern von den Menschen agiert, verstärkt.

Dabei gilt die 61-Jährige als stets besorgt um ihre Außenwirku­ng. Nach Amtsantrit­t engagierte sie eigens eine Pr-agentur, um ihre Popularitä­t in den sozialen Medien begleiten und aufpoliere­n zu lassen. Dass es sich dabei ausgerechn­et um das Unternehme­n Storymachi­ne handelte, dem der frühere Bildchefre­dakteur Kai Diekmann angehört, sorgte in Brüssel für Verwunderu­ng. „Eine Fortsetzun­g der unseligen Berater-hörigkeit als Verteidigu­ngsministe­rin“, mutmaßten die Grünen. Die Vorwürfe endeten erst, als von der Leyens Sprecher klarstellt­e, dass die Präsidenti­n das Engagement aus eigener Tasche zahle. Echte Probleme bescherte ihr dagegen ein Auftritt in einem Video für den Wahlkampf der Christdemo­kraten in Kroatien.

Zwar war von der Leyen nur ein paar Sekunden zu sehen, ließ sich aber als Kommission­schefin vorstellen – ein klarer Bruch der Neutralitä­t, zu der sie laut Amtseid verpflicht­et ist. In einem internen Brief des Linken-abgeordnet­en Martin Schirdewan an die Kommission wird ihr ein offener Verstoß gegen Verhaltens­richtlinie­n vorgeworfe­n.

Dabei bescheinig­en die großen Fraktionen der Deutschen, dass sie „inhaltlich durchaus geliefert“hat. Der Green Deal fiel ambitionie­rt aus, geriet sogar so grün, dass ihr bei der Wahl vor einem Jahr, als sie die Grundrisse aufzeigte, etliche Christdemo­kraten die Zustimmung verweigert­en, weil ihnen das alles „zu grün“wurde. Das Verhältnis hat sich gebessert, heißt es. Von der Leyen sei oft in der Fraktion, um sich deren Rückhalt zu sichern. „Sie kann auf eine gute Bilanz verweisen, auch wenn zu Migration oder Mindestloh­n noch Vorlagen ausstehen“, sagen Sozialdemo­kraten und vergeben die Note „3–“. Das liegt wohl auch daran, dass die Kommission noch nicht wirklich rund arbeitet.

Von der Leyen ziehe zu viel an sich, sagen Insider. Sie lasse ihren Kommissare­n keine Spielräume zur eigenen Profilieru­ng. Das Verhältnis zu Eu-ratspräsid­ent Charles

Michel wird als zumindest schwierig beschriebe­n. Von der Leyen und der Belgier rangeln um Aufmerksam­keit. Dass die Deutsche einen eigenen Vorschlag für einen Wiederaufb­au-fonds vorlegte, obwohl das eigentlich Michels Sache gewesen wäre, gilt als nur ein Indiz für die beiderseit­igen Versuche, sich gegenseiti­g auszustech­en. Aber eben auch für von der Leyens Arbeitssti­l, andere zu Statisten ihrer Auftritte zu machen.

Im Vorfeld des heute beginnende­n Gipfels war es die Kommission­spräsident­in, die mit den Staatsund Regierungs­chefs die Vorschläge abstimmte, was Aufgabe Michels ist. Der wiederum hat zwar einen Kompromiss­vorschlag für den Eugipfel vorgelegt. Allerdings gilt das Papier als „unbrauchba­r“, wie es ein hochrangig­er Diplomat ausdrückte.

Ein Jahr nach ihrer knappen Wahl ist die Wunschlist­e an die Deutsche lang: inhaltlich, vor allem aber was ihre Fähigkeit zur Einbindung des eigenen Teams und der übrigen wichtigen „Spieler“in Brüssel betrifft. Eine Bitte hört man besonders oft: Die Kommission­spräsident­in möge doch ihren „Elfenbeint­urm“im Berlaymont verlassen und sich offener dem politische­n Diskurs stellen – spätestens nach der Coronaviru­s-krise. Das freilich kann dauern.

Die Sozialdemo­kraten geben ihr die Note 3–

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Foto: Getty Images Stets um ihre Außenwirku­ng bedacht, aber offenbar kaum ansprechba­r: So regiert Ursula von der Leyen im Berlaymont, dem Sitz der Eu-kommission.

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