Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Erholung zwischen Auto und Zelt
Schon vor Corona waren Deutschlands Campingplätze beliebt. Nun, wo vielen Erholungsbedürftigen Auslandsreisen zu riskant sind, explodiert die Branche regelrecht. Zu Besuch im Wohnwagen-paradies am Ammersee
Utting Mit Ausnahme der Piña Colada hat Bernd Pickl an alles gedacht. Der Bast der Sonnenschirme flattert im Wind. Das Wasser glänzt türkis. Reggae-rhythmen an der Strandbar, einem Pavillon ohne Cocktails, dafür mit bayerischem Weizen. Pickl, Campingplatzbetreiber, arbeitet nicht auf Bermuda, sondern in Utting am Ammersee. „Palme, lässig, tralala!“, sagt er und blickt auf die Badewiese vor ihm. Die Leute paddeln, rudern, segeln wieder. Sie knicken ihren Urlaubsroman, bis sich der Buchrücken spreizt. Wer hätte das in diesem Jahr noch für möglich gehalten? Denn 2020 ist weniger Piña Colada und mehr Desinfektionsspender. Der internationale Tourismus liegt quasi brach.
Der Ballermann ist jetzt wieder dicht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mahnt deutsche Urlauber zur Einhaltung der Corona-schutzmaßnahmen. Da besinnen sich viele Erholungsbedürftige auf eine bewährte, auf eine traditionelle Urlaubsart, aufs Campen. „Unser Campingplatz ist an den Wochenenden bis September ausgebucht“, sagt Pickl. Und auch unter der Woche gebe es nur noch vereinzelt Plätze.
Die Deutschen sind in Coronazeiten vorsichtig geworden. Sie urlauben vermehrt im eigenen Land und sie tun das in diesem Jahr vor allem mit Wohnwagen. Um 400 Prozent sei die Nachfrage nach deutschen Campingplätzen auf PINCAMP, dem Camping-portal des ADAC, in diesem Frühsommer gestiegen, berichtet dessen Geschäftsführer Uwe Frers. „Die Leute fahren mehr nach Deutschland und weniger nach Italien. Als die Plätze wieder geöffnet haben, ist der Markt explodiert.“Am 30. Mai war das in Bayern, dem letzten Bundesland, drei Wochen später als NRW und Niedersachsen. Seitdem ist Pickl wieder glücklich.
Der 54-Jährige führt über seinen Platz: 180 Parzellen für Dauercamper, 600 weitere Stellplätze, ein Biergarten für 1000 Menschen. Weitläufig und aus Virologensicht sicher unbedenklicher als manches allzu enge Hotel. Seit dieser Saison bietet er sogenannte Schlaffässer an, Holzzylinder, zu zweit knapp 70 Euro die Nacht. Bald kommt ein Beachvolleyballplatz dazu. Als der Uttinger den Betrieb vor drei Jahren übernahm, ließ er erst einmal die Sanitäranlagen renovieren. Die Waschbecken könnten auch in einem Vier-sterne-hotel stehen. Wegen der neuen Einzelkabinen durften die Duschräume hier früher aufmachen als anderswo.
Pickl ist ein energiegeladener Mann, hier ein „Pfiad’s eich!“, da ein „Habe d’ehre!“, ehemaliger Metzgermeister, Tattoos an beiden Armen, Goldkreuz um den Hals, die Haare zur Igelfrisur hochgegelt. Auf der Badewiese bückt er sich und greift nach einem verdreckten Fetzen Stoff. „Was ich jeden Tag Masken aufhebe, kannst du dir nicht vorstellen.“Kurz nach Öffnung der Campingplätze galt die Maskenpflicht noch auf dem gesamten Areal. Mittlerweile müssen sich die Urlauber nur noch in der Gastronomie und den Sanitäranlagen bedecken. Ansonsten herrschen die beHygienevorschriften: markierte Ein- und Ausgänge, Abstandsgebot, einige Tische im Biergarten sind mit rot-weißem Flatterband abgeklebt. „Wird so lala gehandhabt“, meint Pickl. „Je länger Corona dauert, desto böser werden die Leute. Die fühlen sich alle ein bisschen eingeengt. Die wollen jetzt mal wieder ausbrechen.“
Für Petra und Jürgen Fuchs aus Ulm heißt ausbrechen: den zehn
Jahre alten Wohnwagen sommerfertig machen, losfahren, Vorzelt aufbauen, Liegestuhl raus, Lehne nach hinten, Sonnenbrille auf, Campingurlaub. Das Ehepaar döst im Schatten vor seinem Camper. Die Sonne brennt. Campt es sich während Corona anders? „Eigentlich nicht“, sagt Petra Fuchs. „Das mit der Maske ist man ja vom Einkaufen gewöhnt“, ergänzt ihr Mann. Die beiwohnmobilgroße den müssen es wissen. Sie campen seit 25 Jahren: Cavallino, Istrien, Ostsee, die Klassiker. Heuer Ammersee, eigentlich schon im Mai. Aber da war noch zu. Auf die Woche in Utting wollten sie trotzdem nicht verzichten, auf das „Unkomplizierte beim Campen“, den Kontakt zu den Nachbarn, die Freiheit. „Hier ist alles picobello“, sagt Jürgen Fuchs.
Das muffige Image war einmal. Der deutsche Camper ist nicht mehr der Feinripp tragende Gartenzwergsammler mit Hang zum Bier vor vier. Er erkundet jetzt die Umgebung, will was geboten bekommen. Auf Pickls Platz stehen einzelne Wohnmobile im Wert von etwa einer Viertel Million Euro. „Die Branche hat sich professionalisiert“, sagt Pincamp-geschäftsführer Frers. In einer immer urbaneren, aber auch naturliebenden Gesellschaft sei Camping schon vor Corona „ein Metatrend“gewesen. Die Übernachtungszahlen steigen kontinuierlich, die Zulassungen von sogenannten Freizeitfahrzeugen ebenwährten so. Ist Pickl also wegen oder trotz Corona gut gebucht? „Ich kann es nicht sagen“, sagt Pickl. Doch dass mehr Deutsche als ohnehin da sind, bemerkt er schon. Holländer habe er „bisher noch keinen gesehen“.
Alles ein wenig anders eben. Auch ein wenig unsicherer. Pickls 100 Mitarbeiter sind zwar nicht mehr in Kurzarbeit und die Hilfsgelder in Höhe von 50 000 Euro vom Freistaat sind auch angekommen. Aber viel ist das nicht. Immerhin war der Platz elf Wochen lang zu. An Ostern wäre er ausgebucht gewesen. Pickl will sich trotzdem nicht beklagen. „Die Plätze könnten sich durch eine höhere Auslastung und eine verlängerte Saison wieder etwas zurückholen“, sagt Experte Frers. „An beliebten Spots gibt es jetzt eine Mindestaufenthaltsdauer.“Er selbst steigt in seinen Camper in der nächsten Woche. Zehn Tage in Waging am See, Landkreis Traunstein, geplant eigentlich nur als Endstation eines Roadtrips durch Frankreich und Spanien.
Beliebte Spots haben eine Mindestaufenthaltsdauer