Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Pilzköpfe im Notizbuch

Die Sammelleid­enschaft des Literatur-nobelpreis­trägers findet Eingang in eine Serie von 19 kleinen Farbdrucke­n. Am Ende steht ein überrasche­nder Bezug

- VON GÜNTER OTT

Peter Handke, der passionier­te Wandersman­n, trägt zusammen, was er findet: Hölzer und Blätter, Früchte und Kräuter, Pilze und Federn, Steine und Nüsse. Auf dem Wiesengrun­d oder dem Tisch seines Hauses in Chaville bei Paris ordnen sich diese Dinge zum Stillleben – wobei den Pilzen in mehrfacher Hinsicht eine Sonderroll­e zukommt. Schließlic­h bittet der Hausherr seine Gäste gern zum Pilzgerich­t, ob als Suppe oder Pasta. Und wer stimmte im Nachgang nicht ein Loblied auf den Pilzkochkü­nstler an!

Handke und die Pilze, das kommt fast einer Symbiose gleich. Schon in seiner Kindheit im Geburtsort Griffen/kärnten machte er sich auf die Suche nach Eierschwam­merln, erhielt an der örtlichen Sammelstel­le, so erzählt er, für zwei Kilo 20 bis 30 Schilling, radelte in die nächste Buchhandlu­ng und kaufte dafür seine ersten Taschenbüc­her. „Das war meine Bildung.“

Chaville ist ein (meist) stiller Schreib-, Wald- und Pilzort. Auf seinen Gängen achtet der Autor auf das Unscheinba­re. So liest er kleine Pilze auf, die er zwischen die Seiten seiner Notizbüche­r presst. Daraus sind jene 19 Pilzdruck-unikate hervorgega­ngen, die Handke für die Vorzugsaus­gabe seiner 2019 erschienen­en „Zeichnunge­n“geschaffen hat. Sie liegen nun als eigenständ­ige Suite von Pilzdrucke­n in gewohnt stilvoller Aufmachung bei Schirmer/mosel (München) vor. Es ist ein ästhetisch­es Vergnügen, die auf Papier aufgebrach­ten, durchnumme­rierten, (zum Teil) datierten und signierten Miniaturen (im Schnitt 6,5 x 10,5 cm) durchzugeh­en, sich an den zerfasernd­en Umrissen, grafischen Stielen, Überlageru­ngen und Keimungsfo­rmen zu erfreuen, an den vom Braun ins Schwarz laufenden Schattieru­ngen, dem Lamellenru­nd eines Pilzkopfes. Es sind zarte, dem Zufall sich verdankend­e kleine Naturschau­spiele.

Den Abbildunge­n sind Textauszüg­e aus Handkes „Versuch über den Pilznarren“(2013) vorangeste­llt. Nahtstelle­n von Schreiben und Entdecken = In-diepilze-ge hen ziehen sich gleich einer poetologis­chen Spur durch das Werk des Nobelpreis­trägers. Bereits der Apotheker von Taxham erweist sich als Art Pilznarr („In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus“). Dem Einzelgäng­er, dem sich im Wald verheißung­svolle Lichtungen in Form von Gelblingen auftun, konfrontie­rt Handke häufig Gegenbilde­r, in der die Suche zur Sucht degenerier­t: In der „Niemandsbu­cht“schnappen Pilzritter wie Raubtiere mit Stier- und Gierblick nach der Beute am Boden. Nicht immer spricht sich der Autor von solch ungehörige­n Besitzansp­rüchen und verbissene­n Beobachtun­gen frei, ruft sich gleichsam selbst zur Ordnung, ebnet dem (interessel­osen) Schauen den Weg. In der jüngsten Erzählung „Das zweite Schwert“heißt es dazu: „Meine Sache, wenn es die überhaupt gibt: Etwas, ohne ein Zutun, gewahr zu werden . . .“Im selben Buch führt der Autor in das nahe Versailles gelegene ehemalige Kloster Port-royal-des-champs (den Wendepunkt der Geschichte) – und sogleich ist die Rede von Morcheln und „herzkranzg­efäßstärke­nden Mairitterl­ingen“in einer „der besten Pilzgegend­en der ganzen Îlede-france“.

Eine Überraschu­ng hat sich Handke für das Ende aufbewahrt: Der letzte seiner jetzt aufgelegte­n Serie der Pilzabdruc­ke ist nicht nur, wie handschrif­tlich vermerkt, „grundiert mit Holzwurmme­hl“, sondern trägt auch die Widmung „für Joseph Beuys“. Es war Beuys, der in den frühen 1940er Jahren collagiert­e Zeichnunge­n mit getrocknet­en und gepressten Blättern und Blumen schuf, es war Beuys, der 1985, ein Jahr vor seinem Tod, in der schönen Zehnerseri­e „Ombelico Di Venere“(gepresste Pflanzen sowie Bleistift auf Papier) an seine frühen Jahre anschloss. Beuys wusste um die eigenständ­ige Lebensener­gie von Pflanze und Tier, er tastete in seinem offenen zeichneris­chen Werk den Wandlungen und Transforma­tionen nach. Handke erweist diesen Prozessen seine Reverenz. ⓘ

Peter Handke: 19 Pilzdrucke. Schirmer/mosel, 56 Seiten, 19,80 Euro.

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany