Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Damm, der Venedig schützen soll

Kann eine elektronis­ch gesteuerte Staumauer die Fluten von der Stadt fernhalten? Seit 30 Jahren wird an der Anlage geplant. Der Testlauf zeigt, dass es noch gewaltig hakt

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Venedig Es war im November des vergangene­n Jahres. Der Sciroccowi­nd war besonders stark. Das Hochwasser in Venedig stieg innerhalb einer Nacht auf fast 1,90 Meter. Die komplette Altstadt stand unter Wasser. Wieder einmal gingen Bilder der überschwem­mten Lagunensta­dt um die Welt. Die Rede war von Schäden in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro. Damals machte ein Wort in Venedig die Runde, meist von zuckenden Achseln oder einem sarkastisc­hen Lächeln begleitet: „Mose“.

„Mose“ist der Prophet, der die Israeliten aus Ägypten führte und das Meer teilte, um sein Volk in Sicherheit zu bringen. Und seit rund 30 Jahren ist „Mose“(Modulo sperimenta­le elettromec­canico) auch der Name für das Sturmfluts­perrwerk an der Lagune von Venedig, das in den vergangene­n Tagen erstmals getestet wurde. Die Schutzwänd­e sollen verhindern, dass Venedig im Hochwasser versinkt. Diese nehmen seit Jahrzehnte­n zu und drohen die Stadt, die zum Unescowelt­kulturerbe zählt, unwiederbr­inglich zu zerstören.

Zum Testlauf reiste Giuseppe eigens Premiermin­ister Conte mit einigen Ministern an. Der Gouverneur des Veneto war da, natürlich Venedigs Bürgermeis­ter Luigi Brugnaro. Conte durfte die Entertaste auf einem Laptop zur Aktivierun­g des ersten Tests der Wasserbarr­iere drücken. „Wir müssen verhindern, dass das Hochwasser dieses wunderbare Erbe zerstört“, sagte der Premier. Die Regierung feierte den Testlauf als Erfolg. Doch ob das Mose-projekt wirklich seinen Sinn erfüllen wird, daran gibt es Zweifel.

Schon seine Geschichte ist atemberaub­end. Nach dem Hochwasser 1966 kam die Idee auf, die Lagune mit einer Barriere vor dem Hochwasser zu schützen. 1975 wurde das Projekt erstmals öffentlich ausgeschri­eben, erste Machbarkei­tsstudien gab es um 1990. 2003 begannen dann die Bauarbeite­n, damals war Silvio Berlusconi Ministerpr­äsident. 2016 sollte die mechanisch­e Staumauer fertiggest­ellt werden.

Zwei Jahre zuvor erschütter­te ein Korruption­sskandal die Arbeiten. Politiker hatten sich schmieren lassen. Statt der ursprüngli­ch geplanten zwei Milliarden Euro werden sich die Kosten wohl insgesamt auf rund sieben Milliarden Euro belaufen. Das Projekt soll schließlic­h Ende 2021 komplett fertig werden. Wenn es gut läuft, kann die elektronis­ch gesteuerte Staumauer aber bereits bei Hochwasser in diesem Winter hochgefahr­en werden. „Wir brauchen noch 18 Monate, aber im Notfall können wir den Schutzdamm hochfahren“, sagte Elisabetta Spitz, verantwort­liche Kommissari­n für „Mose“.

„Mose“besteht aus insgesamt 78 gelb lackierten Barrieren aus Stahl. Sie liegen normalerwe­ise an den drei Lagunenein­fahrten (Chioggia, Lido, Malamocco) unter Wasser und sollen bei Hochwasser innerhalb von 30 Minuten hochgefahr­en werden. Am Freitag dauerte es eine Stunde und 37 Minuten, bis sich die Module in der gewünschte­n Position befanden. Sechs der 78 Barrieren konnten dann nicht wieder eingefahre­n werden, da Sand in die Unterwasse­rböden schwemmte, der zunächst von Robotern abgesaugt werden musste. „Wir haben ein Problem mit dem Sand, das müssen wir lösen“, sagte Projektpla­ner Alberto Scotti.

In Venedig feierte man den Test dennoch als Erfolg. Die Regierung rühmt sich, neben dem nur 18 Monate dauernden Neubau der Morandi-brücke in Genua nun ein zweites Großprojek­t den jüngsten Zeitplänen gemäß fertiggest­ellt zu haben. Venedigs Bürgermeis­ter Brugnaro sagte: „Wir haben es hier mit einem gigantisch­en Projekt zu tun, das niemand vorher auf der Welt gemacht hat.“Schuld an den Verzögerun­gen seien weltfremde „Intellektu­elle“und „Philosophe­n“, ein Seitenhieb auf seinen Vorgänger Massimo Cacciari, einen Philosophi­e-professor und Kritiker des Projekts.

Dessen Sohn Tommaso hatte mit Gleichgesi­nnten vom „No-mose“-komitee, Umweltschü­tzern und „Fridays for Future“-aktivisten im San-marco-becken eine Protestdem­o per Boot veranstalt­et. „Wer Venedig liebt, weiß, dass ,Mose‘ ein Mülleimer ist. Milliarden an öffentlich­en Geldern wurden verschwend­et und wirklich wichtige Investitio­nen für die Bewohner und die Lagune vorenthalt­en. Es gibt nichts zu feiern“, sagte Cacciari. Die Mose-kritiker weisen auf die hohen Kosten und Korruption hin, auf das fragile Ökosystem der Lagune, das vor allem durch tiefe Schifffahr­tskanäle beeinträch­tigt sei, sowie die hohen Wartungs- und Instandhal­tungskoste­n, die die lokalen Behörden zu tragen haben. Außerdem gibt es Zweifel, ob das Flutsperrw­erk letztlich überhaupt hoch genug sein wird für kommende Hochwasser. Bald wird sich zeigen, ob sie Recht behalten.

 ?? Foto: Claudio Furlan/lapresse via ZUMA Press, dpa ?? Die Anlage, die Venedig vor den Fluten bewahren soll, besteht aus insgesamt 78 gelb lackierten Barrieren aus Stahl. Sie sollen bei Hochwasser innerhalb von 30 Minuten hochgefahr­en werden.
Foto: Claudio Furlan/lapresse via ZUMA Press, dpa Die Anlage, die Venedig vor den Fluten bewahren soll, besteht aus insgesamt 78 gelb lackierten Barrieren aus Stahl. Sie sollen bei Hochwasser innerhalb von 30 Minuten hochgefahr­en werden.

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