Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Marco Brenner gibt jetzt Vollgas
Der 17-jährige Augsburger wird wieder deutscher U19-meister im Einzelzeitfahren. Die großen Herausforderungen kommen aber erst
Eigentlich hat Marco Brenner gedacht, dass er bei Siegerehrungen schon alles erlebt hat. Schließlich ist der Augsburger dort Dauergast. Der 17-Jährige fährt seine deutschen Kollegen, die in der Altersklasse U19 meist älter sind, in Grund und Boden. Egal, ob auf der Straße, im Gelände oder beim Einzelzeitfahren, der Sieger heißt fast immer Marco Brenner. Er gilt als die große deutsche Radsporthoffnung, erst vor wenigen Wochen hat er beim Worldtour-team Sunweb einen Vier-jahres-vertrag unterschrieben. Er wird 2021 einer der jüngsten Radprofis überhaupt sein.
Brenner kennt also die sonst üblichen Rituale. Da wird einem auf nationaler Ebene das weiße Siegertrikot mit dem schwarz-rot-goldenen Brustring angezogen, dann bekommt man die Medaille umgehängt und noch einen Blumenstrauß überreicht. Am Sonntag nach dem Titelgewinn bei der deutschen Meisterschaft im Zeitfahren der U19 im Esplingerode (Niedersachsen) war im Zeichen der Corona-krise alles anders. Die Hygienevorschriften
waren streng. Brenner musste sich das Siegertrikot selbst überstreifen, dann die Goldmedaille und den Siegerstrauß selbst vom Tisch nehmen. Und beim obligatorischen Siegerbild stand Brenner nicht in der Mitte zwischen dem Zweit- und Drittplatzierten, sondern ganz oben auf dem Eingang zur kleinen Backsteinkirche St. Georg, dem Wahrzeichen des Ortsteiles von Duderstadt im Landkreis Göttingen, während sich seine Kollegen mit ausreichend Hygiene-abstand auf den unteren Stufen aufstellten.
Auch auf und neben der Strecke waren die Corona-vorkehrungen enorm. So wurden die Teilnehmer beim Start nicht gehalten, um gleich eingeklickt in den Klickpedalen loslegen zu können, sie durften sich nicht einmal am Geländer festhalten, sondern sie mussten aus dem Stand auf die Strecke gehen.
Brenner nahm die ungewöhnlichen Vorgaben gerne hin: „Ich bin froh, dass ich überhaupt mal wieder Rennen fahren durfte unter Druck.“Und der war etwas größer als sonst. Brenner war schließlich Titelverteidiger. Doch mit seiner Favoritenrolle ging er souverän um.
Auch wenn er am Ende der 25,5 Kilometer langen Strecke nach 32:30 Minuten „nur“13 Sekunden Vorsprung auf seinen Teamkollegen Luis-joe Lührs vom Auto-ederbayern-team
hatte. Die beiden anderen Augsburger, ebenfalls Mannschaftskollegen, spielten keine Rolle. Luca Dreßler hatte krank absagen müssen, Mikolaj Rybicki wurde 22. Als letzter Starter im Feld hatte Brenner wie die anderen Favoriten bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 47 km/h mit dem böigen Wind zu kämpfen. „Da war mehr drin, aber ich hatte über die drei Runden immer die beste Zeit. Am Ende war ich froh, dass ich gewonnen habe“, sagt Brenner.
Denn seine Vorbereitung war alles andere als optimal. Er steckt mitten in den Abschlussprüfungen zum Fremdsprachenkorrespondenten an der Inlingua-sprachenschule. „Am Freitag hatte ich noch die Dolmetscher-prüfung, am Sonntag bin ich um Mitternacht heimgekommen und am Montag hatte ich dann gleich die Fachkundeprüfung“, erzählt Brenner. Am Donnerstag folgte dann seine letzte Prüfung. „Bisher ist es ganz gut gelaufen.“
Und dann kann sich Marco Brenner voll auf seine Profikarriere konzentrieren. Dass die nicht bei Borahansgrohe, dem bekanntesten deutschen Rennstall beginnt, überraschte viele. Denn das Team Autoeder-bayern, für das Brenner derzeit fährt, ist das Junior-team des Rennstalls aus Raubling in Oberbayern.
Doch Brenner entschied sich in Absprache mit seinem Vater und seinen Beratern für das Angebot des zweiten unter deutscher Flagge fahrenden Worldtour-rennstalls, der im niederländischen Deventer seinen Sitz hat. „Ich bin von den Plänen mit mir überzeugt und die Trainer sind überzeugt, dass ich schon im kommenden Jahr direkt bei den Profis mitfahren kann.“Damit will sich das ehrgeizige Radsportalent bei weitem nicht zufriedengeben. „Ich freue mich richtig auf das nächste Jahr. Ich habe jetzt mein erstes Teilziel, Profi zu werden, erreicht. Aber ich will auch erfolgreich sein.“Deshalb spricht er sein Training nicht nur mehr mit seinem Vater ab, sondern auch schon mit Sunweb-trainer Steve Benton. Sein großes Projekt hat begonnen.
Gut möglich, dass der Augsburger schon im kommenden Jahr bei der Deutschland-tour an den Start geht. „Es ist noch nichts entschieden, aber die Möglichkeit besteht“, hofft Brenner, durchstarten zu können. Am liebsten würde er sich mit einem großen internationalen Titel aus dem Junioren-bereich verabschieden. Zwei Chancen hat er dazu noch. Trotz Corona-pandemie werden die Europameisterschaft und die Weltmeisterschaft stattfinden. Die Straßenrad-em war ursprünglich in der italienischen Provinz Trentino vom 9. bis 13. September geplant. Jetzt geht sie vom 24. bis zum 28. August in Frankreich in Plouay in der Bretagne über die Bühne. Die WM wird dann vom 20. bis 27. September in Aigle-martigny in der West-schweiz ausgetragen.
Diese Strecke wird sich Brenner Ende Juli genau ansehen: „Wir machen dort eine Woche Urlaub. Ich trainiere ein wenig und meine Eltern gehen mit den Hunden wandern.“Doch wer Brenner kennt, weiß, dass er da untertreibt. Er wird sich penibel auf die Wettkämpfe vorbereiten. Im vergangenen Jahr holte er sich kurz nach seinem 17. Geburtstag Bronze im Wm-zeitfahren der Junioren in Yorkshire. Ein Wm-titel fehlt ihm noch. Das Regenbogentrikot würde er sich notfalls auch wieder selbst überstreifen.