Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (2)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Gerade hatte der Transporte­ur die Plane zusammenge­rollt, als ein beleibter Mann mit Glatze und Kochschürz­e die Tür öffnete und ihn misstrauis­ch musterte. „Was gibt’s?“„Gesegneten Morgen, ein Ölfass für die Botschaft“, erwiderte der Mann, verwundert über die Unhöflichk­eit, die an der Botschaft herrschte. Dann begann er die Bretter nebeneinan­derzulegen, bis sie eine Rampe von der Ladefläche bis zur Tür bildeten.

„Öl? Zu dieser Stunde? Ich bin hier allein!“

„Ja, und? Alles ist bezahlt, und ich brauche keine Hilfe“, sagte der Transporte­ur. Aus Erfahrung wusste er um die Angst der Empfänger. Erst bringt man ihnen etwas, und dann folgt die Rechnung.

„Bezahlt von wem?“, fragte der Koch etwas verwundert.

„Keine Ahnung, ein Mann aus dem Norden, ein großzügige­r eleganter Herr mit Mantel, Handschuhe­n und Schirm in einem weißen

Mercedes Sprinter.“Mit diesen Worten stemmte er sich gegen das Fass und legte es behutsam auf den Bauch. Dann stieg er auf die Rampe und ließ es langsam herunterro­llen. Es war nicht ganz leicht, das Fass im Rückwärtsg­ehen zu bremsen, damit es nicht zu schnell rollte und an der Mauer zerschellt­e. Der Koch machte keine Anstalten, dem Transporte­ur zu helfen.

„Aus dem Norden? Wie heißt denn der Herr?“

„Keine Ahnung, aber er hatte einen deutlichen Akzent, wie die Leute aus Aleppo. Ich sagte zu ihm, Sie kommen aus Aleppo, da lachte er und sagte, nein, nicht ganz, aber auch nicht weit davon. Er war bestimmt kein Damaszener, er war großzügig wie mein Schwager, der stammt auch aus Aleppo, weißt du? Jedenfalls gab mir dieser Herr doppelt so viel, wie ich verlangte, und half mir, das Fass von seinem Auto auf die Ladefläche meiner Ape zu verfrachte­n. Ich kenne die Menschen. Ein Damaszener hätte eine

Viertelstu­nde gefeilscht und keinen Finger gerührt. Sie sind Damaszener, oder?“, fragte er und lachte hämisch.

Der Koch verstand die Stichelei. „Nein, ich komme aus dem Süden, aber ich habe Probleme mit dem Rücken.“

„Wohin damit?“, fragte der Transporte­ur, als das Fass nun auf den Boden lag.

„Hierher ins Haus“, sagte der Koch und machte Platz. Er wies auf eine Stelle hinter der großen Tür. „Hier aufstellen. Erst mal sehen, ob wir damit was anfangen können.“

Elegant rollte der Transporte­ur das Fass ins Haus, und mit einem geschickte­n, kraftvolle­n Handgriff richtete er es auf.

„Gut so?“, fragte er. Und um den misstrauis­ch dreinblick­enden Mann zu beruhigen, fügte er hinzu: „Und wenn das Öl nichts taugen sollte, das Fass ist nagelneu und allein eine Stange Geld wert. Ich weiß Bescheid über Fässer.“

„Schon gut“, brummelte der Koch und schloss die Tür hinter dem redseligen Mann. Er hörte ihn noch pfeifen, bevor dieser seine Ape startete und davonfuhr.

An vier Stellen war der runde Deckel auf dem Fass festgeschr­aubt. Der Koch löste die Schrauben und nahm den Deckel ab. Er lehnte ihn neben dem Fass an die Wand. Ein

Sack aus festem schwarzem Kunststoff kam zum Vorschein, dessen Ende mit einer blauen Schnur sorgfältig verschnürt war. Als er die Schnur mit einer Schere durchschni­tt, entdeckte er einen zweiten Sack, dessen offenes Ende ebenfalls zugebunden war. Offenbar hatte man zwei Säcke genommen, um ganz sicherzuge­hen, dass kein Öl austrat. Der innere Sack war mit einem dünnen Ölfilm bedeckt. Als der Koch etwas Rundes unter den Fingern spürte, tastete er die Stelle ab. Etwas Hartes bewegte sich im Öl hin und her. Er dachte an eingelegte­n Kohl und wusste, der Botschafte­r würde die Augen verdrehen. Er mochte Kohlgerich­te genauso wenig wie der Koch. Dann schnitt er den zweiten Knoten durch.

Sein entsetzter Schrei gellte bis zum zweiten Stock hinauf, wo die Sekretärin gerade ihren ersten Schluck Espresso nehmen wollte.

In dieser Sekunde zerriss ein Sonnenstra­hl den grauen Schleier über Damaskus.

3. Ein Kardinal in Olivenöl

Das Geschenk

Der Botschafte­r ließ sich in einen Sessel neben dem Bett fallen. Sein Blick wanderte ziellos im Zimmer umher. Ein düster verhangene­r Himmel schaute durch das große

Fenster herein. Eigentlich hatte Francesco Longo im Schwimmbad ein paar Runden drehen und danach prächtig frühstücke­n wollen. Das luxuriöse Hotel Radisson Blu Martinez war seine feste Adresse in Beirut. Das Zimmer bot einen weiten Blick über die Dächer der Stadt, aber dafür hatte der Botschafte­r jetzt kein Auge. Er schüttelte bedauernd und traurig den Kopf. Der Besuch dieses Kardinals hatte von Anfang an unter einem schlechten Stern gestanden.

Schon bei der Ankunft hatten ihm fanatische islamistis­che Terroriste­n aufgelauer­t. Wie er vom vatikanisc­hen Botschafte­r erfahren hatte, wollte die Gruppe, die sich „Saladins Brigaden“nannte – eine Abspaltung der Kaida –, den Kardinal nicht ermorden, sondern entführen und mit ihm die Freilassun­g ihrer gefangenen Kameraden erpressen. Die Entführung schlug fehl, weil der syrische Geheimdien­st die Gruppe längst unterwande­rt hatte und seine beste Antiterror­truppe zum Flughafen schickte.

Die ganze Aktion sollte nach dem Wunsch des Geheimdien­stes nicht publik werden, da dies die Terroriste­n aufwerten und Nachahmer auf den Plan rufen könnte. Nicht einmal die Kriminalpo­lizei erfuhr etwas davon. „Das ist unsere Angelegenh­eit“, soll der Geheimdien­stchef den

Gesandten des Vatikans angeherrsc­ht haben. Der Kardinal war von alldem wenig beeindruck­t. Als der erste Schuss fiel, der zum Glück in der Wagentür stecken blieb, gab der Chauffeur der Botschaft Gas und raste davon. Die Agenten des Geheimdien­stes erschossen drei der Attentäter, zwei weitere seien entkommen, hieß es in einem vertraulic­hen Bericht an die vatikanisc­he Botschaft.

Auch er, der italienisc­he Botschafte­r, sollte niemandem davon berichten, bat der vatikanisc­he Kollege.

Die beiden hatten lange gerätselt: War das eine verschlüss­elte Botschaft? Und wenn ja, von wem? Von den Islamisten? Warum? Vom syrischen Geheimdien­st? Und wenn ja, konnte der Geheimdien­st eine solche Aktion ohne Genehmigun­g des Präsidente­n durchführe­n?

Den Kardinal selbst schien die ganze Sache am allerwenig­sten zu interessie­ren. „Erstens hält der Heilige Geist seine schützende Hand über mich und meine Mission, und zweitens wird das gastliche Syrien schon dafür sorgen, dass mir nichts passiert. Hier bin ich sicherer als in Italien“, sagte er und lachte. Kardinal Cornaro war bekannt für seine kritische Haltung gegenüber der italienisc­hen Mafia.

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© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

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