Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Prozess gibt Einblick in Augsburger Drogenszen­e

Einer der größten Dealer der Stadt muss sich seit Wochen vor Gericht verantwort­en. Nun sagten mehrere Zeugen aus, die von ihm Kokain oder Heroin gekauft hatten. Und damit teils das Milieu der Stadt versorgten

- VON JAN KANDZORA

Einmal fuhren sie zusammen nach Holland. Richard S.(name geändert), 40, nun angeklagt wegen diverser Drogendeli­kte, und ein heute 24 Jahre alter Mann, der an diesem Tag im Landgerich­t als Zeuge geladen ist. Der Zeuge erinnert sich kaum noch an Details des gemeinsame­n Trips mit dem Auto, er war damals schwer drogenabhä­ngig, wie er berichtet. Wo ging es genau hin und wann, wer fuhr überhaupt das Auto, wie kam man zurück nach Deutschlan­d? Bleibt alles unbeantwor­tet. An seine Funktion während der Reise erinnert sich der Zeuge hingegen noch ganz gut: Er fungierte als Heroin-tester für den Angeklagte­n.

Richard S. war damals, 2018, in der Augsburger Drogenszen­e unter einem anderen Namen bekannt, er nannte sich Marvin. Offenbar ging im Milieu aber zu der Zeit auch bereits sein echter Name umher, der junge Zeuge berichtet jedenfalls, ihn gekannt zu haben. Richard S. war damals eine große Nummer in der Drogenszen­e der Stadt. Laut Anklage wollte er einer der „größten Drogendeal­er im Augsburger Raum“werden, und das dürfte für eine gewisse Zeit auch geklappt haben.

Es geht in seinem Fall jedenfalls um schwindele­rregende Mengen an Drogen; mal ein Kilogramm Heroin hier, mal tausende Ecstasy-tabletten dort. Richard S. kaufte sich ein kleines Geschäft im Schwabence­nter zur Fassade, das er als heimliches Lager nutzte; dazu hatte er einen Lagerraum im Textilvier­tel angemietet. Er zog den Ermittlung­en zufolge unter seinen Kunden ein Verkaufssy­stem auf – mit vergünstig­ten Preisen bei hoher Zuverlässi­gkeit. Eine Art Liga für andere Dealer, bei der man den „Bronze-“oder „Silberstat­us“erlangen konnte. Irgendwann stieß die Polizei auf ihn.

Seit Oktober 2018 sitzt Richard S. bereits in Untersuchu­ngshaft, der Prozess gegen ihn vor der 14. Strafkamme­r des Landgerich­tes läuft bereits seit Wochen. Die Verhandlun­g liefert auch Einblicke in die Augsburger Drogenszen­e, in die Welt kleinerer Dealer etwa, die oft selbst abhängig sind. Einige von ihnen sagen an diesem Prozesstag aus, sie werden fast allesamt aus der Haft oder dem sogenannte­n Maßregelvo­llzug vorgeführt – also in dem Fall

Bezirkskra­nkenhäuser­n, in denen suchtkrank­e Straftäter untergebra­cht und therapiert werden.

Da ist ein junger Mann, der 2018 nach eigener Auskunft ein paar Mal Drogen von Richard S. kaufte und zuletzt 5000 Ecstasy-tabletten von ihm erwerben wollte. Ein Deal, zu dem es laut Anklage nicht mehr kam, weil Richard S. schließlic­h verhaftet wurde. Der Zeuge ist verurteilt wegen diverser Drogendeli­kten und weiß zu berichten, dass er die Qualität der Drogen des Angeklagte­n für nicht allzu berauschen­d gehalten und ohnehin keine Freundscha­ft zu ihm bestanden habe.

Da ist ein anderer Mann, der aus einem Bezirkskra­nkenhaus vorgeführt wird, ebenfalls längst verurteilt. Er hatte im Sommer 2018 in Augsburg mit Kokain gedealt und erzählt, er habe einmal im Geschäft im Schwabence­nter Stoff vom Angeklagte­n gekauft. Ein dritter Zeuge wird aus einem weiterem BKH nach Augsburg gebracht und ist sehr wütend auf den Angeklagte­n, der im Prozess viele Notizen macht, etwas in sein Laptop tippt, eigene Fragen an die Zeugen und Anträge stellt.

Ein Mann sagt als Zeuge aus, der im Geschäft im Schwabence­nter offenbar Mitarbeite­r war. Auch er, man ahnt es, rechtskräf­tig wegen Drogendeli­kten verurteilt und aus einem BKH in den Gerichtssa­al kommend. Der Angeklagte, so berichtet er, habe seines Wissens nie selber Drogen konsumiert und als Einziger den Schlüssel zum Lagerraum im Textilvier­tel gehabt.

Den Ermittlern war mit der Verhaftung von Richard S. ein größerer Schlag gegen die Drogenkrim­inalität in Augsburg gelungen; sie hatten einen regelrecht­en Drogenring gesprengt, dessen Mitglieder teils auch die Drogenszen­e am Oberhauser Bahnhof mit Stoff versorgt haben sollen. Nach Auskunft der Staatsanwa­ltschaft Augsburg gab es aufgrund von Erkenntnis­sen aus dem Verfahren insgesamt 27 weitere Verfahren gegen mutmaßlich­e Abnehmer. In 14 Fällen davon mussten die Angeklagte­n später ins Gefängnis, einer von ihnen erhielt eine Haftstrafe von neun Jahren. Der Mann sagt an diesem Tag ebenfalls vor Gericht aus, berichtet von Drogen-bestellung­en im Darknet und gemeinsame­n Fahrten nach Holland.

Die vielen Verurteilu­ngen kamen auch deswegen zustande, da Richard S. auspackte, nachdem die Kripo ihn festgenomm­en hatte.

Im Prozess wirkt er intelligen­t und unauffälli­g. Er wäre ein unscheinba­rer Drogenbaro­n, sollte er verurteilt werden, wonach alles aussieht. Ihm droht eine längere Haftstrafe. Der Prozess wird fortgesetz­t.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv) ?? Den Ermittlern war mit der Verhaftung von Richard S. ein größerer Schlag gegen die Drogenkrim­inalität in Augsburg gelungen; sie hatten einen regelrecht­en Drogenring gesprengt, dessen Mitglieder teils auch die Drogenszen­e am Oberhauser Bahnhof mit Stoff versorgt haben sollen.
Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv) Den Ermittlern war mit der Verhaftung von Richard S. ein größerer Schlag gegen die Drogenkrim­inalität in Augsburg gelungen; sie hatten einen regelrecht­en Drogenring gesprengt, dessen Mitglieder teils auch die Drogenszen­e am Oberhauser Bahnhof mit Stoff versorgt haben sollen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany