Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eltern in der Schneepflu­g-falle

Es steckt in Kindern drin, Dinge selbst machen zu wollen. Doch manche Väter und Mütter lassen das kaum zu – aus Vorsicht oder Bequemlich­keit. Warum das dem Nachwuchs schaden kann

- Tom Nebe, dpa

Soest/fürth Hinderniss­e sind da, um aus dem Weg geräumt zu werden. Manchmal aber nehmen Eltern diesen Spruch mit Blick auf ihre Kinder selbst allzu wörtlich. Das Anziehen geht nicht? Ich mache das. Die Hausaufgab­en sind zu schwierig? Ich mache das. Streit mit dem Kitakumpel? Ich regele das. Es gibt für ein solches Verhalten auch einen Begriff: Schneepflu­g-eltern. Denn sie schieben für ihr Kind alles beiseite. Fachleute sehen solch ein überbehüte­ndes Erziehungs­verhalten kritisch. Denn auch wenn Vater oder Mutter es damit nur gut meinen: Sie schwächen auf längere Zeit gesehen das Selbstvert­rauen ihres Nachwuchse­s und nehmen ihm Entwicklun­gschancen. Die Kinder trauen sich weniger zu. Denn der Spruch „Aus Fehlern lernt man“stimmt.

● Das Problem mit dem Schneepflu­g Auf irgendeine Art und Weise sind wohl die meisten Eltern schon einmal mit dem inneren Schneepflu­g vorgepresc­ht. „Ich bin selbst Vater und ertappe mich hin und wieder dabei, eine Aufgabe selbst zu machen, statt ewig darauf zu warten, dass es das Kind schafft“, gibt der auf Kinder und Jugendlich­e spezialisi­erte Psychother­apeut Schliewenz zu. Er weiß aber auch: Einen Gefallen tut man seinem Kind damit nicht. Klar lehnt sich manches Kind gerne zurück und fühlt sich sicher, wenn alle Herausford­erungen von den Eltern gemeistert werden. „Am Ende hat das Kind aber in seiner Entwicklun­g nichts von so einem Verhalten“, so Schliewenz. Es wird nicht zum Problemlös­er – und das wiederum wird zum Problem. Denn das Leben ist gespickt mit Herausford­erungen. Wer es schafft, sie anzugehen, wird stolz darauf sein und Glück oder Zufriedenh­eit empfinden, so Schliewenz. Bleibt das aus, wird das Kind im Laufe der Zeit ängstliche­r und wohl auch unzufriede­ner. Und: Es wird Probleme immer seltener allein angehen und bewältigen wollen.

● Kinder wollen Dinge selbst anpacken Dabei steckt es in Kindern drin, Dinge selbst machen zu wollen. Im Kindergart­enalter muss man sie manchmal regelrecht bremsen in ihren Ambitionen. Dabei ist aber das richtige Maß gefragt. Wer den Eigenantri­eb des Kindes zu übertriebe­n ausbremst, sorgt am Ende dafür, dass der Nachwuchs immer unselbstst­ändiger wird. Schliewenz erläutert ein Beispiel: „Wird das Kind immer wieder daran gehindert, sich selbst die Schuhe zu binden, wird es das irgendwann nicht mehr selbst machen wollen.“Eltern können also kaum früh genug anfangen, ihre Kinder selbst machen zu lassen. Der Nachwuchs könnte beim Kochen helfen, sagt Erziehungs­berater Ulric Ritzer-sachs. Die Aufgaben müssen natürlich dem Alter angemessen sein. „Ein dreijährig­es Kind sollte man sicher noch nicht mit einem scharfen Messer schneiden lassen, ein fünfjährig­es Kind schon eher.“

● Auf den Bauch hören und dem Kind vertrauen Der Fachmann ermutigt Eltern, auf den eigenen Bauch zu hören und ihren Einschätzu­ngen über die Fähigkeite­n des Kindes zu vertrauen. Sie sollten zuerst aber in Ruhe erklären, wie das mit dem Schneiden zum Beispiel richtig geht. Einfach nur zu sagen: „Schneide dir nicht in die Finger“, das ist dem Kind nicht wirklich eine Hilfe, sondern baut eher Druck auf. Das Kind beteiligen und selbst Dinge machen zu lassen zieht sich durch die gesamte Entwicklun­g durch, betont der Experte von der Onlinebera­tung der Bundeskonf­erenz für Erziehungs­beratung. Eltern sollten also in jeder Phase des Heranwachs­ens schauen, was das Kind schon selbst machen kann – und was nicht.

Wer erst in der Pubertät mit der Eigenveran­twortung anfängt, ist aus

Sicht des Experten viel zu spät dran. „Wenn ein achtjährig­es Kind noch nie allein beim Bäcker war, ist das schwierig“, sagt Ritzer-sachs. Und das kann auf Dauer Folgen haben.

● Ein Erziehungs­stil mit Folgen Das Risiko, sehr unselbstst­ändig zu werden oder gar eine Störung zu entwickeln, sei bei Kindern von überbehüte­nden Eltern größer, berichtet Ritzer-sachs. Ausflüge mit der Schulklass­e oder Übernachtu­ngen bei Freunden können für sie zu einem Problem werden. Der Experte betont aber, dass das nicht für alle überbehüte­ten Kinder gilt. Er berichtet aus seiner Beratungsp­raxis, dass er schon 18-Jährige erlebt habe, die sich nicht die Schuhe binden können. Oder 20-Jährige, die Angst vor dem Einkaufen haben. Wobei es neben dem Erziehungs­stil auch andere Faktoren gebe, die dies beeinfluss­en.

● Wege aus der Schneepflu­g-falle Was können Eltern tun, damit sie nicht in die Schneepflu­g-falle geraten? Aufmerksam sein, mit anderen reden und sich selbst reflektier­en, lautet die kurze Antwort. „Es hilft, mit Freunden zu reden und sich ein Feedback geben zu lassen“, erläutert Ritzer-sachs. Und wenn das

Kind extrem trotzig ist und sich einem widersetzt, sollte man vielleicht einmal in sich gehen und überlegen, ob der Rahmen der Erziehung stimmt – engt man das Kind zu sehr ein oder mutet man ihm zu viel zu?

Auch andere Details können Signale für fehlendes Selbstvert­rauen sein: „Wenn ich merke, dass es sich vieles nicht traut und etwa nie allein die Spielplatz­leiter hochgeht – das sind solche Details, woran man es sehen kann“, sagt Ritzer-sachs. Der Erziehungs­berater betont auch: Je älter die Kinder sind, desto schwerer wird es, die Kurve zu kriegen. ● Schluss mit der Bequemlich­keit Letztlich sollten Eltern auch in sich hineinhöre­n. Denn in erster Linie sei die Ursache für das Schneepflu­gverhalten reine Bequemlich­keit, sagt Psychother­apeut Ralph Schliewenz. Irgendwann aber werde es Vätern und Müttern damit nicht mehr gut gehen. Etwa, wenn sie immer sagen müssen: „Ich räume dir nicht alles hinterher.“Dann sollten sie sich fragen, ob sie nicht selbst dazu beigetrage­n haben, dass die Situation jetzt so ist. Etwa, weil sie ihrem Kind das Spielzeug bisher immer hinterherg­eräumt haben – weil es so schneller ging.

Foto: Christin Klose,dpa

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Mama, kann ich mal rühren? Dinge selber in die Hand zu nehmen gibt den Kindern Selbstvert­rauen.

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