Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (8)
Wann immer eine Beförderung anstand, kam eine Dienstbeschwerde dazwischen oder eine kritische Äußerung Barudis, die irgendein Spitzel gehört haben wollte. Nicht selten gaben ihm Kollegen oder Bekannte den Rat, in die Partei einzutreten, er aber ließ sie ein ums andere Mal wissen, wie gleichgültig ihm jedwede Chance auf einen Führungsposten war. „Mir gefällt mein Job und ich möchte ihn behalten, bis sie mich rausschmeißen.“Nach dem Tod seiner Frau war er zum Einzelgänger geworden, und nur dank seines schüchternen Lächelns schrappte er am Ruf eines Misanthropen vorbei. Wer ihn auf seinen Gleichmut ansprach, bekam zur Antwort, er solle unter der syrischen Bürokratie und Vetternwirtschaft erst einmal vierzig Jahre lang Mord und Totschlag aufklären, dann wisse er, warum ihn, Barudi, nichts mehr umwerfe.
Als Hauptmann Schukri die geräumige Küche der italienischen Botschaft betrat, saß Barudi mit dem
Koch am Tisch und trank langsam seinen dritten Mokka. Vor ihm lagen wie immer ein Notizbuch mit wenigen Eintragungen und ein Bleistift. Schukri sah Barudi nie ohne Heft und Bleistift. Oft war er der Einzige in den Besprechungsrunden, der sich dauernd Notizen machte.
„Hauptmann Schukri“, rief Barudi und winkte den Kollegen herbei, „nimm dir einen Stuhl und trink mit uns einen Mokka. Ich bin hier gleich fertig, dann fahren wir zusammen los. Mein Wagen steht ganz in der Nähe.“Und an den unsicher dreinschauenden Koch gewandt: „Hauptmann Schukri ist einer meiner besten Kollegen. Er sagt bestimmt nicht nein.“
Der Koch hatte ein törichtes Gesicht, in dem eine rote Nase glühte. Er verstand die Aufforderung, dem müden Beamten einen Mokka zu kredenzen. Also erhob er sich, um ein Mokkatässchen aus dem Regal zu holen. Torkelnd, als wäre er betrunken, wankte er zum Herd. Schweigsam und in sich gekehrt kochte er den Mokka. Bald duftete der Raum nach Kardamom. Hauptmann Schukri nahm die dampfende Tasse dankbar entgegen. Seine Nase war vom Geruch des Olivenöls fast betäubt. Die Leiche hatte zwar nicht gestunken, sie war ja gewissermaßen einbalsamiert, doch der süßliche Geruch des Todes, vermischt mit einer unangenehmen Note von ranzigem Öl, hatte bei ihm Brechreiz erregt. Barudi setzte sein Gespräch mit dem Koch fort. Aber dieser konnte nichts Genaueres sagen, außer dass er Kardinal Cornaro sofort erkannt habe. Hauptmann Schukri bewunderte Barudi, wie er immer wieder eine Frage stellte, die eher nebensächlich wirkte, aber den Kern der Angelegenheit traf. Er ging mit einer unbestechlichen, eigenartigen Ruhe an die Sache heran.
Seit über fünfzehn Jahren arbeiteten die beiden zusammen, und Schukri hatte vom ersten Augenblick an eine gewisse Nähe zu dem fleißigen Einzelgänger gespürt, der immer wieder mutig das Sippenhafte der Araber kritisierte und deshalb überall aneckte. „Mörder sind meist Einzeltäter, aber das Sippenhafte ist eine ansteckende Krankheit“, hatte Barudi einmal zu ihm gesagt.
Seit dem Tod seiner Frau lebte Barudi in einer kleinen Wohnung in der Midan-straße, nicht einmal dreihundert Meter vom Büro entfernt. Das Gebäude, eine Bausünde der sechziger Jahre, war ein hässlicher großer Betonblock, alles Grau in Grau. Die schöne Wohnung in Bab Tuma, die Barudi mit seiner Frau bewohnt hatte, hatte er nach deren Tod aufgegeben. „Zu viele Erinnerung wohnen da“, hatte er damals gesagt.
Der Koch wiederholte, er habe den Eindruck gehabt, dass der Transporteur nicht wusste, was er transportierte. Der redselige Mann habe einen roten Ape gefahren. Nebenbei habe er erwähnt, dass er oft vor dem Hijaz-bahnhof auf Kunden warte.
„Und Sie haben nicht zufällig erfahren, wie er heißt?“
„Ja, warten Sie“, erwiderte der Koch nach kurzem Zögern, „er erwähnte, dass man ihn Abu Ali nennt, aber so heißt doch jeder zweite Lastenträger.“
Barudi schrieb den Namen dennoch auf. Als Schukri seinen Mokka ausgetrunken hatte, packte Barudi sein Heft in die Tasche und gab dem Koch seine Visitenkarte. „Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, lassen Sie es mich wissen. Auch Kleinigkeiten können uns helfen.“
Der Koch nickte wie abwesend. Barudi nahm seinen Mantel vom Haken an der Wand und trat vor die Tür.
„Der arme Kerl ist völlig durch den Wind“, sagte er zu seinem Kollegen, als beide schließlich im Auto saßen. Es regnete nicht mehr, aber ein starker Wind fegte durch die Straßen.
„Übrigens hat mich ein Mitarbeiter auf etwas aufmerksam gemacht: Der Tote hätte nicht in die italienische, sondern in die vatikanische Botschaft gebracht werden müssen. Dort ist seine Vertretung. Du bist doch Christ, du müsstest das wissen.“
Barudi lächelte. „Mein letzter Besuch in der Kirche liegt etwa ein Vierteljahrhundert zurück.“
„Ja, aber warst du nie in der vatikanischen Botschaft? Der Botschafter ist doch auch für euch zuständig, oder?“
„Nein, er ist zuständig für ein paar Gassen in Rom, die man Vatikan nennt. Ich bin zwar katholisch, aber bitte, mein Herr, ich gehöre zur katholischen Ostkirche. Wir haben den Europäern das Christentum gebracht und nicht umgekehrt.“„Aber habt ihr keine Kardinäle?“„Nein, wir haben Pfarrer, Bischöfe und einen Patriarchen für den gesamten Orient.“
„Also bist du ein orthodoxer
Christ?“
„Nein“, erwiderte Barudi und lachte, „bei uns ist es fast so kompliziert wie bei euch. Ich sage ja immer, die Kirchen verlängern bloß den
Weg zu Gott. Ich bin katholisch, und wir erkennen den Papst an, aber wir haben unsere eigene Kirche und auch etwas andere Riten. Die Orthodoxen erkennen den Papst nicht an, genauso wenig wie die Protestanten.“
„Aber ihr seid keine Kopten?“„Nein, das sind die ägyptischen Christen. Die haben ihren eigenen Papst, er heißt Schenuda III.“
„Gott im Himmel“, sagte Schukri, „das soll einer wie ich noch verstehen, der nicht mal eine Ahnung von seiner eigenen Religion hat!“Schukri gehörte den Drusen an. Diese religiöse Minderheit wurde jahrhundertelang verfolgt und beschuldigt, den Islam zu verfälschen. Deshalb sind viele ihrer Rituale geheim. Die meisten Drusen bleiben als „Unwissende“ohne religiöse Erziehung. Nur die wenigen „Eingeweihten“wissen Genaueres über ihre Religion. Schukri war einer der Unwissenden.
„Aber zurück zu deiner Frage“, sagte Barudi. „Ich weiß, dass wir in Damaskus zwei verschiedene Botschaften haben, eine für Italien und eine für den Vatikanstaat.“
„Das aber bedeutet, dass der Herr, der dem Transporteur Fass und Adresse gegeben hat, diesen Unterschied nicht kannte, sprich: ein Muslim war.“