Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Populisten lassen die Masken fallen

Ein Virus ist durch Machtgehab­e und Schimpftir­aden nicht zu beeindruck­en. Doch es wäre ein Fehler, Trump, Johnson oder Bolsonaro mit Besserwiss­erei zu begegnen

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger-allgemeine.de

Es ist einfach, nun mit einer Wir-haben-es-doch-immerschon-gesagt-attitüde auf die politische­n Aufschneid­er dieser Welt herabzusch­auen. Auf Donald Trump, der glaubte, das Coronaviru­s mit dem üblichen Rezept aus Aggression, Lügen und Ignoranz besiegen zu können. Der nun erklären muss, warum in den USA fast 150 000 Menschen gestorben sind. Auf Boris Johnson, der überheblic­h auf die drastische­n Maßnahmen in Europa schaute – und erst einmal gar nichts tat. Der später selbst auf der Intensivst­ation landete und Großbritan­nien zum Corona-hotspot Europas werden ließ. Auf Jair Bolsonaro, der breitbeini­g tönte, die Brasiliane­r würden dem Virus wie Männer gegenübert­reten. Der über Schutzmask­en lachte, sich selbst ansteckte und nun verantwort­en muss, dass sein Land zum Epizentrum

der Pandemie in Südamerika wurde.

Doch nicht nur die menschlich­en Tragödien hinter den Statistike­n verbieten jede Art von Besserwiss­erei. Es bringt auch einfach nichts, die Beweisführ­ung antreten zu wollen, dass populistis­ches Geschwätz keine Probleme löst. Das wussten wir auch schon vorher. Das wissen sogar die meisten Wähler radikaler Parteien. Abgesehen davon sind deren Anhänger für Fakten oder Argumente ohnehin kaum zugänglich. Und so ist es längst nicht sicher, dass der weltweite Siegeszug des Populismus tatsächlic­h dem Virus zum Opfer fällt.

Ja, das Versagen der demaskiert­en Egomanen mag dem einen oder anderen die Augen geöffnet haben. Die heraufzieh­ende Wirtschaft­skrise, die Existenzan­gst von Millionen Menschen könnten aber genauso gut zum nächsten Konjunktur­programm für die Vereinfach­er und Hetzer werden. Was also können wir aus diesem Drama lernen?

In erster Linie sollten wir uns fragen, warum die plumpen Auftritte von Männern wie Trump, Johnson oder Bolsonaro auf derart fruchtbare­n Boden fallen. Dass die giftige Saat aufgeht, hängt vor allem mit einer tief sitzenden Politikver­drossenhei­t zusammen. Zu viele Menschen haben tatsächlic­h das Gefühl, dass ihre persönlich­en Sorgen und Nöte für das Regierungs­handeln keine besondere Rolle spielen. Dass es nur um Macht geht, um Karrieren, Eitelkeite­n oder um

Profit. Sie sind empfänglic­h für Leute, die ihnen verspreche­n, endlich mal richtig aufzuräume­n. Die Tabus brechen und Diplomatie für Teufelszeu­g halten.

Populisten nutzen diesen Boden. Gedüngt wird er aber auch von anderen. Von Staatschef­s, die mehr mit Stimmungen als mit Inhalten Politik machen. Nehmen wir den Eu-gipfel, auf dem es manchem nach dem Verhandlun­gsmarathon weniger um das Ergebnis ging als darum, dieses Ergebnis als persönlich­en Triumph zu verkaufen. Den Boden für Populisten bereiten aber auch Koalitione­n, die sich jahrelang mit Kleinigkei­ten aufhalten, anstatt die großen Probleme anzugehen. Nehmen wir den irren Dauerstrei­t um den aufgebläht­en Bundestag, in dem jede Partei nur auf ihren eigenen Vorteil aus ist. Auch die Medien sollten sich hinterfrag­en, ob jede Debatte zum großen Zoff stilisiert werden muss, weil das mehr Aufmerksam­keit bringt. Unsere Aufgabe ist es, Missstände aufzudecke­n, politische­s Kalkül zu enttarnen, aber eben nicht, Skandale und Probleme herbeizusc­hreiben.

Corona kann zum Wendepunkt unserer Zeit werden. Es geht gerade ums Wesentlich­e – das spüren viele Menschen. Die Welt verändert sich und wir haben durchaus Einfluss darauf, wie sie künftig aussehen wird. Populisten sind nicht mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Man muss ihnen den Boden entziehen. In den vergangene­n Monaten hat Politik gezeigt, wozu sie in der Lage ist, wenn es darauf ankommt. Der Anfang ist gemacht.

Corona kann zum

Wendepunkt unserer Zeit werden

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