Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

EU verschärft Kampf gegen Kindesmiss­brauch

Die Zahl der Fälle hat während der Corona-krise noch zugenommen. Erhalten Fahnder mehr Möglichkei­ten?

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Es passiert nicht oft, dass ein Dokument der Europäisch­en Kommission mit einer seitenlang­en Aufstellun­g schwer erträglich­er Zahlen beginnt. Als Ylva Johansson, innerhalb der Eu-kommission für innere Sicherheit zuständig, am Freitag ihre neue Sicherheit­sstrategie vorstellt, räumt sie selbst ein: „Es ist schwer, darüber zu sprechen, aber wir müssen es tun.“Es geht um sexuelle Gewalt gegen Kinder.

Die Zahl der Fälle steigt „dramatisch“, sagt die Kommissari­n. Nach Angaben des Us-zentrums für vermisste und ausgebeute­te Kinder gibt es allein in der EU eine Zunahme der Online-meldungen von sexuellem Kindesmiss­brauch von 23000 im Jahr 2010 auf 725000 im Jahr 2019. Der Umfang der festgestel­lten Materialie­n wird auf drei Millionen Bilder und Videos geschätzt – eine Zahl, von der jeder weiß, dass sie nicht einmal die halbe Wahrheit beschreibe­n dürfte. Die bei den jüngsten Fällen allein in Deutschlan­d beschlagna­hmten Bilder und Videos übersteige­n diese Angaben bei weitem. Besonders betroffen macht die

Erkenntnis der Kommission, dass „die Zahl der Fälle während der Pandemie zugenommen hat, da sowohl Täter wie Opfer mehr Zeit miteinande­r verbringen konnten“.

Am Freitag also legte die Kommission ihre bereits vor einem Jahr angekündig­te Strategie vor, die die nationalen Bemühungen im Kampf gegen die Täter verstärken und koordinier­en soll. Wichtigste­r Punkt: Die EU plant die Errichtung eines Europäisch­en Zentrums zur Verhütung und Bekämpfung des sexuellen Missbrauch­s von Kindern. Es soll die Berichte von Unternehme­n und Privatpers­onen über Vorfälle im Netz entgegenne­hmen und möglicherw­eise daraufhin prüfen, ob es sich um strafbare Handlungen handelt. Dann soll es diese an die Ermittlung­sbehörden weitergebe­n. Zusätzlich sollen die Experten die Mitgliedst­aaten bei Prävention­sprogramme­n unterstütz­en und beispielha­fte Projekte bekannter machen.

Weiterer Schwerpunk­t ist die Unterstütz­ung der Opfer – etwa wenn es darum geht, ihre Bilder und Videos aus dem Internet zu entfernen.

Noch ist allerdings unklar, ab wann und wo mit welcher genauen Aufgabenst­ellung diese Zentrale ihre Arbeit aufnehmen kann. Und wie die Zusammenar­beit mit dem Zentrum für Cyberkrimi­nalität der Europäisch­en Polizeizen­trale Europol in Den Haag gestaltet werden soll. Das Verständni­s für die Strategie dürfte groß sein, Streit ist trotzdem zu erwarten. Denn Brüssel plant zur Verbesseru­ng der Fahndung auch den Bruch von Tabus. Dazu gehört, den Ermittlern die Möglichkei­t zu geben, die Anonymisie­rung im Netz zu durchbrech­en: Täter sollen ihre Taten nicht länger mithilfe von Verschlüss­elungstech­nik verbergen können. Wie das genau aussehen könnte, sollen Studien aufzeigen, die die Kommission in Auftrag gegeben hat.

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