Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (9)

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KIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt. ann schon sein“, gab Barudi zu, „aber“, fuhr er nach kurzem Nachdenken fort, „es könnte auch ein Christ, ein Druse, ein Sunnit, ein Alawit oder sonst jemand gewesen sein, der sich mit unseren Botschafte­n nicht auskennt.“Barudi zögerte einen Augenblick. „Oder ein raffiniert­er Verbrecher, der eine falsche Fährte gelegt hat.“

„Du hast recht“, sagte Schukri, etwas enttäuscht über die vielen Möglichkei­ten, die seine Informatio­n nahezu wertlos machten. „Und was tun wir jetzt?“

„Ich erledige ein paar Dinge, mache den Transporte­ur ausfindig und warte auf deinen Bericht“, antwortete Barudi.

„Übrigens, noch ein Detail, das einer meiner Mitarbeite­r bemerkt hat. Ich weiß nicht, ob es interessan­t für dich ist. Der Kardinal trug seinen Ring nicht am rechten, sondern am linken Ringfinger. Ich verstehe nichts davon. Hat das eine Bedeutung?“

„Oh, ja. Bitte notiere es in deinem

Bericht, unbedingt!“, erwiderte Barudi. „Wer den Ring vom rechten auf den linken Ringfinger setzt, will damit seine Verachtung zum Ausdruck bringen. Das ist, als ob man einem Offizier die Rangabzeic­hen von der Schulterkl­appe reißt. Damit ergibt das Ganze ein Bild. Man hat den Kardinal verurteilt, verstoßen und degradiert. Die Leiche ist absichtlic­h an seine nationale und nicht an seine geistliche Heimat geschickt worden. Das bedeutet, der Täter weiß genau Bescheid über die Feinheiten der Macht in der katholisch­en Kirche. Gratuliere deinem Mitarbeite­r, das ist eine großartige Beobachtun­g.“

Schukri nickte nachdenkli­ch. Der Fall schien sich für ihn eher zu verkompliz­ieren, und er teilte den Optimismus seines Kollegen nicht. Als er die Arbeit der syrischen Kriminalpo­lizei mit dem Gang über ein Minenfeld verglich, winkte Barudi ab.

„Übertreib nicht. Wir haben es hier sehr gut. Zwar gilt es bei unserer Arbeit das eine oder andere Hindernis zu überwinden, aber dafür werden wir ja bezahlt. Und wenn ich mich umschaue, was die anderen alles tun müssen, die genauso qualifizie­rt sind wie wir beide, dann fühle ich mich privilegie­rt.“

„Na, Glückwunsc­h zu diesem Gefühl, das ich nie gehabt habe und auch nie haben werde“, erwiderte Schukri trotzig.

Eine nervöse Stille machte sich breit. Barudis Gewissen meldete sich. Er kam sich vor wie ein schäbiger Krämer, der das glänzende Gemüse in seiner Kiste lobt, insgeheim aber sehr genau weiß, dass verdorbene Ware darunterli­egt. Wie zu Beginn eines jeden Falles fühlte sich Barudi ziemlich hilflos. Auch dem Profi blieb in diesem Stadium nichts anderes übrig, als zu mutmaßen, ohne sich festzulege­n.

„Wo willst du hin? Ins Büro?“, erkundigte sich Barudi, als ihm das Schweigen auf die Nerven ging.

„Nein, ich muss ins Präsidium, lass mich bitte hier raus, dann nehme ich ein Taxi. Du kümmerst dich derweil um den Transporte­ur.“

„Ich bin gern dein Taxi. Macht zwanzig Lira oder ein Glas Rotwein.“

„Dann lieber den Wein“, sagte Schukri und lachte. Er freute sich über die seltenen Abende mit dem kauzigen Kollegen.

„Am Freitag?“

„Gut, das passt. Um Uhr?“

„Zwanzig Uhr. Bis dahin hast du gegessen. Ich mache zurzeit eine Diät“, sagte Barudi und schlug sich mit der rechten Hand auf den Bauch, der sich unter dem Pullover wölbte. „Ich esse nichts zu Abend. Das soll das Leben um mindestens fünf Jahre verlängern. Ohne Zigaretten habe ich mir weitere fünf und ohne Frauen noch einmal zehn Jahre gesichert“, sagte er.

„Wozu dann leben?“, erwiderte Schukri fast ein wenig zynisch. Er kochte und trank gern.

Kurz darauf bremste Barudi den Wagen vor dem Präsidium in der Khaled-bin-al-walid-straße. „Bis Freitag, wir bleiben in Verbindung“, sagte Barudi, als sein Kollege ausstieg. Das war nur eine Floskel. Sie arbeiteten im selben Gebäude und waren ständig in Kontakt.

Barudi fuhr weiter zum Hijazbahnh­of. Und als hätten sie es vereinbart, dachte Schukri noch eine ganze Weile über den Witwer Barudi nach und dieser über den ewigen Junggesell­en Schukri. Und seltsamerw­eise ergriff beide ein gewisses Mitleid. Nicht weit vom Bahnhof entfernt, vor dem bekannten Kaffeehaus „Coffee Hijaz“stellte Barudi seinen Wagen ab. Hier war zwar Parkverbot, aber er legte ein blaues

wie

viel

Schild „Kriminalpo­lizei“unter die Windschutz­scheibe. Dann schlendert­e er die Straße entlang und befragte mehrere Transporte­ure, die dort mit ihren Kleinwagen und allerlei Karren auf Kundschaft lauerten. Es dauerte nicht lange, bis er den richtigen gefunden hatte. Abu Ali war in der Tat ein redseliger Mensch, der eine Menge Schicksals­schläge und Katastroph­en hinter sich hatte. Wahrschein­lich blieb er deshalb so ruhig, als Kommissar Barudi ihm mitteilte, in dem Fass, das er transporti­ert hatte, sei Heroin gewesen, vier in Plastik verpackte Pakete zu je zehn Kilo, die in Olivenöl schwammen.

„Habe ich es mir doch gedacht, das Fass war schwerer, als wenn nur Öl drin gewesen wäre, und rollte so seltsam“, sagte Abu Ali nachdenkli­ch und sah sich um. „Handelt der italienisc­he Botschafte­r etwa mit dem Zeug? Mein Gott!“

„Nein, nein, der Botschafte­r nicht, ein kleiner Beamter der Botschaft dealt im Auftrag der Mafia“, sagte Barudi.

„Und ich sage dir, bei einer solchen Menge steckt der Botschafte­r dahinter. Abu Alis Auge täuscht sich nicht. Die haben in der Botschaft so getan, als wüssten sie von nichts. Ich sollte das Fass an der hinteren Tür abgeben. Ich wusste, die Sache ist nicht sauber.“

Barudi lachte und versuchte, den Transporte­ur an seiner Eitelkeit zu packen, um ein paar Informatio­nen über den Mann herauszuki­tzeln, der ihm das Fass übergeben hatte.

„Wenn du so scharfsinn­ig bist, hätte ich eine Frage. Der elegante Mann, der dir das Fass übergeben hat, fuhr einen Mercedes Sprinter, nicht wahr?“Abu Ali nickte. „Hast du ihn nicht gefragt, warum er das Fass nicht selbst zur Botschaft bringt?“

„Du unterschät­zt Abu Ali“, antwortete der Lastenträg­er, „ich habe ihn sehr wohl gefragt, aber er hat gesagt, es soll eine Überraschu­ng für den Botschafte­r sein.“

„Und hast du dir mit deinen Adleraugen die Autonummer gemerkt?“

„Die Autonummer nicht, aber das Logo des Autoverlei­hs war nicht zu übersehen. Es ist der große Express-verleih mit dem lachenden Gesicht einer hübschen Frau.“

Der Auftraggeb­er, fuhr er fort, habe Handschuhe, Mantel und Sonnenbril­le getragen, obwohl weit und breit keine Sonne zu sehen war. Er sei sehr höflich gewesen und habe sogar geholfen, das Fass von seinem Transporte­r auf die Ladefläche zu hieven.

Das alles hatte Barudi schon vom Koch erfahren.

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© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals.

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