Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Aus Trauer wird Wut

Ein Untersuchu­ngsbericht über die genauen Umstände des Todes eines Mannes bei einer simplen Verkehrsko­ntrolle facht die Debatte um Polizeigew­alt in Frankreich an

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Es ist ein Freitagvor­mittag im Januar, als Cédric Chouviat in der Nähe des Pariser Eiffelturm­s in eine Polizeikon­trolle gerät, weil er auf dem Roller fahrend am Handy telefonier­t. Als er angehalten wird, kommt es zu einem Schlagabta­usch zwischen den vier Beamten und dem 42-jährigen Essens-lieferante­n. Chouviat zieht sein Handy heraus und filmt, eine Polizistin tut es ihm nach. Beide Videos werden später bedeutsam sein, um nachzuvoll­ziehen, was genau passiert ist und warum Chouviat diese Routine-kontrolle nicht überlebt hat.

Er bezeichnet die vier Beamten als „Clowns“, und als sie ihn dazu auffordern, sein Nummernsch­ild zu säubern, verlangt er vom Chef des Teams, Michaël P., ein „Bitte“. „Glauben Sie, dass ich auf alle viere gehe? Dass ich Ihnen auch noch den Schwanz lutsche?“, gibt der zurück. Die Beamten drücken ihn mit dem Gesicht nach unten auf den Boden, während Chouviat noch seinen Rollerhelm trägt. P. wird in der Folge aussagen, er habe keinen Druck auf den Hals ausgeübt, doch Passanten, die der Szene beiwohnten, widersprac­hen ihm später. Auch im unabhängig­en Polizeiber­icht ist die Rede von einer „Würgung von hinten“. „Ich ersticke“, wiederholt Chouviat mehrmals, bevor er in Ohnmacht fällt. Eineinhalb Minuten lang drücken ihn die Polizisten weiter nach unten, während sie ihm Handschell­en anlegen. Nachdem sie bemerkt haben, dass der Festgenomm­ene bewusstlos ist, vergehen drei Minuten, bis sie eine Herzmassag­e unternehme­n. Chouviat, Vater von fünf Kindern, stirbt zwei Tage später im an den Folgen eines Kehlkopfbr­uchs.

Die Polizisten wurden nicht vom Dienst suspendier­t, doch gegen drei von ihnen laufen Ermittlung­en wegen fahrlässig­er Tötung. Nun veröffentl­ichten Medien den Untersuchu­ngsbericht, der sich neben Videos auf Zeugenauss­agen und Kameraaufz­eichnungen der Stadt stützt. Demnach gingen nicht nur die Beamten äußerst rabiat mit dem Mann um. Sondern sie sowie ein Kollege, der den Vorfall über Polizeifun­k durchgab, versuchten im Anschluss, diesen umzudeuten, um die Beamten zu entlasten, ja deren Brutalität zu vertuschen. So war zunächst von einem Herzstills­tand Chouviats infolge seines Widerstand­s gegen die Festnahme die Rede. Dessen Vater, Christian Chouviat, fordert öffentlich die Suspendier­ung der Polizisten. „Wie ist es möglich, dass in einer Demokratie wie Frankreich Leute, die einen Bürger töten, weiter ihren Beruf ausüben?“, fragt er.

Tatsächlic­h erschütter­n diese Vorfälle das Vertrauen in die frankranke­nhaus zösische Polizei noch mehr. Vor allem während der monatelang­en Proteste der „Gelbwesten“ab Winter 2018 kam es immer wieder zu Auseinande­rsetzungen zwischen den Sicherheit­skräften und Demonstran­ten, die selbst teilweise, aber nicht immer gewalttäti­g waren. Durch die Verwendung von Hartgummig­eschossen, die in vielen anderen Ländern verboten ist, verloren zahlreiche Menschen ein Auge.

Die Anti-rassismus-demonstrat­ionen in den USA infolge der Tötung des schwarzen Us-amerikaner­s George Floyd durch einen weißen Polizisten hatten in Frankreich ein sehr lautes Echo. Denn auch französisc­hen Polizisten wird regelmäßig besonders brutales Vorgehen gegen Schwarze vorgeworfe­n. 2016 starb der 24-jährige Adama Traoré bei einer Festnahme. Auch er wurde in Bauchlage am Boden fixiert und klagte noch über Atemnot. Inzwischen wurden seitens der Polizei wie auch Traorés Familie mehrere medizinisc­he Berichte angefertig­t, um die Todesursac­he des jungen Mannes, der möglicherw­eise an Vorerkrank­ungen litt, herauszufi­nden.

Als der frühere Innenminis­ter Christophe Castaner im Juni bestehende Missstände deutlicher als zuvor ansprach und „eine Null-toleranz-linie“gegenüber Polizeigew­alt und rassistisc­hen Ausfällen in den Reihen der Polizei ankündigte, organisier­ten diese Proteste, da sie sich unter Generalver­dacht gestellt fühlten. Castaner wurde bei der Regierungs­umbildung Anfang Juli mit dem bisherigen Budgetmini­ster Gérald Darmanin ausgetausc­ht. Diesem bleibt nun die schwere Aufgabe, das Vertrauen in die Polizei zu erhöhen.

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Foto: Daniel Cole, dpa Eine Demonstran­tin kniet während eines Protests in Marseille vor Bereitscha­ftspolizis­ten und hält ein Schild mit der Aufschrift „Die Polizei tötet“.

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