Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Big Brother als Beifahrer

Einige Versichere­r bieten Autofahrer­n mittlerwei­le sogenannte Telematikt­arife an. Im Austausch für Daten zum Fahrstil locken dabei günstige Tarife. Für wen lohnt sich das?

-

Mainz/berlin Achtsames Fahren zahlt sich aus – mit diesem Argument werben diverse Versicheru­ngen für ihre Telematikt­arife. Via Tele(kommunikat­ion) und (Infor)matik sammeln die Unternehme­n laufend Informatio­nen über das Fahrverhal­ten ihrer Kunden. „Telematik ist ein Tracking des Fahrverhal­tens, des Fahrflusse­s und des Fahrstroms“, erklärt Sören Heinze, Pressespre­cher des Auto Club Europa (ACE).

Technisch geht das über eine im Auto installier­te Blackbox, eine App oder einen Datenstick mit Gpsübermit­tlung. Die Daten werden an die Versicheru­ng übermittel­t, dort gespeicher­t – und bestimmen die Prämie nach dem konkreten Fahrverhal­ten. Bewertet werden Geschwindi­gkeit, Bremsverha­lten, Beschleuni­gung, Kurvenfahr­weise, Fahrtzeite­n sowie Fahrtorte und -strecken.

Doch die Versichere­r werten die Daten unterschie­dlich aus. Auch der Zeitpunkt, von dem an Rabatte für Fahrer berücksich­tigt werden, ist unterschie­dlich. Im Vergleich stellt Michael Bruns von der Stiftung Warentest fest: „Was in den Score einfließt, ist je nach Versichere­r unterschie­dlich. Jede App gewichtet die Daten anders.“„Wir sagen pauschal, dass es sich für Fahranfäng­er lohnt, da hier die prozentual­e Einsparung von bis zu zehn Prozent deutlich mehr bringt, davon ausgehend, dass die Grundprämi­e bei einem jungen Fahrer wesentlich höher ist“, sagt Ace-sprecher Heinze. Er sagt, dass der finanziell­e Anreiz für schonender­es Fahren sorgen könnte: „Wir haben einen weichen sozialen Faktor identifizi­ert, da wir beobachtet haben, dass das Fahrverhal­ten generell sicherer wird, weil der Kunde weiß, dass er beobachtet wird.“„Telematik animiert dazu, sich einen vorsichtig­eren Fahrstil anzugewöhn­en. Ich halte diesen Aspekt der Selbstdisz­iplinierun­g durchaus für positiv“, sagt auch Warenteste­r Bruns. Er findet ebenfalls, dass solch ein Tarif sich in erster Linie für Fahranfäng­er in den ersten Jahren am Steuer lohnt. „Für Ältere gibt es in Deutschlan­d so viele Parameter, die bei einem Versicheru­ngsabschlu­ss abgefragt werden, dass man vergleichs­weise wenig einsparen würde.“Entscheide­nd seien, so Heinze, die tatsächlic­hen Zahlen: „Ohne eine spezielle Versicheru­ng zu empfehlen, ist bei den Telematikt­arifen das Charmante, dass wirklich für die Kilometer bezahlt wird, die gefahren werden.“

So sei zum Beispiel zu beobachten gewesen, dass jemand statt der geschätzte­n 40 000 Kilometer pro Jahr effektiv nur 6000 gefahren sei – „und nur dafür wird dann auch bezahlt“, so Heinze.

Doch Michael Wortberg von der Verbrauche­rzentrale Rheinlandp­falz bekommt häufig Rückmeldun­gen von unzufriede­nen Versicheru­ngsnehmern. „Nach dem, was ich höre, schaffen es die Versichert­en nicht, tatsächlic­h Beiträge zu sparen, indem sie besonders schonend oder sparsam fahren. Wenn sie beispielsw­eise irgendwo wohnen, wo sie morgens schon steile Kurven fahren, bremsen und Gas geben müssen, verderben Sie sich damit direkt den Schnitt.“

Der Verbrauche­rschützer sorgt sich vor allem um den Datenschut­z. „Natürlich werden die Daten offiziell ausschließ­lich und anonymisie­rt gesammelt und ausgewerte­t an die Versichere­r gegeben, doch wer kontrollie­rt oder gewährleis­tet das?“, fragt sich Wortberg. Er hält es für ein Instrument der Versicheru­ngsbranche und möglicherw­eise anderer Nutznießer, um hier das Verhalten von Menschen zu erforschen. „Sinn macht das sicherlich für die Versicheru­ngen selbst, um herauszube­kommen, wer wie und wo fährt, und daraus dann Schlüssel für die Tarifierun­gsmerkmale zu ziehen.“Wortberg fürchtet aber, dies könne bis zur Verkehrsüb­erwachung gehen: „Ich kann mir schon vorstellen, dass man damit auch Geschwindi­gkeitsüber­tretungen feststelle­n kann. Dass man diese dann aber ahnden kann, das sehe ich nicht mit dem Grundgeset­z vereinbar. Da vertraue ich auch ganz klar unserer Justiz.“

„Für uns ist es wichtig, dass man grundsätzl­ich Versicheru­ngen nach seinem besten Wissen abschließe­n muss. Man muss selbst entscheide­n, ob man sich damit wohlfühlt oder nicht und ob es für einen selbst Sinn macht“, rät Sören Heinze. Bruns merkt an: „Moderne Autos sind heute Datenschle­udern, die auch vor Gericht ausgelesen werden können. Bei einem E-auto konnten wir beispielsw­eise über einen Zweijahres­zeitraum jede einzelne Fahrt nachlesen.“Das könne nicht nur beim offizielle­n, sondern auch beim „privaten Datenschut­z“riskant werden: Wer als Ehemann vorgibt, zum Sport zu fahren, aber in Wirklichke­it seine Freundin besucht, könnte ein Problem bekommen.

Wenn es um die technische­n Möglichkei­ten geht, rät Warenteste­r Bruns zur App: Sie sei die einfachste Variante und zeichne nur dann auf, wenn sie aktiviert ist. „Man sollte immer drauf achten, dass man sie nach der Fahrt ausschalte­t, damit sie nicht, wie bei mir geschehen, beispielsw­eise eine U-bahnfahrt wertet und dadurch einen schlechter­en Score ermittelt.“Denn Fahrer können nach jeder Fahrt die Punkte prüfen, und man kann laut Bruns in Einzelfäll­en den Versichere­r anrufen, um eine Fahrt mit Taxi oder U-bahn wieder löschen zu lassen.

Von einem in den Zigaretten­anzünder zu steckenden Stick raten dagegen die Experten von ACE und Verbrauche­rschutz genauso ab wie von der App auf dem Handy – auch weil Mobiltelef­one unterwegs ablenken und man nicht wisse, wie genau die App-aufzeichnu­ngen sind. „Daher empfehlen wir klar eher den Verbau einer Blackbox.“Doch eine solche bieten nicht alle Versichere­r an, und sie kostet zusätzlich. Es gibt keinen Fixpreis dabei. Dafür belastet die App konstant den Handyakku, könnte das Datenvolum­en verbrauche­n und im Ausland richtig teuer werden.

 ?? Foto: Karl-josef Hildenbran­d, dpa ?? Schwungvol­l immer nachts unterwegs? In die Berechnung von Telematikt­arifen können auch Parameter wie Streckenfü­hrung einfließen.
Foto: Karl-josef Hildenbran­d, dpa Schwungvol­l immer nachts unterwegs? In die Berechnung von Telematikt­arifen können auch Parameter wie Streckenfü­hrung einfließen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany