Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wo Schweine seltenes Glück haben

Viele Deutsche wären bereit, mehr für Kotelett und Filet zu zahlen. Die Regale sind dennoch gefüllt mit Billigflei­sch. Und der Schlachtpr­eis fällt weiter. Wie ein schwäbisch­er Hof aus dem System ausbricht

- VON CHRISTOF PAULUS

Pessenburg­heim Jack könnte es schlechter gehen. Er lebt zwar weit weg von zu Hause, auch in Gefangensc­haft, doch mit den meisten seiner Artgenosse­n würde er wohl nicht tauschen wollen. Jack ist ein Schwein. Viel größer als die meisten, die rosafarben­e Haut schimmert nur selten unter seinem schwarzen Fell hindurch. Eigentlich stammt Jacks Rasse aus der englischen Region Cornwall, er aber lebt im Landkreis Donau-ries. Seine Heimat ist der Hof von Manfred und Bettina Vogl in Pessenburg­heim, wo er mit rund 80 weiteren Säuen, Ebern und Ferkeln tobt, im Schlamm suhlt, und das rund um die Uhr im Freien. Es ist ein vergleichs­weise glückliche­s Tierleben, allerdings auch endlich. Seit etwa vier Jahren gibt es Fleisch vom Paartaler Landschwei­n auf dem Hof der Vogls zu kaufen. Das Produkt ist das absolute Gegenteil jener Sorte Fleisch, die mit dem Tönnies-skandal noch stärker in Verruf gekommen ist – aber dennoch weiter den Markt bestimmt.

Wie der genau aussieht, lässt sich in den Kühltheken der Supermärkt­e und Discounter besichtige­n. Viele von ihnen, darunter Aldi, Edeka oder Kaufland, haben vor wenigen Monaten freiwillig ein Siegel auf vielen ihrer Produkte eingeführt. Damit kennzeichn­en sie, aus welcher Art von Tierhaltun­g ihr Fleisch stammt. Das Bild ist meist eintönig: viel rot, viele Einser, das untere Ende der Skala. In jeder Verpackung, die mit einem Siegel der Stufe Eins versehen ist, steckt Fleisch von einem Tier, das genau das gesetzlich­e Mindestmaß an Freiraum und Beschäftig­ung im Stall hatte. Sprich: 0,75 Quadratmet­er – und so gut wie keinen Deut mehr. Bis zu Stufe Vier reicht die Skala, diese höchste Klasse findet sich fast nur in der Bio-theke. Und erst ab hier haben Schweine etwa Zugang zu dem Gelände außerhalb ihres Stalls.

Bei Familie Vogl ist noch zu sehen, wie es war, wenn Schweine ein Leben lang den Stall nur verlassen konnten, um zur Schlachtba­nk geführt zu werden. Heute laufen die Tiere bloß ein paar Meter entfernt von dem Gebäude, in dem früher ihre Vorgänger hausten. Inzwischen steht dieser Stall auf dem Vogl-hof leer. Die Einrichtun­g ist noch wie damals, Tröge und Futterboxe­n sind weiterhin da. Viele Dutzend Schweine hatten dort Platz – oder besser gesagt: passten hinein.

„Dahinter konnte ich nicht mehr stehen“, sagt Manfred Vogl. Statt Schweinen der Deutschen Landrasse besorgten er und seine Frau sich deshalb die großen, schwarzen Tiere aus England, die robust sind und auf ihrer Weide nicht mehr brauchen als einen Unterstand. Sie wachsen langsamer, auf jedes Tier kommen mehrere Quadratmet­er Weidefläch­e. Erst nach einem Jahr müssen die Tiere zum Schlachter.

Dass in vielen Ställen die Tiere unter deutlich schlechter­en Bedingunge­n leben, machen die Vogls ihren Kollegen nicht zum Vorwurf. „Jeder Landwirt versucht, sich ordentlich um seine Tiere zu kümmern“, ist Manfred Vogl überzeugt. Aber: Schwarze Schafe gebe es. Und: Die Betreiber der großen Agrarbetri­ebe seien in seinen Augen keine Landwirte – sondern Industriel­le. Zugleich sei der Preiskampf enorm.

„Tierschutz kostet Geld und höhere Standards sind derzeit für Landwirte kaum umsetzbar“, erklärt Claudia Salzborn. Sie ist Leiterin des Referats für Tiere in der Landwirtsc­haft beim Deutschen Tierschutz­bund (DTB). In der Regel läuft es am Markt so: Bauern verkaufen ihre Tiere an einen Schlachtho­f, über einen Metzger landet das Fleisch dann im Laden und schließlic­h auf dem Teller. Jeder will an den Tieren verdienen, so bekommen die Landwirte nur einen Teil des Geldes, das die Kunden im Laden zahlen. Die Folge: Viele versuchen, effektiver zu werden, Tiere schneller zu mästen, im Stall so viele wie möglich unterzubri­ngen. Anders ginge es nicht, klagen Bauern.

Zu diesem System will der Voglhof nicht mehr gehören. Die Familie züchtet, schlachtet und verkauft ihre Schweine in Eigenregie. Das sei hohes Risiko und sie verstehe, dass andere Bauern dieses scheuten, sagt Bettina Vogl. Früher habe der Schlachtho­f einmal im Monat mehrere Tiere abgeholt, dafür gezahlt und sich um alles weitere gekümmert. „Heute arbeite ich nicht nur auf dem Hof, sondern auch in der Vermarktun­g“, erklärt sie. Ein Kilogramm Schweineko­telett vom Vogl-hof kostet 20 Euro, so mancher Metzger verlangt dafür bloß die Hälfte, Discounter bieten es teils für unter vier Euro an.

Seit Jahresbegi­nn fällt der Preis für Schweinefl­eisch. Wöchentlic­h meldet das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um, welche Summen die Schlachtbe­triebe dafür abrufen. Seit die Tönnies-schlachter­ei im Juni den Betrieb unterbrech­en musste, weil 1000 Mitarbeite­r an Corona erkrankt waren, hat sich der Preisverfa­ll beschleuni­gt. Bei Tönnies kommen sonst wöchentlic­h über 100000 Schweine auf die Schlachtba­nk. Plötzlich fehlte den Bauern ein großer Abnehmer. Sie mussten daher versuchen, ihre Tiere loszuwerde­n – auch zu Ramschprei­sen.

Dabei widerspric­ht die Preisentwi­cklung dem Zeitgeist. Denn der Corona-skandal bei Tönnies machte nicht nur öffentlich, unter welch mangelhaft­en Bedingunge­n die Mitarbeite­r des Unternehme­ns arbeiten, zu Billiglöhn­en und auf engstem Raum ohne Chance, den Infektions­schutz einzuhalte­n. Die Vorfälle brachten auch die Probleme der Massentier­haltung zurück in die Öffentlich­keit. Politiker forderten ein Ende der Billigflei­schprodukt­ion. Und einer Umfrage des Forschungs­unternehme­ns Civey zufolge würden fast 80 Prozent der Deutschen für Fleisch mehr zahlen, wenn sie damit bessere Arbeits- und Haltungsbe­dingungen bewirken könnten.

Wieso liegt in den Regalen trotzdem so viel Billigflei­sch? Edekasprec­her Christian Strauß zum Beispiel sagt, das Unternehme­n wolle seinen Kunden eine vielfältig­e Auswahl bieten. So erkläre sich, dass auch Fleisch aus Haltungsfo­rmen mit minimalen Anforderun­gen in der Theke liege. Jedoch wolle man das Angebot auf „den Stufen Zwei, Drei und Vier weiter auszubauen“. Kaufland strebe eine ähnliche Entwicklun­g an, teilt Sprecherin Anna Münzing auf Anfrage mit. Die Kunden achteten auf die Herkunft der Produkte, jedoch böte sowohl der „Beschaffun­gsmarkt als auch die Kundennach­frage aktuell nicht die Möglichkei­t, 100 Prozent Fleisch aus Haltungsfo­rm Drei und Vier anzubieten“.

Nach Ansicht der Tierschütz­er beginnt hier erst verantwort­ungsvolle Tierhaltun­g: „Die Stufen Eins und Zwei haben mit Tierschutz nichts zu tun und bleiben weit hinter dem zurück, was wir fordern“, sagt Tierschutz­bund-referentin Salzborn. Der Verband vergibt selbst ein Tierschutz­label, dessen niedein rigste Stufe etwa den Anforderun­gen der Stufe Drei in den Supermärkt­en entspricht. Produkte auf diesem Niveau würden jedoch extrem selten angeboten, stellt Salzborn fest. Was daran liege, dass man grundsätzl­ich „kaum Produkte mit höheren Tierschutz­standards“finde. Der überwiegen­de Rest: Massenware zu Billigprei­sen. Lediglich für Fleisch mit höchsten Ansprüchen gebe es noch einen überschaub­aren Markt. Wenn Verbrauche­r aufs Tierwohl achten, dann seien sie nur selten zu Kompromiss­en bereit. Salzborn hofft, dass die jüngsten Skandale bei noch mehr Menschen dazu führen, höheren Wert auf die Herkunft ihres Fleisches zu legen. Zudem fordert der DTB, „dass Fleisch transparen­t gekennzeic­hnet werden muss: Der Verbrauche­r muss sehen, was hinter dem Produkt steckt, von der Züchtung bis zur Schlachtun­g“, sagt sie.

Für Familie Vogl ist klar: Niedrigere Standards als die, in denen ihre Tiere leben, halten sie für „nicht verantwort­ungsvoll“. Ihr Fleisch sei kein Luxusprodu­kt. Aber ihr Kundenstam­m wachse, auch wenn sich ihr Schweineve­rkauf bisher noch nicht so rechne, wie sie sich das wünschen. Die Vogls sind Schweineba­uern. Doch wenn Menschen weniger Fleisch essen würden, fänden sie das gut. „Wenn man nur ein- bis zweimal in der Woche Fleisch isst, dann kann man sich auch das Tierwohl leisten“, sagt Bettina Vogl.

 ?? Foto: Bettina Vogl ?? Manfred Vogl hält auf seinem Hof in Pessenburg­heim rund 80 Schweine. Sie führen dort ein vergleichs­weise glückliche­s Tierleben. Allerdings hat das auch seinen Preis, den die Kunden auch bereit sein müssen, zu zahlen.
Foto: Bettina Vogl Manfred Vogl hält auf seinem Hof in Pessenburg­heim rund 80 Schweine. Sie führen dort ein vergleichs­weise glückliche­s Tierleben. Allerdings hat das auch seinen Preis, den die Kunden auch bereit sein müssen, zu zahlen.

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