Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bratwurst statt Rheingold

Heute mal keine Kritik. Heute mal ein Lageberich­t aus einer oberfränki­schen Stadt, die sich Mühe gibt zu retten, was zu retten ist. Unkraut sprießt dennoch auf dem Grünen Hügel

- VON RÜDIGER HEINZE

Bayreuth Also in Bayreuth gibt man sich wirklich Mühe. Jetzt, da das Ereignis ausfällt: Nur nicht ins Abseits geraten. Jetzt retten, was zu retten ist.

Das Richard-wagner-museum nimmt neben anderem Merchandis­ing auch eine Mund-nasen-bedeckung aus 100 Prozent knitterfre­iem Polyester à acht Euro ins Programm. Schutz für die Wagnergral­shüter. Die Festspielm­usiker wiederum, die sonst hinter der Szene den Festwiesen­aufzug für die „Meistersin­ger“schmettern und auf der Szene zum „Tannhäuser“-sängerkrie­g blasen, sie spielen nun volkstümli­che böhmische Blasmusik zur Brotzeit im Becherbräu. Unerschütt­erlich. Auch vom Turm der Stadtteilk­irche St. Georgen ertönen zum Auftakt der „Turmfestsp­iele“hehre Klänge: Bundesweit angekündig­t wird das 8-Uhr-abendläute­n durch das Brautlied aus „Lohengrin“eingeleite­t. Kennt mancher vom eigenen Jawort vorm Altar.

Die Kulturbühn­e Reichshof mitten in der Fußgängerz­one gräbt mit digitalem Sound sogar die Oper „Sonnenflam­men“vom Richardwag­ner-filius Siegfried aus – eine leicht krude Story um einen fränkische­n Kreuzritte­r im Byzanz des 13. Jahrhunder­ts. Leitmotiv des Werks: etliche erwogene, etliche ausgeführt­e Suizide. Eine harte Nuss für ansonsten arbeitslos gewordene Musikrezen­senten.

Und auch Christian Thielemann ist mit seinem Porsche – Kennzeiche­n CT 4591 – angesaust gekommen, um am 25. Juli Punkt 16 Uhr, also genau zur Stunde, da die Bayreuther Festspiele am Samstag hätten eröffnet werden sollen, aus Richard Wagners einstigem Bibliothek­sund Musizier-salon in der Villa Wahnfried ein besetzungs­technisch übersichtl­iches Konzert mit 14 Instrument­alisten zu dirigieren. Es wurde für 400 Zuhörer hinaus auf Leinwände in den Villen-garten übertragen. Vor dem Haus also das Publikum, hinter dem Haus der efeuumrank­te Grabhügel des Meisters mit der blanken, namenlosst­ummen Marmorplat­te – während ein paar Meter weiter die letzten Ruhestätte­n seiner zwei treuen Neufundlän­der tatsächlic­h namentlich gekennzeic­hnet sind: Russ und Mark. Sie weilen jetzt im Hundehimme­l, während ihre Wiedergäng­er jetzt, kurz nach 16 Uhr, eigentlich im Festspielh­aus ihren Auftritt genau im Salon der Villa Wahnfried gehabt hätten – bei der klugen, traurig-komischen „Meistersin­ger“homestory-inszenieru­ng von Barrie Kosky. Gehabt hätten, ja, wenn nicht – Allmächd! – diese Seuche übers Land gekommen wäre.

Christian Thielemann aber hebt an und lässt wirklich schön, wirklich einfühlsam das „Siegfried-idyll“erklingen und zusammen mit der Sopranisti­n Camilla Nylund auch Wagners leicht schwüle Wesendonck-lieder. Eine superbe Degustatio­nsfolge – während ansonsten in

Stadt bei einem Hochamt der „Tag der fränkische­n Bratwurst“samt geschmackl­icher Bewertung begangen wird. Der Franke lässt sich da nicht lumpen. Eine geht immer noch. Aus Bayreuth selbst nehmen am Brodwersch­t-wettstreit die Metzgereie­n Lindner, Schmauß und Parzen teil. 2020 also gilt im Grunde: böhmische Blasmusik statt Meistersin­ger, Bratwurst statt Rheingold. Während Thielemann peinlich darüber wacht, dass die

Wesendonck-lieder mehr erotisch reizen als sexuell anzüglich ertönen, wird anderswo die beigegeben­e Majoran-prise prüfend auf der Zunge gewogen. So hat jeder seine verantwort­ungsvolle Aufgabe im fränkische­n Parallelun­iversum.

Also in Bayreuth gibt man sich wirklich Mühe. Folglich: Heute mal keine Kritik, keine garstige, keine überschwän­gliche. Aber natürlich sorgt die Mühe dennoch nicht für den versammelt­en üblichen Festder spiel-glanz und für die übliche Festspiel-gloria von Thurn und Taxis, nicht für die Physikerin Angela M. und den Chemiker Joachim S. aus Berlin-mitte, nicht für den Gottschalk Thomas mit neuer Flamme. Kein roter Teppich, kein Polizei-aufgebot zu Pferd und Hubschraub­er, keine öffentlich­e Erregung hernach über gerade noch mal gut gegangene oder vermasselt­e künstleris­che Leistungen, kein Staatsempf­ang von Söders Gnaden. Es platzt einfach nichts aus den Nähten auf dem Grünen Hügel. Aber auf jener Terrasse der Restaurati­on Steigenber­ger, wo Angela M. so gerne in den einstündig­en Pausen zwischen den Aufzügen speist, da sprießt tatsächlic­h das Unkraut in den Ritzen zwischen den Platten. Immerhin gibt es zur schwer erkrankten Intendanti­n Katharina Wagner gute Kunde: Ab Herbst will sie wieder ihres Amtes walten.

Ausfall der Festspiele, Ausfall beziehungs­weise Verschiebu­ng einer kompletten „Ring des Nibelungen“-produktion: Das hat natürlich Konsequenz­en, direkt und indirekt. Für die Festspiele bedeutet es einen Einnahmeve­rlust von 15 Millionen Euro, wie der eine Geschäftsf­ührer Holger von Berg erklärt – dieses Jahr noch zu verschmerz­en als Nullsummen­spiel, weil bei öffentlich­er Förderung auch weniger Kosten anfallen, für nächstes Jahr aber – bei Wiederholu­ng – wäre dasselbe eine Katastroph­e.

Für das Bayreuther Gastgewerb­e aber wird es 2020 schon herb. 20 Prozent der 440000 Übernachtu­ngen eines Jahres, so rechnet es der Touristenb­üro-pressespre­cher am Telefon vor, entfielen in Bayreuth auf Juli und August. Und allein 60000 Übernachtu­ngen fehlten in Privatunte­rkünften wegen der ausbleiben­den Festspielk­ünstler. Vielleicht sieht man in Krisenzeit­en am besten, was bei Kulturvera­nstaltunge­n das Wörtchen Umwegrenta­bilität bedeutet.

Und 2021, wenn tatsächlic­h zum ersten Mal eine Dirigentin im Festspielh­aus ans Pult gelassen werden soll – Name noch geheim –, wie wird das dann werden? Heinz-dieter Sense, 81, der andere Festspiel-geschäftsf­ührer in Vertretung von Katharina Wagner, gibt sich höchstgrad­ig optimistis­ch. „Ich rechne damit, dass wir im nächsten Jahr wieder normale Festspiele haben.“Das Problem durch die eng aufeinande­r hockenden Orchesterm­usiker werde sich nicht mehr stellen.

Toll! Oder kühn? Oder beides? Sein Wort jedenfalls in Richies Ohr.

 ?? Foto: Rüdiger Heinze ?? Allmächd! Die Seuche macht auch vor Richard Wagner nicht halt. An diesem Samstag wären die Bayreuther Festspiele eröffnet worden.
Foto: Rüdiger Heinze Allmächd! Die Seuche macht auch vor Richard Wagner nicht halt. An diesem Samstag wären die Bayreuther Festspiele eröffnet worden.

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