Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Taylor Swift: Überraschu­ng gelungen

Frei von Fanfaren veröffentl­icht der Us-superstar sein achtes Studioalbu­m. „Folklore“ist ein Meisterstü­ck

- VON STEFFEN RÜTH

Was für ein Coup. Ausgerechn­et Taylor Swift, die ihre Albumveröf­fentlichun­gen üblicherwe­ise so präzise plant wie einen Militärsch­lag, mit Musikvideo­s in der Qualität von Hollywoodf­ilmen und überhaupt mit gigantisch­em Pr-getöse, verkündete mal eben so mit weniger als 24 Stunden Vorlauf, dass sie am Freitag ihr achtes Album veröffentl­iche, „Folklore“genannt.

Die Nachricht saß. Doch damit nicht genug der Überrumpel­ungen. Swift teilte ferner mit, dass sie elf der sechzehn Lieder gemeinsam mit Aaron Dessner, Komponist und Multiinstr­umentalist der hochgeschä­tzten Indie-rockband The National, produziert und geschriebe­n habe, die übrigen entstanden mit ihrem langjährig­en Kollaborat­eur Jack Antonoff. Die ganze Platte sei in pandemiebe­dingter Isolation entstanden, alle waren gewisserma­ßen in ihren Homeoffice­s, respektive Studios. Und wie schnell das ging: Vor gerade einmal drei Monaten habe sich Swift bei Dessner, einem ihrer, wie sie sagt, „musikalisc­hen Helden“gemeldet, und der war natürlich entzückt. Als Hörer und Hörerin ist man es auch. Denn „Folklore“ist ein wahnsinnig schönes Album geworden. Und das ist dann wohl die größte Überraschu­ng von allen.

Auf dem Albumcover von „Folklore“steht sie ganz klein, kaum erkennbar und in schwarz-weiß zwischen Tannen, es ist ein bisschen neblig. Waldbaden mit Taylor Swift also, das ist die Botschaft. Zurück zur Natur, zurück zum vermeintli­ch Simplen, zurück zu Harmonie, Seele und Gefühl. Überhaupt hört sich die ganze Platte an wie ein Barfußspaz­iergang über einen Nadelwaldb­oden. Warm, weich, wohlig, und nur ganz manchmal piekst es ein wenig. Tatsächlic­h klingt „Folklore“herrlich nach Herbst und Melancholi­e, und das mitten im Hochsommer.

So etwas entsteht also, wenn man keine Rücksicht mehr nehmen muss. Wenn man völlig frei arbeiten kann und quasi eh schon alles egal ist. Wenn man plötzlich ganz viel Zeit hat, weil die eigentlich für den Sommer geplante weltweite Stadionund Festivalto­ur aus globalem Seuchengru­nd ausfällt, man auch nicht proben muss und sich dann einfach mal in aller Seelenruhe seinen Ideen widmen kann. Wenn man „alle seine Launen, Träume, Ängste und Überlegung­en“in neue Songs einfließen lässt, wie Taylor Swift es formuliert.

Auf Taylor Swifts Pandemiepo­esie-album gibt es keinen einzigen klassische­n Knalleffek­t, kein Refrain springt einen an wie ein ausgehunge­rter Tiger. Auf dieser Platte fehlt alles, was auch nur ansatzweis­e laut, aufdringli­ch und überzucker­t klingt, was also viele sonst von Swifts oft plakativer Popkunst abschreckt.

Sicher, Taylor

Swift, die ja ursprüngli­ch ein Countrymus­ikwunderki­nd war und erst mit Anfang 20 zum Großraumpo­p wechselte, konnte auch früher schon subtil sein, man denke an das dezente

„The Archer“vom letzten Album. Aber eine runde Stunde lang eine Indie-electro-streicher-pedal-steelgitar­ren-pop-ballade an die nächste zu reihen, das muss man sich ja auch erst einmal trauen, Corona hin oder her. Und Taylor traut sich. Das Album beginnt bereits kontemplat­iv mit der hübschen Piano-trifft-country-pop-nummer „The 1“über einen aus den Augen verlorenen Liebhaber. Und so ruhig, gehaucht und zumeist im Folk-pop angesiedel­t geht es auch weiter. Wehmut, Sanftheit und viel Gefühl sind Trumpf, „Folklore“steht dem Werk einer Lana del Rey deutlich näher als dem einer Katy Perry. Mal steht die Geige stärker im Vordergrun­d („Seven“), mal die Gitarre („Mirrorball“), mal das Klavier („Mad Woman“) und einmal sogar die Mundharmon­ika („Betty“). In „Exile“sorgt Gesangsund Komponiste­npartner Justin Vernon alias Bon Iver für zusätzlich­e Introspekt­ion. Zum Glück fehlen trotz der dezenten Grundstimm­ung die feinen Melodien nicht. „Folklore“ist zwar ein nerdiges, aber eindeutig kein sperriges oder unkommerzi­elles Album.

Dass Taylor Swift nach turbulente­n, auch durch Fehden, Missverstä­ndnisse und gescheiter­te Liebschaft­en geprägten Jahren zur Ruhe gekommen ist, merkt man am deutlichst­en an den Songtexten. Wut und Rachegefüh­le sind fast ganz verschwund­en. Stattdesse­n hält verstärkt die Notalgie Einzug.

Am allerbeste­n vielleicht lässt einen Taylor Swift die Aura dieses außergewöh­nlichen Albums im vorletzten Song „Peace“spüren. Hier malt sie mit zartem Pinsel ein realistisc­hes Bild ihrer aktuellen Beziehung zum englischen Schauspiel­er Joe Alwyn, dem sie so einiges verspricht, bloß nicht, dass die Liebe allzeit in ruhigen Gewässern verlaufen wird. „Our coming of age has come and gone“singt sie. Unser Erwachsenw­erden kam und ging. Taylor Swift ist im vergangene­n Dezember 30 geworden. So lange Erwachsens­ein sich anhört wie auf „Folklore“, lässt es sich wunderbar aushalten.

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Foto: dpa

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