Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Banker erschlug Frau mit Sparstrump­f

Die Polizei vermutete einen Raubmord. Dann wurde der Vermögensb­erater des Opfers von einem Lkw erfasst. Nun endet der Prozess um einen Mann, der 20 Jahre mit einem Geheimnis lebte

- Christina Peters, dpa

Wiener Neustadt Fünf Stunden bevor seine älteste Kundin stirbt, mietet Finanzbera­ter Peter I. einen Geländewag­en. „Bei der Begehung einer Tat sollte man nicht mit dem eigenen Auto hinfahren“, erklärt er fast ein Jahr später vor Gericht. Angeklagt wegen Mordes ist er selbst. Der Banker beschreibt, wie er über Monate mit dem Gedanken spielte, die 86-Jährige mit einer Socke voller Münzen zu erschlagen oder mit Frischhalt­efolie zu ersticken. Der Mietwagen: „Das war eine weitere Facette, die ich überlegt hatte.“

Wenn das Landgerich­t Wiener Neustadt in Österreich an diesem Dienstag ein Urteil spricht, droht dem 62-Jährigen lebenslang­e Haft. Dass er die alte Frau im Herbst 2019 aus Angst um seine Reputation mit dem Sparstrump­f, der Folie und schließlic­h den bloßen Händen umgebracht haben soll, gesteht er. Einen kaltblütig­en Plan weist seine Verteidige­rin zu Prozessbeg­inn am vergangene­n Dienstag zurück. 20 Jahre voller angestaute­r Schuldgefü­hle hätten sich im Affekt entladen. „Damit hat vor Jahrzehnte­n ein Unglück seinen Lauf genommen.“

Der fatale Fehler beginnt mit einem Aktiencras­h. Seit den späten 1980ern arbeitet Peter I. in der Bankbranch­e. Ebenso lange verwaltet er das Vermögen von Emma S., die er noch als junger Jurist in Niekenneng­elernt hat. Rund 400000 Euro Erbe aus einem Bauunterne­hmen legt er für sie etwa in Us-aktien an. Bald sind die Depots 700 000 Euro wert.

Beim ersten kleinen Verlust habe die Kundin wütend reagiert, sagt der Banker. Ende der 90er kostet sie ein Kursabfall 140000 Euro. „Das habe ich ihr dann verschwieg­en.“Er habe gehofft, das Geld wachse wieder. „Der Anfang dieser Lebenslüge“, sagt seine Anwältin. „Eine ständige Last, die er in diesen Jahrzehnte­n mit sich getragen hat.“

In den nächsten zwei Jahrzehnte­n steigt Peter I. zum Topmanager und Gerichtsgu­tachter auf. Doch die Lüge, von der er niemandem erzählt, sitzt dem Familienva­ter im Nacken. Er fährt Emma S. persönlich in Filialen, um ihre Geldgeschä­fte zu regeln. Die Kundin entnimmt, so sagt er, mehrere Sparbücher, kauft eine Immobilie – das Geld schmilzt.

Mit falschen Zahlen gaukelt er ihr bis zum Schluss vor, ihr Gesamtverm­ögen läge bei 700000 Euro, dabei soll eher ein Zehntel übrig geblieben sein. 2017 seien ihre Konten de facto leer gewesen, zitiert das Gericht einen Zeugen. Als Emma S. ihr Vermögen dann bei ihrer Hausbank zusammenzi­ehen will, ist das Spiel aus. Davon abbringen kann Peter I. sie nicht – nur bis September 2019 vertrösten. Er habe gehofft, dass sie einfach sterbe, sagt er. Und auch einen Suizid erwogen. „Das war eine Denkmöglic­hkeit.“Und dann gab es eine dritte Option.

Vielleicht sei ihm die Idee beim Lesen gekommen, sagt der Banker. Er füllt eine seiner Markensock­en mit Münzen, ein Kilo wiegt der Sparstrump­f. Dreimal sei er in dem Sommer zu Beratungsg­esprächen ins Haus der Rentnerin gefahren. „Den furchtbare­n Strumpf habe ich beim ersten Mal schon mitgehabt.“Er habe erwogen, sie erst mit dem Strumpf zu attackiere­n, dann ihren

Kopf gegen die Kellertrep­pe zu schlagen und einen Haushaltsu­nfall vorzutäusc­hen: „Das wäre eine denkmöglic­he Variante gewesen.“

Drei Tage bevor die Lüge bei einem Banktermin wohl aufgefloge­n wäre, mietet Peter I. schließlic­h das Auto. Was dann passiert, beschreibe­n er und die Anklage so: Am 16. September fährt er von Wien in sein Seehaus, zieht sich um, schreibt seiner Frau eine SMS und lässt sein Smartphone zurück. Abends parkt er vor dem Haus von Emma S. und nimmt sein Kennzeiche­n ab.

Er klingelt. Ob er die Toilette bederöster­reich nutzen könne? Dann hätten sie kurz geplaudert. Und er habe der schockiert­en Frau schließlic­h alles gestanden. Peter I. berichtet von einem Streit, dann habe ein Nachbar geklopft. Der Nachbar sagt aus, er habe sich gemeldet, als er eigenartig­es Stöhnen gehört habe. Als unstrittig gilt, dass der Bankberate­r im Flur mit dem Sparstrump­f ausholt. Zehn Schläge zählt der Gerichtsme­diziner am Kopf der Frau. Er habe ihr die Frischhalt­efolie ins Gesicht gedrückt, dann Mund und Nase mit den Händen zugehalten. „Es war dann völlige Stille“, so Peter I. „Da war es mir klar, jetzt ist es vorbei.“

Wenige Stunden später läuft er auf eine nahe Autobahn, wohl um sich umzubringe­n. Ein Lastwagen kann ausweichen, der zweite schleudert ihn schwer verletzt davon. Als er aus dem Koma aufwacht, sagt er aus – „umfassend und reumütig“, betont die Verteidigu­ng. Warum einen Mord erwägen, statt irgendwie den Fehler zu beichten? Vor Gericht taucht die Frage immer wieder auf. Sie hätte ihm vielleicht den Fehler, aber niemals die jahrelange Lüge verziehen, versucht der 62-Jährige zu erklären. Er habe Angst um seinen Beruf gehabt. Eine Antwort, warum er trotz aller „denkbaren Varianten“am Ende keinen anderen Ausweg sah, bleibt er schuldig.

Er beichtete ihr alles – und griff zur Socke

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