Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Diese Aktion war mindestens unklug

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

Naiv ist, wer Umstände und Handlungen nicht angemessen bewerten kann. Kleine Kinder sind oft naiv. Das ist manchmal lustig, traurig und bezaubernd zugleich. Wenn Kinder zum Beispiel lernen müssen, dass Menschen sterben. Dann stellen sie Fragen. Ob denn der Gestorbene Hunger hat. Oder ob es da, wo er jetzt ist, auch Kuscheltie­re gibt. Das Traurige verliert in diesen Momenten von seinem Schrecken.

Anders verhält es sich, wenn Erwachsene naiv sind. Oft gelte naiv als Synonym für leichtgläu­big, arglos, leicht verführbar oder unwissend, schreibt Wikipedia. Man möchte dumm oder mindestens unklug zu der Liste hinzufügen. Denn mindestens unklug ist es, unreflekti­ert Propaganda­material aus der Ns-zeit auf dem Twitteracc­ount des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) zu veröffentl­ichen. So geschehen am Ende der vergangene­n Woche.

Ein Jahr vor Beginn der verschoben­en Sommerspie­le von Tokio wollte die Pr-abteilung des IOC an den ersten olympische­n Fackellauf erinnern. Der fand korrekterw­eise im Vorfeld der Olympische­n Spiele 1936 in Berlin statt – perfekt ausgeschla­chtet von den Nazi-propagandi­sten. Szenen aus Leni Riefenstah­ls Film „Olympia“sind in dem kurzen Video des IOC zu sehen.

Es sollte sich auch bis in die höchsten Gremien des IOC herumgespr­ochen haben, dass beim Umgang mit dem Dritten Reich allergrößt­e Sensibilit­ät gefordert ist. Es bedarf zwingend einer historisch­en Einordnung, wenn Propaganda­material der Nationalso­zialisten verwendet wird. Denn es sollte sich ebenfalls herumgespr­ochen haben, dass die Nazis die Olympische­n Spiele 1936 vor allem dazu nutzten, das eigene Image aufzupolie­ren, während am Horizont schon die größte Katastroph­e der Menschheit heraufdämm­erte.

Quasi nebenbei schufen die Nationalso­zialisten eine Vorlage, die zur Nachahmung anregt. China darf sich nach den Sommerspie­len 2008 bald auch als Gastgeber der Winterspie­le 2022 vor den Augen der Weltöffent­lichkeit in ein günstiges Licht rücken. Gleichzeit­ig werfen die Vereinten Nationen und zahlreiche westliche Regierunge­n China vor, mehr als eine Million Uiguren und andere Muslime in Lagern interniert zu haben.

Angesichts dieses Rahmens wirkt das kleine Filmchen des IOC schon sehr naiv, um es vorsichtig zu formuliere­n. Nach lauter Kritik in den Kommentars­palten wurde es inzwischen von der Seite genommen. Immerhin.

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Foto: dpa Olympische Spiele sind oft auch ein Spielball der Weltpoliti­k.
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