Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Riis nickt – und Ullrich jagt davon

Der Däne führt das Telekom-team bei der Tour de France an und soll 1997 den Titel verteidige­n. Ein deutsches Teammitgli­ed hat jedoch etwas dagegen (Teil 4)

- VON JOHANNES GRAF

Ehe sich bei Bjarne Riis die Erkenntnis durchsetzt­e, hatte es ein paar Tage gedauert. Neun Etappen hatten die Radfahrer auf der Rundfahrt durch Frankreich absolviert. Die Favoriten auf den Gesamtsieg hatten sich positionie­rt, in den Bergen wollten sie die entscheide­nden Minuten Vorsprung herausfahr­en, um triumphier­end auf der Champsélys­ées ins Ziel zu rollen.

Dass der Sieg über das Team Telekom gehen würde, stand außer Frage. Kapitän Riis führte den deutschen Rennstall an. Der Däne wollte den Titel vom Vorjahr verteidige­n, seine Helfer sollten ihn auf engen Straßen die Gipfel hinauftrag­en. Doch Riis schwächelt­e. Während ein jüngeres Teammitgli­ed schon tags zuvor die Serpentine­n hinaufgefl­ogen war.

Jan Ullrich hieß er, 23 Jahre jung, eines der größten deutschen Radtalente aller Zeiten. Im Vorjahr war Ullrich bereits Tour-zweiter geworden, jetzt wollte er die Krönung. Es waren jene Tage, als nachmittag­s Millionen Menschen vor dem Fernseher saßen, um körperlich­e Grenzerfah­rungen

zu bestaunen. Erik Zabel und Co. fasziniert­en. Dass diese außergewöh­nlichen Leistungen – wie sich später herausstel­len sollte – nicht nur täglichem Training zu verdanken waren, sondern auch Doping, darüber sahen die Radsportfa­ns damals hinweg.

15. Juli 1997. Zehnte Etappe. 252,5 Kilometer von Luchon nach Andorra Arcalis. Im Schlussans­tieg soll Ullrich seinem Kapitän helfen, soll das Tempo in der Spitzengru­ppe hochhalten. Einmal lässt sich der

Edelhelfer sogar zum Teamfahrze­ug zurückfall­en. Ullrich beeindruck­t mit seiner ruhigen Fahrweise. Bleibt auf dem Sattel sitzen, während alle anderen stehen. Riis kämpft gegen die Konkurrent­en, vor allem aber gegen sich selbst.

Dann kommt der entscheide­nde Moment: Riis gesteht seine Niederlage ein, gibt nach, stellt sich in den Dienst des Teams. Der Däne gibt Ullrich das Okay, auf das dieser so lange gewartet hat. Riis nickt, sagt: „Wenn du dich stark genug fühlst, fahr los.“Und Ullrich fährt los. Mehr noch, er jagt den Berg hinauf. Namhafte Konkurrent­en wie Richard Virenque oder Marco Pantani hängt er scheinbar mühelos ab. Für Ullrich untypisch geht er sogar in einer der zahlreiche­n Kurven aus dem Sattel. Im Ziel weist er 1:08 Minuten Vorsprung auf. Dokumentie­rt werden die neuen Kräfteverh­ältnisse durch Ullrichs Gelbes Trikot, im Team Telekom schlüpft er in die Chefrolle. Fortan muss Riis sich seinem jüngeren Teamkolleg­en unterordne­n. In beeindruck­ender Manier gewinnt Ullrich die Tour de France. Über neun Minuten Vorsprung hat er in Paris auf Virenque, gar 14 auf Pantani und über 26 auf Riis.

Ullrich löst hierzuland­e einen regelrecht­en Hype aus, Freizeitfa­hrer radeln in Magenta-trikots sonntags über Landstraße­n. Sein Alter, seine Dominanz, seine Anlagen – Ullrich scheint prädestini­ert, eine Ära einzuleite­n. Was nach dem Triumph 1997 niemand glaubte: Ullrich sollte die Tour de France trotz seiner Anlagen kein weiteres Mal gewinnen. So oft er es auch probierte.

Im Sport hatte er große Momente, in Erinnerung bleiben werden aber ebenso private Eskapaden und die Verwicklun­g in den Dopingskan­dal mit dem spanischen Sportmediz­iner Eufemiano Fuentes.

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Foto: dpa Die Rollen sind hier bereits vertauscht: Bjarne Riis (vorne) als Helfer von Jan Ullrich (im Gelben Trikot).

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