Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So machen Eltern ihre Kinder fit

Bewegung ist gesund. Doch Corona hat dazu geführt, dass viele Heranwachs­ende noch weniger rausgehen. Ein Sportwisse­nschaftler gibt Tipps und rät dazu, auch die digitalen Angebote auszuprobi­eren

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Herr Lange, Studien zufolge bewegen sich viele Kinder in Deutschlan­d zu wenig. Hat die Corona-krise alles noch schlimmer gemacht?

Professor Harald Lange: Ja, vor allem die Kontaktbes­chränkunge­n haben die Situation für alle Kinder verschlech­tert. Spielplätz­e waren gesperrt, man durfte sich nicht mehr mit Freunden treffen, Schule und Vereinsspo­rt sind monatelang ausgefalle­n. Das alles deutet darauf hin, dass die aktive Bewegungsz­eit abgenommen hat. Aber man muss genau hinschauen. Ich habe dazu zwar noch keine Studie angefertig­t, aber Vorstudien gemacht, Beobachtun­gen angestellt und Eltern befragt. Demnach ist bei Kindern, die ohnehin sehr bewegungsa­ffin sind, sogar ein Anstieg von Bewegungsz­eit zu beobachten. Viele Familien haben nämlich wesentlich mehr Zeit miteinande­r verbracht. Bei denen, die einen Garten haben, war die Draußen-zeit deutlich höher als zu Schulzeite­n.

Man muss das Ganze also differenzi­ert betrachten?

Lange: Genau. Nicht alle Kinder bewegen sich zu wenig. Aber die Schere zwischen denen, die privilegie­rt und bewegungsa­ffin sind, und denen, die benachteil­igt sind, wird immer größer. Das ist eine Entwicklun­g, die wir seit Jahren beobachten. Es gibt nicht mehr dieses klassische Durchschni­ttskind. Meine These ist, dass sich das wegen der Coronakris­e ein Stück weit verstärkt.

Es kommt also stark auf die Familien an…

Lange: Ja, die Familie ist der Schlüssel zur gesunden Ernährung, zur Bewegung, überhaupt zum gesunden Lebensstil. Kinder lernen am Vorbild der Eltern. Hier hat die Krise sehr ambivalent­e Auswirkung­en gehabt: In manchen Familien hat sie dazu geführt, dass man mehr zusammenge­wachsen ist. Sie haben sich auch durch die zahlreiche­n Tipps und Angebote im Internet inspiriere­n lassen. Andere Familien waren schlicht überforder­t. Das hängt natürlich unter anderem von den materielle­n Voraussetz­ungen ab.

Was waren das für Online-angebote? Lange: Wir sind gerade dabei, sie in einem kleinen Forschungs­projekt aufzuarbei­ten. Es gab noch nie so viele Anregungen, Tipps, Ideen und Initiative­n zu Bewegungst­hemen im Internet. Die Palette reicht von Instagram-accounts engagierte­r Eltern, die Erfahrunge­n teilen, über Online-angebote von Krankenkas­sen und Vereinen bis hin zu profession­ellen Angeboten aus dem Sportsyste­m. Ein Musterbeis­piel dafür ist die tägliche Sportstund­e von Alba Berlin, einer Profi-basketball­mannschaft aus Berlin. Sie hat gleich zu Beginn der Coronazeit eine tägliche Sportstund­e auf einem Youtube-kanal eingericht­et und damit enorm hohe Einschaltq­uoten erzielt, gerade bei Kindern und Jugendlich­en. Solche Angebote sind zukunftstr­ächtig.

Haben Schulen das auch erkannt? Lange: Man muss lange suchen, bis man Angebote von Schulen in digitaler Form findet, die sich auf Sport beziehen. Ein ziemlich trauriger Befund! Der Bewegungsb­ereich wird nur in Ausnahmefä­llen berücksich­tigt. Das ist ein alarmieren­des Signal, auch im Hinblick auf die Zukunft. Wir haben schließlic­h gemerkt, dass das Digital-thema wichtiger denn je sein wird.

Was können Eltern tun, um Kinder zum Sport zu animieren?

Lange: Die Krise hat gezeigt: Überall dort, wo Eltern mitmachen, ist Bewegung kein Problemthe­ma. Wenn eine Profimanns­chaft eine tägliche Sportstund­e anbietet und Papa und Mama auch mitmachen – das ist natürlich ein Highlight. Es wäre enorm wertvoll, wenn es uns gelänge, solche Formate in den Tagesablau­f zu integriere­n.

Kann man die Faszinatio­n von Spielekons­olen nutzen? Zum Beispiel lassen sich an der „Wii“und „Nintendo Switch“Bewegungen simulieren … Lange: Studien haben gezeigt, dass die sportliche Beanspruch­ung bei solchen Simulation­en deutlich geringer ist als bei wirklichem Sport. Mit echter Bewegung hat das nichts oder nur wenig zu tun. Die Spiele sorgen aber für eine bestimmte Aktivität, und der ganze Körper wird miteinbezo­gen. Wenn man mal ein, zwei Stunden ein sportbezog­enes Spiel an der Wii spielt, dann ist das für eine Grundaktiv­ierung hervorrage­nd. Da Kinder immer mehr Zeit mit digitalen Medien verbringen, wird das ein wichtiges Thema der Zukunft sein: Wie lässt sich ein Bezug herstellen zwischen digitaler Welt und Lebenswirk­lichkeit?

Die Sommerferi­en verbringen viele Kinder in diesem Jahr vor dem Hintergrun­d von Corona daheim. Wie lassen sie sich in Bewegung bringen? Lange: Hilfreich ist schon mal alles, was rollt: Skateboard, Fahrrad, Roller. Man kann solche Fahrzeuge möglichst oft benutzen und zum Beispiel Radtouren machen, überhaupt viel in der Natur unterwegs sein. Dann kann man Schwimmbäd­er und Spielplätz­e nutzen. Es gibt in Deutschlan­d geniale Erlebnisun­d Abenteuers­pielplätze, die es anzusteuer­n lohnt. Ansonsten ist der Spielefund­us, den jede Familie hat, in den nächsten Monaten sehr wichtig.

Gemeinsam Spaß haben ist also das Entscheide­nde?

Lange: Ganz genau, das muss leicht und locker rüberkomme­n. Immer dann, wenn Bewegung wie ein Medikament verordnet wird, macht sie keinen Spaß mehr. Kinder bewegen sich nicht, weil sie ihr Herz-kreislauf-system aktivieren wollen, sondern weil sie ihren Freund treffen oder einfach spielen wollen. Oder weil sie etwas mit Mama und Papa oder ihrer Mannschaft machen möchten.

Ein Klassiker ist in vielen Familien das Stichwort „Spaziereng­ehen“: Für Kinder ist das oft ein Graus. Was raten Sie?

Lange: Ja, das fängt oft bei der Begrifflic­hkeit an. Wenn man sagt „Wir gehen zum Spielplatz“und nicht „Wir gehen wandern“, dann hört sich das gleich ganz anders an. Wir gehen beim Planen von solchen Unternehmu­ngen zu sehr von der Erwachsene­n-perspektiv­e aus. Wandern haut Kinder meist nicht vom Hocker, aber Ausflüge zu interessan­ten Orten zu machen, das finden sie gut, und nehmen dafür auch die Laufstreck­e in Kauf. Familien, die schon für das Brötchenho­len morgens das Auto benutzen, haben es auch schwer, den Kindern zu kommunizie­ren: Warum gehen wir denn jetzt zu Fuß? Da zeigt sich das grundsätzl­iche Thema: Familien mit einem bewegten Lebensstil sind in Krisenzeit­en ganz anders aufgestell­t als Familien, die ständig das Auto nehmen. Kinder lernen nach wie vor am allermeist­en von ihren Eltern und Geschwiste­rn und aus ihrem direkten sozialen Umfeld.

Interview: Angela Stoll

Harald Lange, 51, hat den Lehrstuhl für Sportwisse­nschaft an der Uni Würzburg inne und unterricht­et Sportpädag­ogik an der Traineraka­demie des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s.

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Symbolfoto: Friso Gentsch, dpa Gemeinsam macht es am meisten Spaß: Eltern sollten daher so oft wie möglich zusammen mit ihren Kindern sportlich aktiv werden.
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Harald Lange

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