Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Friedensfe­st: Ein neues Wandbild zeigt Rituale

Eva Krusche und Vera Daffner bemalen eine riesige Häuserfass­ade zum Augsburger Exklusivfe­iertag. Die Künstlerin­nen machen sichtbar, was viele Menschen im Alltag besonders gerne und häufig tun – und warum

- VON EVA MARIA KNAB

Zwei Frauen haben Großes vor, und das im Sinne des Wortes: Eva Krusche und Vera Daffner stehen am Samstag vor einer riesigen Hauswand an der Reichenber­ger Straße 50 und machen sich mit einer Spraydose ans Werk. Aber nein. Die beiden sind keine illegalen Graffitisp­rüherinnen, sondern Künstlerin­nen in legaler Mission. Sie malen ein Wandbild, das am Ende vier Stockwerke hoch sein wird. Ein neues Stück Kunst im öffentlich­en Raum, das es in sich hat.

Doch erst zum Ausgangspu­nkt des Projekts: „Rituale“lautet in diesem Jahr das Motto zum Friedensfe­st. Eva Krusche und Vera Daffner haben zum Thema symbolisch­e Gegenständ­e und Gesten ausgewählt und diese in Bildergesc­hichten gepackt. Bevor das flächendec­kende Wandbild zu sehen sein wird, ist allerdings harte Arbeit angesagt.

An der Ecke Reichenber­ger Straße/berliner Allee parkt ein roter Kastenwage­n, voll gepackt mit Farbeimern. Die beiden Künstlerin­nen stehen vor der Fassade eines Wbg-wohngebäud­es und sind mit strategisc­hen Vorbereitu­ngen beschäftig­t. Mit Fäden und Klebestrei­fen teilen sie die Wand in einzelne Felder auf, ähnlich wie in einem karierten Schulheft, nur größer. „Wir haben unsere Skizze gerastert, damit wir die vielen Elemente besser in der richtigen Größe zueinander anordnen können“, erklären sie. Damit gehen sie wie die Maler großer Bühnenbild­er vor.

Anschließe­nd greifen die Frauen zur Sprühdose mit transparen­ter Farbe. Sie zeichnen die Konturen des künftigen Bildes, die „Outlines“. Eva Krusche betont: „Wir machen kein Graffiti, sondern Wandmalere­i mit Pinsel und Farbroller.“Auf der Hausfassad­e kann man am Samstag schon die ersten Umrisse eines Telefonhör­ers erkennen. Er steht als Symbol für den beliebten Telefontra­tsch unter Freundinne­n. Daneben sieht man die Konturen zweier menschlich­er Arme. Die Ellbogen berühren sich zum Corona-gruß, ein neues Ritual, nachdem sich Umarmungen und

Küsschen nicht mehr mit den geltenden Abstandsre­geln zur Pandemie vertragen. Später werden auf der Wand noch viele weitere Alltagssym­bole hinzukomme­n: etwa der Guten-morgen-kaffee, das Lieblingse­ssen oder die Büropflanz­e.

Die beiden Künstlerin­nen haben sich in den vergangene­n Wochen viele Gedanken gemacht, welche Geschichte­n sie mit ihrem Wandbild erzählen wollen. „Ohne Rituale wären bedeutende Lebensbere­iche gar nicht geregelt“, sagen sie – nicht in der Arbeit, nicht in der Liebe oder beim Erwachsenw­erden. „Seit Jahrtausen­den pflanzen sich Menschen Struktur in ihr chaotische­s von Bedürfniss­en beherrscht­es Dasein“, so Krusche und Daffner. Das sei bis heute so und vermutlich immer weiter: „Rituale sagen uns, wann wir zu essen haben, wie wir arbeiten und was wir dafür bekommen. Sie geben Halt und Ordnung. Sie manifestie­ren Ideologien und Religionen. Eine Beziehung beginnen ohne Rituale? Nicht vorstellba­r.“

Große Wandbilder, die zum Augsburger Friedensfe­st entstehen, haben Tradition. Es gibt sie an vielen Stellen in der Stadt. Eva Krusche und Vera Daffner freuen sich sehr, dass ihr Konzept in diesem Jahr ausgewählt wurde: „Wir wollten gerne einmal etwas in dieser Größe malen.“Das neue Wandbild ist auch nicht das erste, das die Künstlerin­nen gemeinsam schaffen. Ein weiteres kleineres Mural mit Symbolen ist in Göggingen auf der „Wall of Fame“zu sehen.

Die Gestalteri­nnen sind beide Absolventi­nnen der Hochschule Augsburg und in der Szene recht aktiv. Eva Krusche 35, arbeitet als freischaff­ende Malerin und Illustrato­rin in und um Augsburg. Vera Daffner, 31, ist unter anderem als Grafikerin und im Verkauf eines Ladens für Graffiti-zubehör in Augsburg tätig. Beide sind sie im Ostallgäu aufgewachs­en, nicht weit voneinande­r entfernt im Kaltental, das zwischen Schongau, Kaufbeuren und Marktoberd­orf liegt. Richtig kennengele­rnt haben sie sich aber erst in Augsburg. Vor drei Jahren organisier­ten sie gemeinsam im

Auftrag des Graffiti-vereins „Die Bunten“einen Workshop nur für Mädchen.

Ein paar Tage lang wird man die beiden Künstlerin­nen noch bei ihrem kreativen Schaffensp­rozess im

Textilvier­tel beobachten können. Allerdings muss man genau hinschauen – denn die Häuserwand befindet sich etwas versteckt hinter Bäumen. Spätestens bis Mittwoch soll das neue Wandbild fertig sein, wenn das Wetter mitspielt. Eva Krusche und Vera Daffner haben auch noch einen großen Wunsch: „Wir hoffen, dass das Mural cool wird und dass sich die Leute damit beschäftig­en.“

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Foto: Peter Fastl Hoch in die Luft geht es für die Künstlerin­nen Eva Krusche (rechts) und Vera Daffner auf der Hebebühne: Sie malen in der Reichenber­ger Straße gerade ein vier Stockwerke hohes Wandbild mit einem besonderen Motto.

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