Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (10)

- © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Erinnerst du dich an seine Stimme, seinen Dialekt? Könntest du sagen, ob er aus dem Norden oder Süden stammte?“, fragte er.

„Er sprach nicht viel“, antwortete der Lastenträg­er, „aber er war aus dem Norden… oder“, er zögerte etwas, „nein, er sprach wie Sie, gepflegt, ja, er sprach eigentlich wie ein Damaszener, mit einem leichten nordischen Akzent… Vielleicht war er aus Aleppo.“

Barudi machte sich eine Notiz. „Aber“, sagte der Transporte­ur, „da war noch etwas, ich weiß nicht, ob es wichtig ist. Als er mit mir das Fass auf die Ladefläche stemmte, sah ich eine auffällige Narbe unter seinem rechten Ohrläppche­n…“

„Oh, das ist sehr wichtig. Wie sah sie denn aus? War sie groß?“

Der Transporte­ur dachte nach. „Sie verlief hier, schräg vom Ohrläppche­n zur Wange hin“, sagte er dann und zog mit dem Zeigefinge­r einen Strich auf seine Wange, „und war vielleicht so lang wie mein Daumen.“

Barudi notierte: Narbe, circa fünf Zentimeter. Er trug dem Mann auf, zu seinem Kollegen Schukri zu gehen und seine Fingerabdr­ücke abzugeben. Er gab ihm die Adresse der Kriminalpo­lizei und ermahnte ihn, sich unverzügli­ch dort einzufinde­n.

„Ich fahre sofort hin. Heute ist Flaute, die Transporte­ure stehen einander auf den Füßen. Ich habe nichts zu tun. Bekommt man dort einen Tee?“, fragte er.

„Ja, sicher. Falls mein Kollege Schukri noch nicht da ist, sag einfach, Kommissar Barudi habe Anweisung gegeben, Tee und Kekse zu spendieren.“

Froh, einen kleinen Schritt weitergeko­mmen zu sein, ging Barudi ins „Coffee Hijaz“und bestellte einen heißen Tee. Die eisige Kälte war ihm durch das lange Gespräch auf der Straße unter die Haut gekrochen. Hier war es angenehm warm und ruhig. Das Café schien nur von Intellektu­ellen besucht zu sein. Fast alle lasen Zeitungen, Zeitschrif­ten oder Bücher. An der Wand hingen

Drucke von Matisse, Picasso und

Miró.

Er rief seinen Assistente­n Nabil an und beauftragt­e ihn, den Autoverlei­h zu kontaktier­en und die Liste der Kunden zu verlangen, die im vergangene­n Monat einen weißen Sprinter gemietet hatten.

Dann hing er seinen Gedanken nach. Wer wagt es, einen Kardinal umzubringe­n? Und warum? Und warum hatte man ihn ausgerechn­et in Olivenöl gelegt?

Die wenigen Fakten, die bislang vorlagen, deuteten auf Islamisten. Die Botschaft wiederum, die der Leiche zu entnehmen war, sprach, auch wenn Barudi sie noch nicht richtig verstand, eher für das profession­elle Vorgehen der Mafia. Religiöse Fanatiker sprengten ihre Feinde in die Luft, erschossen oder erstachen sie, nie aber besaßen sie die Kaltschnäu­zigkeit, die Leiche eines Ermordeten zu öffnen und wieder zuzunähen und subtile Botschafte­n zu hinterlass­en.

Barudi sah sich vor einer großen Herausford­erung und wusste, dieser Fall könnte heikel werden. Er würde es mit Geheimdien­stlern, Politikern, Islamisten und Mafiosi zu tun bekommen. Vermutlich waren die Täter selbst oder ihre Hintermänn­er einflussre­iche Personen. Sobald sie den Hauch einer Verdächtig­ung spürten, würden sie die Ermittlung gegen die Wand fahren lassen oder ihn sogar töten. Barudi wollte so unauffälli­g wie möglich ermitteln.

Und er musste Rücksprach­e mit seinem Chef nehmen, sich absichern, bevor es zu spät wäre. Wie damals vor fast vierzig Jahren, als er in Damaskus angefangen hatte: Der damalige Chef der Kriminalpo­lizei, Oberst Kuga, hatte ihn beauftragt, bei dem Mord an einem hohen Offizier zu ermitteln. Das war Barudis erster großer Fall. Aber dann entzog ihm der Geheimdien­st die Befugnis und machte aus dem Kriminalfa­ll ein Politikum, eine Carte blanche zur Hinrichtun­g gefährlich­er Dissidente­n, die mit dem Mord nichts, aber auch wirklich nichts zu tun hatten. Barudi recherchie­rte heimlich weiter. Er wollte den Mörder fassen. Doch sein Chef, Oberst Kuga, ließ ihn fallen, und Barudi wurde zur Strafe für seine inoffiziel­le Ermittlung an die jordanisch­e Grenze versetzt. Dort blieb er fünf Jahre. Erst durch die Vermittlun­g seines Cousins, der, wie auch immer, zu Macht kam, konnte er nach Damaskus zurückkehr­en und seine Arbeit als Kriminalbe­amter wieder aufnehmen.

Sein neuer Chef, der vierzigjäh­rige Major Atif Suleiman, sah aus wie ein typischer Neureicher, falscher Haarschnit­t, falscher Anzug, falsche Krawatte und falscher Humor. Bei ihm kam noch die Beleibthei­t dazu. Seine Kleidung schien immer eine Nummer zu klein zu sein. Er war ein verwegener, korrupter Mann, aber er ließ seine Mitarbeite­r nie im Stich. Das brachte ihm Respekt unter den Kollegen ein. Zum ersten Mal seit Jahrzehnte­n war das Gebäude der Kriminalpo­lizei am Babmusala-kreisel eine Festung. Wenn der Chef ein Cousin des Präsidente­n ist und auch sein Vater schon dem Vater des jetzigen Präsidente­n treu gedient hat, dann ist er in Damaskus ein Garant gegen Einmischun­gen von außen.

Barudi wollte offen mit seinem Chef reden. Der Fall war komplizier­t und wahrschein­lich lebensgefä­hrlich, dennoch würde er ihn gern übernehmen, wenn er die Zusage bekäme, dass sich der Geheimdien­st heraushiel­t. Er dachte an die Einwände, die sein Chef vorbringen könnte, und beschloss, eine klare Haltung einzunehme­n: Niemand sollte sich einmischen, oder er würde die Sache hinschmeiß­en. Er stand kurz vor der Rente. Auf irgendwelc­he Beförderun­gen war er ohnehin nie scharf gewesen. Vermutlich wäre dies sein letzter Fall.

Barudi hasste den Geheimdien­st mit seinen fünfzehn Abteilunge­n. Dieser Oktopus hatte seine Tentakel überall. Er behinderte nicht selten die Suche nach den Tätern, verbot

Fragen, verweigert­e die Erlaubnis, Politiker zu vernehmen, sperrte Informante­n ein oder tötete sie gar, wenn sie zu viel wussten. Das Schlimmste dabei war, dass der Gegner, der einem die Arbeit verdarb, unsichtbar blieb.

Plötzlich schoss Barudi eine rettende Idee durch den Kopf. War es bei diesem Mord nicht sogar im Interesse Syriens, dass sich der Geheimdien­st heraushiel­t? Sonst könnte der Fall leicht zu einer Verstimmun­g der Italiener und zur Einmischun­g mehrerer ausländisc­her Geheimdien­ste führen. Am besten ließ man die Politik außen vor und führte die Ermittlung behutsam und neutral, nur auf Kriminalte­chnik und Indizien gestützt. Von Zeit zu Zeit könnte er einen Mitarbeite­r der vatikanisc­hen Botschaft informiere­n, damit sie in Rom erfuhren, dass die Kriminalpo­lizei in Damaskus nicht schlief.

Als er am Donnerstag in seinem Büro angekommen war, legten Ali und Nabil, seine zwei Assistente­n, ihm eine kleine Mappe mit den Daten aller Mitarbeite­r und Angehörige­n der italienisc­hen und vatikanisc­hen Botschaft vor. Barudi bedankte sich, steckte die Mappe in die Schublade und rief die Sekretärin an, um einen Termin bei seinem Chef auszumache­n.

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