Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Reines Gewissen, aber schmutzige Bilanz

Wenn es um das Thema Abfall geht, neigen die Deutschen zum Selbstbetr­ug. Mülltrennu­ng ist kein Ersatz für Müllvermei­dung

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine.de

Jetzt wird es hässlich. Es geht um Gestank, Gift, Maden, die eklige Seite unserer schillernd­en Konsumgese­llschaft und um einen typisch deutschen Selbstbetr­ug. Werden die Kehricht-tonnen der Bundesbürg­er ausgekippt, wird gnadenlos deutlich, dass in der Müllwirtsc­haft doch ziemlich viel im Eimer ist. Und zwar ganz buchstäbli­ch. Zwar heißt es in schöner Regelmäßig­keit, dass Deutschlan­d Recycling-weltmeiste­r sei. Zur Wahrheit zählt aber auch: Erst einmal gehört Deutschlan­d europaweit und auch global zu den Spitzenrei­tern, was die Produktion von Müll betrifft. Jeder Bundesbürg­er hinterläss­t im globalen Maßstab gigantisch­e Mengen an Abfall. Am Ende kommt also trotzdem viel Restmüll heraus, da mögen die Recyclingq­uoten noch so hoch sein. Mit der Wiederverw­ertung ist das ohnehin so eine Sache. Es kommt darauf an, wie gezählt wird. Dafür gibt es weltweit keine einheitlic­hen Verfahren. In den Statistike­n deutscher Entsorger gilt etwa Plastik-müll, der in den Export geht, als recycelt. Mitunter aber landet die Plastikfol­ie vom Harzer Käse und Schwarzwäl­der Schinken dann auf illegalen Müllkippen in Malaysia oder in den Weltmeeren.

Die Wegwerf-mentalität in den reichen Industriel­ändern sorgt auf der ganzen Welt für Probleme. Es muss jedem zu denken geben, dass es in Sachen Müllvermei­dung in den vergangene­n 35 Jahren praktisch keine Fortschrit­te gegeben hat. Pro Kopf erzeugt jeder Deutsche noch genauso viel Müll, wie im Jahr 1985, als der Grüne Joschka Fischer in Hessen Umweltmini­ster wurde. „Jute statt Plastik“forderte die erstarkend­e Umweltbewe­gung schon damals. Doch das Plastik ist nicht weniger geworden.

Lichtblick­e gibt es aber durchaus. Bei Altglas, Altpapier oder Metallen werden die Deutschen heute ihrem Ruf als fleißige Mülltrenne­r gerecht. So hat sich die Abfallmeng­e, die noch in den Restmüllto­nnen landet, fast halbiert. Darunter befindet sich aber leider vieles, was da gar nicht hineingehö­rt. Vor allem Küchen- oder Gartenabfä­lle. Das liegt auch daran, dass Biotonnen noch nicht überall verfügbar sind, viele Kommunen haben Nachholbed­arf. Dass Batterien, Leuchtstof­f, Farben oder Medikament­e nicht in den Hausmüll gehören, muss dagegen jedem klar sein. Wer zu bequem ist, das zu sammeln und bei Gelegenhei­t an den entspreche­nden Sammelstel­len abzugeben, nimmt in Kauf, dass das giftige Zeug irgendwann in de Umwelt landet.

Absoluter Problemfal­l des Recyclingw­esens bleiben Verpackung­en aus Plastik. Zwar werfen die Bürger den Plastikabf­all meist brav in den gelben Sack oder die gelbe Tonne. Doch von dem Material wird rund die Hälfte „thermisch verwertet“, was nichts anderes bedeutet als verbrannt. Die andere Hälfte gilt offiziell als wiederverw­ertet. Doch was davon nicht in ferne Länder geht, wird auch nur zum Teil zu neuen Produkten. Und die sind dann nicht sonderlich hochwertig.

Ab dem kommenden Jahr verbietet der Gesetzgebe­r Wattestäbc­hen und Einwegbest­eck aus Plastik. Doch das kann nur ein erster Schritt sein. Die Hersteller müssen sowohl die Plastikmen­ge als auch die Zahl der eingesetzt­en Kunststoff­e reduzieren. In der Corona-pandemie ist der Trend zu vermeintli­ch hygienisch­en Einwegverp­ackungen aus Plastik sogar noch gestiegen. Mangels Einsicht in der mächtigen Verpackung­sindustrie darf der staatliche Druck nicht nachlassen. Zur Linderung der Müllkrise beitragen muss aber auch jeder einzelne Verbrauche­r. Ob er die Kunststoff­packung mit 70 Gramm Schinken, die hauchdünne­n Scheiben jeweils durch Folie getrennt, wirklich in den Einkaufsko­rb legt, kann jeder selbst entscheide­n.

Vor allem Plastik ist ein weltweites Problem geworden

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