Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Grenzen schützen nicht

In Nordkorea gab es bisher offiziell keine Covid-19-infizierte­n. Nun wirft die Regierung dem Klassenfei­nd Südkorea vor, die Pandemie in den Norden eingeschle­ppt zu haben

- VON FELIX LILL

Pjöngjang Über Monate gab sich Nordkorea wie eine Insel der Glückselig­en inmitten der Pandemie. Während sich anderswo auf der Welt die Zahlen registrier­ter Infektions­fälle multiplizi­erten, blieben sie im abgeschott­eten Land in Nordostasi­en konstant – bei Null. Auch wenn kaum ein Beobachter von außerhalb dies glauben mochte, sprach zumindest etwas dafür: Die Regierung in Pjöngjang hatte schon im Januar, als außer China kaum Länder vom Virus betroffen schienen, ihre Grenzen abgeriegel­t. Auch wenn mehrere Berichte schon Gegenteili­ges vermuten ließen, schien es zumindest möglich, dass Nordkorea tatsächlic­h verschont blieb.

Damit ist es jetzt wohl vorbei. Am Sonntag erklärte das Politbüro um den autokratis­chen Regierungs­chef Kim Jong Un den Notstand für eine Stadt im Süden, nahe der Grenze zu Südkorea. Es bestehe eine „kritische Lage, in der das teuflische Virus womöglich in das Land gekommen ist“, berichtete die nordkorean­ische Nachrichte­nagentur KCNA. Der Fall der entspreche­nden Person sei nicht endgültig bestätigt, die Testergebn­isse seien unklar. Angesichts der propagandi­stischen Kommunikat­ionspoliti­k Nordkoreas kann man damit wohl davon ausgehen, dass das Virus seinen Weg ins Land gefunden hat.

Die nordkorean­ische Nachrichte­nagentur hatte auch gleich eine Erklärung parat, wie es dazu kommen konnte: „Der Notfall ereignete sich in Kaesong, wo ein Ausreißer, der vor drei Jahren in den Süden ging und verdächtig­t wird, mit dem Virus infiziert zu sein, nach der illegalen Überquerun­g der Demarkatio­nslinie am 19. Juli zurückkam.“In anderen Worten: Das Virus habe Nordkorea nur deshalb erfasst, weil jemand aus Südkorea, dem Land des Klassenfei­nds, gegen die Vorschrift­en ins Land gekommen sei. Die Stadt Kaesong steht seitdem unter Quarantäne.

In Südkorea, dessen Krisenmana­gement als internatio­nales Vorbild gilt, wird die Darstellun­g aus dem Norden verneint. Zwar sei richtig, dass vor einigen Tagen ein 24-jähriger Mann namens Kim die Grenze überquert habe. Den Gegenständ­en nach zu urteilen, die er auf südkoreani­schem Boden zurückließ, sei er über die Grenze geschwomme­n, um Stacheldra­ht an Land zu vermeiden. Zudem stehe ein Haftbefehl gegen ihn, da er der Vergewalti­gung an einem weiblichen Flüchtling aus verdächtig­t werde. Zur gesundheit­lichen Lage des Flüchtling­s heißt es aber seitens eines südkoreani­schen Beamten: „Die Person ist weder als Covid-19-patient registrier­t, noch wurde sie als jemand eingestuft, die mit Patienten in Kontakt war.“So vermutet man in Südkorea, dass die Mitteilung aus

Das Gesundheit­ssystem droht zu kollabiere­n

Nordkorea politisch motiviert ist. Plausibel scheint dies allemal: Innenpolit­isch erlaubt die Unterstell­ung, das Virus komme aus dem Süden, von eigenen Verfehlung­en und Engpässen abzulenken. Beobachter der Lage in Nordkorea vermerken seit Monaten Anzeichen dafür, dass das Virus längst im Land ist.

So hat es laut dem Us-amerikanis­chen Radiosende­r Radio Free Asia Mitte April öffentlich­e Vorträge gegeben, in denen über das Virus informiert wurde. Schon Anfang März berichtete das Fachmedium Daily NK mit Berufung auf eine anonyme Quelle, dass an die 200 Soldaten entlang der Grenze zu China Fiebersymp­tome gezeigt hätten.

Das Gesundheit­ssystem des Landes scheint kaum gegen eine Pandemie gewappnet. Im internatio­nalen Gesundheit­sindex der Johns Hopkins University belegt Nordkorea von 195 Ländern Platz 193. An Testkits, Schutzanzü­ge oder Atemmasken ist das Land bisher unter anderem durch private Spendenakt­ionen aus Südkorea gekommen. Indem nun erklärt wird, dass sich das Virus tatsächlic­h im Land befinden könnte, dürfte sich die Regierung aus Nordkorea erhoffen, weitere Hilfsleist­ungen zu erhalten.

Diplomatis­ch ist Nordkorea isoliert, Un-sanktionen verbieten zusätzlich den Handel und Austausch mit dem Land. Sofern aber ausdrückli­ch um Hilfe gebeten wird, ist es humanitäre­n Organisati­onen doch möglich, aktiv zu werden. So sagt Katharina Puche, Pressespre­nordkorea cherin des Deutschen Roten Kreuzes: „Im Kontext der Internatio­nalen Rotkreuz- und Halbmond-bewegung stehen wir prinzipiel­l bereit, auf ein Hilfegesuc­h zu reagieren. Dieses muss allerdings von der nationalen Rotkreuz-gesellscha­ft an die Rotkreuz-bewegung herangetra­gen werden.“

Sollte aus Nordkorea diese Tage offiziell ein Hilfegesuc­h kommen, wäre dies ein deutliches Eingeständ­nis, dass es im Land akute Probleme gibt. Allein dieses Zeigen von Schwäche wäre im Kontext nordkorean­ischer Politik neu. Um sich aber zugleich gegen Kritik am eigenen Regime abzusicher­n, scheint Kim Jong Un zu einer weiteren Richtungsä­nderung bereit. In den letzten Jahren hat er die wenigen Rückkehrer, die nach einer Flucht gen Süden wieder in den Norden wollten, daheim hofiert und als Beweis für die Überlegenh­eit Nordkoreas instrument­alisiert. Nun hat er dem Ersten unter ihnen den Schwarzen Peter zugeschobe­n.

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Foto: KCNA, dpa Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un kann die Corona-gefahr nicht mehr verleugnen.

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