Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Eu-parlament im Krisenmodu­s

Die Rückkehr nach Straßburg stellt Stadt und Institutio­n vor riesige Herausford­erungen

- VON DETLEF DREWES

Straßburg Es dürfte der teuerste Wanderzirk­us der Welt sein: Einmal im Monat ziehen die 751 Abgeordnet­en des Europäisch­en Parlamente­s mit ihren Assistente­n, den Mitarbeite­rn der Fraktionen sowie weiteren Beschäftig­ten nach Straßburg um. Alles in allem geht es um 4500 Personen für vier Tage. 110 Millionen Euro, so der Europäisch­e Rechnungsh­of, kostet das monatliche Spektakel pro Jahr, die Umweltbela­stungen nicht mitgerechn­et. Doch in Zeiten des Coronaviru­s wird die ohnehin schon umstritten­e Operation noch schwierige­r.

Zwar sorgte die Pandemie dafür, dass die Gebäude in Straßburg seit März nicht mehr benutzt wurden. Doch das soll sich im September ändern, wenn die brisanten Abstimmung­en über den Haushaltsr­ahmen 2021 bis 2027 und den Aufbaufond­s anstehen. Dieser Umzug dürfte an Aufwand und zusätzlich­en Vorsichtsm­aßnahmen alles Bisherige in den Schatten stellen, wie eine Mitteilung der Geschäftsf­ührung der Abgeordnet­enkammer vom 13. Juli deutlich macht.

David Sassoli, der Präsident des Hohen Hauses, hat alle Dienste dieser Einrichtun­g an einen Tisch geholt. „Niemand, der krank ist, sollte zum Parlament reisen“, heißt es da. Jeder Parlamenta­rier darf höchstens einen Mitarbeite­r mitbringen, da die engen Büros nur noch mit einer Person besetzt sein dürfen. An den Eingängen zum Gebäude wurden Scanner und Kameras installier­t, um die Körpertemp­eratur zu messen. Doch wie kommen die Volksvertr­eter eigentlich sicher nach Straßburg?

„Der Ärztliche Dienst des Parlamente­s empfiehlt, Einzelfahr­zeuge zu nutzen“, heißt es in dem Papier. Zwar würden auch die üblicherwe­ise gechartert­en Thalys-hochgeschw­indigkeits­züge für die 400 Kilometer lange Strecke von Brüssel ins Elsass verkehren. Aber der Fahrdienst des Parlamente­s, über den die Abgeordnet­en sowohl in Brüssel wie auch in Straßburg verfügen können, stellt sich auf mehr Fahrten ein. Parlamenta­rier, die von Brüssel oder über Frankfurt anreisen, werden mit Kleinbusse­n (neun Sitze dürfen nur mit drei Personen besetzt werden) oder eben Einzelfahr­ten transporti­ert.

Im Gebäude wird das gewaltige Plenum regelrecht geklont. Der „nächstgröß­ere Sitzungssa­al“soll parallel für die Debatten genutzt werden, damit die Abstandsre­geln garantiert sind. Und trotzdem, so heißt es weiter, wird der Normalbetr­ieb herunterge­fahren und „auf die Kerntätigk­eiten beschränkt“. Soll heißen: Debatten, Abstimmung­en und Fraktionss­itzungen sind möglich, aber keine zusätzlich­en physischen Treffen. Da auch bei den Dolmetsche­rn ausgedünnt werden muss, gibt es Übersetzun­gen nur noch in sechs statt in 24 Amtssprach­en.

Die Stadt Straßburg muss ebenfalls einen Riesenaufw­and betreiben: Die Kliniken vor Ort sind gehalten, Kapazitäte­n für Covid19-verdachtsf­älle, „die eine Selbstisol­ierung notwendig machen“, vorzuhalte­n. Rückführun­gsmöglichk­eiten für ernsthaft Erkrankte werden organisier­t, Schnelltes­ts sind verfügbar. Die gründliche Vorbereitu­ng der Verwaltung kann jedoch die Frage, ob der Wanderzirk­us in einer Pandemie wirklich aufrechter­halten werden soll, nicht vergessen machen. Zumal unklar ist, wie sich die Coronaviru­s-krise weiterentw­ickelt. Straßburg selbst liegt mit inzwischen niedrigen Infektions­raten in der grünen Zone Frankreich­s. Dafür explodiere­n gerade die Zahlen in Brüssel, wo das Eu-parlament vor wenigen Tagen seine Pforten bis zum Ende der Sommerpaus­e Anfang September geschlosse­n hat.

Ab Mittwoch gelten neue Kontaktbes­chränkunge­n, Antwerpen hat sogar eine nächtliche Ausgangssp­erre verhängt. Vermutlich wird es also auch die Covid-19-welle nicht schaffen, die Pendelei abzustelle­n.

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Foto: dpa Das Eu-parlament bereitet sich auf seine Rückkehr nach Straßburg vor.

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