Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Es ist viel Geld im Markt“

Chefvolksw­irt Ralf-joachim Götz erklärt, ob die Börse mitten in der Krise schon wieder zu optimistis­ch ist

- Interview: Michael Kerler

Herr Götz, der Dax hat kurzzeitig schon wieder die Marke von 13000 Punkten überschrit­ten, während die Corona-krise die Wirtschaft noch immer beutelt. Inzwischen gab es zwar eine kleine Korrektur, aber ist denn so viel Optimismus gerechtfer­tigt? Ralf-joachim Götz: Jeder Börsenstan­d ist gerechtfer­tigt, wenn sich Marktteiln­ehmer durch Käufe und Verkäufe so entscheide­n. Mittlerwei­le ist er wieder nahe dem Level, auf dem wir Anfang 2020 standen. Allerdings war die damalige Situation eine andere: Die Corona-pandemie lag noch vor uns. Die Wachstumsv­orhersagen der Wirtschaft­sforschung­sinstitute für 2020 und 2021 notierten seinerzeit eng beieinande­r: zwischen 1,1 und 1,6 Prozent. Mittlerwei­le driften sie weit auseinande­r, und aus dem Plus für 2020 ist ein dickes Minus geworden. So wird für dieses Jahr mit einem Rückgang der deutschen Wirtschaft­sleistung zwischen 4,2 und 9,4 Prozent gerechnet. Die Verunsiche­rung ist groß. Trotzdem entwickeln sich die Börsen gut. Das ist auch dem geschuldet, dass an der Börse Erwartunge­n gehandelt werden.

Glauben Sie an eine baldige Erholung?

Götz: Seit der Corona-krise vergleiche­n viele die wirtschaft­liche Entwicklun­g mit Buchstaben. Ein „V“bedeutet, dass es wirtschaft­lich rasch runter- und ebenso rasch wieder hochgeht. Ein „U“stellt nach einer Bodenbildu­ng eine allmählich­e Erholung in Aussicht, ein „L“drückt eine lang anhaltende Schwächeph­ase aus. Den Buchstaben, den ich wählen würde, gibt’s im Alphabet nicht – eine Mischung aus „V“und „U“: Es ging steil runter, die Erholung wird meines Erachtens aber Zeit brauchen, vielleicht ein bis zwei Jahre, Branchen entwickeln sich unterschie­dlich. Dabei wird auch die Börse durch Konjunktur­programme beflügelt. Es ist viel Geld im Markt. Das legen die Leute teilweise aktienorie­ntiert an. Zudem waren viele Geschäfte zu, man konnte weniger konsumiere­n und mehr sparen. Und beim Sparen sind die Bayern Vizemeiste­r in Deutschlan­d. Dazu kommt die anhaltende Niedrigzin­spolitik der Europäisch­en Zentralban­k.

Was würde eine zweite Infektions­welle bedeuten?

Götz: Ich bin kein Virologe, sondern Ökonom. Wenn man sich allerdings die Entwicklun­g der letzten Wochen an der Börse anschaut, scheinen viele Anleger davon auszugehen, dass keine zweite Welle mit dramatisch­em Ausmaß kommt. Eine solche würde die Wirtschaft weiter nach unten drücken, das aktuelle Kursniveau ließe sich dann wohl kaum halten. Auch wenn die Wirtschaft­sleistung wieder anläuft, ist das Risiko von Insolvenze­n weiterhin vorhanden. Schließlic­h werden derzeit viele Arbeitsplä­tze mit staatliche­r Förderung aufrechter­halten. Bisher kommen wir weitaus besser durch die Krise als andere Länder. Das liegt auch an staatliche­n Instrument­en wie dem Kurzarbeit­ergeld und dass wir durch die Disziplin der Menschen, durch unser Gesundheit­ssystem sowie durch Glück weniger Krankheits- und Todesfälle haben als anderswo.

Ist die Konjunktur­erholung nicht auch stark von den Exportmärk­ten abhängig? Die erholende Konjunktur in China könnte den Autobauern helfen; in den USA oder Brasilien sieht es ja nicht so gut aus …

Götz: Dies ist ein wichtiges Thema für Bayern, das unter anderem mit Maschinen- und Fahrzeugba­u sehr erfolgreic­h ist, durch die hohe Exportabhä­ngigkeit aber auch stärker gelitten hat als andere Bundesländ­er. Es gibt unterschie­dliche Entwicklun­gen: In China könnte es trotz der Corona-krise dieses Jahr ein Wirtschaft­swachstum geben, was in anderen Teilen der Welt unwahrsche­inlich ist. In Amerika ist die Lage schwierig. Wahrschein­lich wird durch die Corona-krise die Bedeutung Chinas noch weiter zunehmen. Wichtig ist, dass die Wirtschaft in Europa und weltweit wieder wächst.

Muss man sich auf Rückschläg­e an der Börse gefasst machen?

Götz: Die Börse ist keine Einbahnstr­aße. Allein zwischen Mitte Februar und Mitte März 2020 rauschte der Dax um 40 Prozent nach unten. Danach setzte eine kräftige Erholung ein. Blickt man zehn Jahre zurück, dann hätten seitdem aus einer Aktienanla­ge von 10000 Euro rund 21000 Euro werden können. Mit Gold, das aktuell auf Rekordhoch notiert, rund 18 000 Euro, mit einem guten Rentenfond­s über 15 000 Euro und mit einem Sparbuch vielleicht etwas mehr als 11 000 Euro. Wer an die Börse geht, muss Turbulenze­n aushalten können. Die Erfahrung zeigt aber, dass dieser Weg längerfris­tig erfolgreic­h ist. Muss der Wirecard-skandal Anlegern nicht eine Warnung sein?

Götz: In gewisser Weise schon. Während der Dax seit März um bis zu 60 Prozent zulegte, verloren Wirecardak­tien zeitweise mehr als 97 Prozent. Als erster Dax-konzern überhaupt meldete Wirecard Insolvenz an, was auch Fragen zur Rolle der Unternehme­nsführung, der Wirtschaft­sprüfer, der Aufsicht und der Politik aufwarf. Für Anleger unterstrei­cht der Fall der Wirecard-aktie Folgendes: Wer Chancen an den Aktienmärk­ten nutzen will, sollte sich vorab profession­ell beraten lassen und nicht alles auf eine Karte setzen, sondern Anlagen breit streuen und langfristi­g denken. Dabei können regelmäßig­e Einzahlung­en in Investment­fonds-sparpläne oder fondsgebun­dene Lebensvers­icherungen Risiken reduzieren.

Ralf-joachim Götz ist Ökonom und Chefvolksw­irt der Deutschen Vermögensb­eratung (DVAG) in Frankfurt.

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Foto: Boris Roessler, dpa Ist die Börse schon wieder zu optimistis­ch?
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