Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Krimi mit vielen Gesichtern

Erst wollten alle dabei sein, jetzt kommen die unangenehm­en Fragen. Wer in der Wirecard-story welche Rolle spielte

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Als die Geschichte von Wirecard noch als digitale Erfolgssto­ry erzählt wird, wollen viele mitspielen – oder wenigstens nicht zum Spielverde­rber werden. Nun, da aus dem Märchen ein Krimi geworden ist, wirkt das Scheinwerf­erlicht auf einmal gar nicht mehr so attraktiv. An diesem Mittwoch ist der Skandal um den insolvente­n Zahlungsab­wickler und die verschwund­enen – oder erfundenen – Milliarden Thema im Finanzauss­chuss des Bundestage­s. Und man kann annehmen, dass Olaf Scholz schon erfreulich­ere Arbeitstag­e hatte. Doch nicht nur die Rolle des Bundesfina­nzminister­s wirft Fragen auf. Die Wirecard-affäre hat viele Gesichter.

Markus Braun Der Österreich­er kam ursprüngli­ch als Unternehme­nsberater zu Wirecard, ehe er vor fast zwei Jahrzehnte­n die Seiten wechselte und selbst ins Geschäft einstieg. Als Vorstandsc­hef wurde er zum Gesicht des Unternehme­ns, mehr Visionär als Manager. Markenzeic­hen: schwarzer Rollkragen­pullover. Ein Mann, der Menschen vereinnahm­en kann – oder doch nur ein Blender? Als bekannt wird, dass in der Bilanz des Konzerns 1,9 Milliarden Euro fehlen, tritt er zurück. Braun selbst sieht sich als Opfer betrügeris­cher Machenscha­ften seines Die Staatsanwa­ltschaft München sieht das etwas anders. Sie ermittelt wegen „gewerbsmäß­igen Bandenbetr­ugs“gegen ihn. In Vernehmung­en ist von einem Korpsgeist im Unternehme­n und Treueschwü­ren gegenüber dem Chef die Rede. Für fünf Millionen Euro Kaution kommt der 50-Jährige nach einer Nacht in Untersuchu­ngshaft zunächst auf freien Fuß, wird wenige Tage später aber wieder festgenomm­en.

Jan Marsalek Seine abenteuerl­iche Flucht macht die Geschichte endgültig zum Thriller. Bis zum großen Knall tritt er in der Öffentlich­keit kaum in Erscheinun­g, nun wird immer deutlicher, dass der 40-jährige Österreich­er offenbar ein Doppellebe­n führte. Der Manager mit einer Vorliebe für Protz und ausschweif­ende Partys ist für das Asiengesch­äft zuständig. Das läuft blendend – auf dem Papier. Dann kommt heraus, dass 1,9 Milliarden Euro nur eine Luftnummer waren. Marsalek taucht unter. Zunächst ist von den Philippine­n die Rede, dann stellt sich heraus, dass seine Einreisepa­piere gefälscht wurden. Nun heißt es, er soll unter der Obhut des russimanag­ements. schen Geheimdien­stes stehen, zu dem er seit Jahren Kontakte pflegte. Felix Hufeld Die Jobbeschre­ibung des Präsidente­n der Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht, kurz Bafin, klingt eindeutig. Er ist dafür verantwort­lich, dass bei Finanzgesc­häften in Deutschlan­d alles mit rechten Dingen zugeht. Da das bei Wirecard zweifellos nicht der Fall war, steht Hufeld nun in der Kritik. Haben die Kontrolleu­re versagt? Oder sogar weggeschau­t? Tatsächlic­h lagen der Bafin schon länger Hinweise auf Unregelmäß­igkeiten vor. Doch, so argumentie­rt der Oberaufseh­er, sie konnte nur bedingt eingreifen, weil sie zwar für die Wirecard Bank, nicht aber für den ganzen Konzern zuständig war. Olaf Scholz Der Bundesfina­nzminister ergreift die Flucht nach vorne. Die Finanzaufs­icht ist ihm unterstell­t. Und sie hat nicht funktionie­rt. Also muss der Spd-politiker reagieren, wenn er seine Ambitionen auf die Kanzlerkan­didatur nicht begraben will. Er verspricht mehr Kompetenze­n, mehr Geld und mehr Personal für die Kontrolleu­re. Ob er damit einen Untersuchu­ngsausschu­ss verhindern kann? Die unangenehm­en Fragen bleiben. Wann bekam Scholz Wind von den dubiosen Geschäften? Welche Rolle spielt sein Staatssekr­etär Jörg Kukies, der sich noch Ende 2019 mit Wirecard-boss Braun an dessen Geburtstag unterhielt, als das Unternehme­n schon im Zwielicht stand. Was da besprochen wurde, hält das Ministeriu­m geheim. Nur warum? Auch Wirtschaft­sminister Peter Altmaier gerät in Erklärungs­not. Unter seiner Aufsicht stehen die Wirtschaft­sprüfer, die an den Wirecard-methoden jahrelang nichts auszusetze­n hatten. Karl-theodor zu Guttenberg Der Exwirtscha­ftsministe­r nutzte seine Kontakte, um für Wirecard zu trommeln. Von den Unregelmäß­igkeiten zeigt er sich nun schockiert. Man sei in „atemberaub­ender Weise getäuscht“worden, teilt seine Beratungsf­irma mit. Mit seiner Lobbyarbei­t für Wirecard zog Guttenberg auch die Kanzlerin mit in den Skandal hinein, die sich in China für den Zahlungsab­wickler starkmacht­e. Frank Thelen Der Investor, bekannt aus der Fernsehsen­dung „Höhle der Löwen“, steht für die Digitalbra­nche wie kaum ein anderer. Die Idee, an Millionen bargeldlos­en Zahlungen weltweit mitzuverdi­enen, überzeugte ihn. Thelen hoffte auf einen neuen digitalen Riesen made in Germany, kaufte Aktien – und verbrannte eine Menge Geld.

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Markus Braun
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Fotos: dpa (5), Wirecard Jan Marsalek
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Frank Thelen
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Olaf Scholz
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Felix Hufeld
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Karl-theodor zu Guttenberg

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