Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein Krimi mit vielen Gesichtern
Erst wollten alle dabei sein, jetzt kommen die unangenehmen Fragen. Wer in der Wirecard-story welche Rolle spielte
Augsburg Als die Geschichte von Wirecard noch als digitale Erfolgsstory erzählt wird, wollen viele mitspielen – oder wenigstens nicht zum Spielverderber werden. Nun, da aus dem Märchen ein Krimi geworden ist, wirkt das Scheinwerferlicht auf einmal gar nicht mehr so attraktiv. An diesem Mittwoch ist der Skandal um den insolventen Zahlungsabwickler und die verschwundenen – oder erfundenen – Milliarden Thema im Finanzausschuss des Bundestages. Und man kann annehmen, dass Olaf Scholz schon erfreulichere Arbeitstage hatte. Doch nicht nur die Rolle des Bundesfinanzministers wirft Fragen auf. Die Wirecard-affäre hat viele Gesichter.
Markus Braun Der Österreicher kam ursprünglich als Unternehmensberater zu Wirecard, ehe er vor fast zwei Jahrzehnten die Seiten wechselte und selbst ins Geschäft einstieg. Als Vorstandschef wurde er zum Gesicht des Unternehmens, mehr Visionär als Manager. Markenzeichen: schwarzer Rollkragenpullover. Ein Mann, der Menschen vereinnahmen kann – oder doch nur ein Blender? Als bekannt wird, dass in der Bilanz des Konzerns 1,9 Milliarden Euro fehlen, tritt er zurück. Braun selbst sieht sich als Opfer betrügerischer Machenschaften seines Die Staatsanwaltschaft München sieht das etwas anders. Sie ermittelt wegen „gewerbsmäßigen Bandenbetrugs“gegen ihn. In Vernehmungen ist von einem Korpsgeist im Unternehmen und Treueschwüren gegenüber dem Chef die Rede. Für fünf Millionen Euro Kaution kommt der 50-Jährige nach einer Nacht in Untersuchungshaft zunächst auf freien Fuß, wird wenige Tage später aber wieder festgenommen.
Jan Marsalek Seine abenteuerliche Flucht macht die Geschichte endgültig zum Thriller. Bis zum großen Knall tritt er in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung, nun wird immer deutlicher, dass der 40-jährige Österreicher offenbar ein Doppelleben führte. Der Manager mit einer Vorliebe für Protz und ausschweifende Partys ist für das Asiengeschäft zuständig. Das läuft blendend – auf dem Papier. Dann kommt heraus, dass 1,9 Milliarden Euro nur eine Luftnummer waren. Marsalek taucht unter. Zunächst ist von den Philippinen die Rede, dann stellt sich heraus, dass seine Einreisepapiere gefälscht wurden. Nun heißt es, er soll unter der Obhut des russimanagements. schen Geheimdienstes stehen, zu dem er seit Jahren Kontakte pflegte. Felix Hufeld Die Jobbeschreibung des Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz Bafin, klingt eindeutig. Er ist dafür verantwortlich, dass bei Finanzgeschäften in Deutschland alles mit rechten Dingen zugeht. Da das bei Wirecard zweifellos nicht der Fall war, steht Hufeld nun in der Kritik. Haben die Kontrolleure versagt? Oder sogar weggeschaut? Tatsächlich lagen der Bafin schon länger Hinweise auf Unregelmäßigkeiten vor. Doch, so argumentiert der Oberaufseher, sie konnte nur bedingt eingreifen, weil sie zwar für die Wirecard Bank, nicht aber für den ganzen Konzern zuständig war. Olaf Scholz Der Bundesfinanzminister ergreift die Flucht nach vorne. Die Finanzaufsicht ist ihm unterstellt. Und sie hat nicht funktioniert. Also muss der Spd-politiker reagieren, wenn er seine Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur nicht begraben will. Er verspricht mehr Kompetenzen, mehr Geld und mehr Personal für die Kontrolleure. Ob er damit einen Untersuchungsausschuss verhindern kann? Die unangenehmen Fragen bleiben. Wann bekam Scholz Wind von den dubiosen Geschäften? Welche Rolle spielt sein Staatssekretär Jörg Kukies, der sich noch Ende 2019 mit Wirecard-boss Braun an dessen Geburtstag unterhielt, als das Unternehmen schon im Zwielicht stand. Was da besprochen wurde, hält das Ministerium geheim. Nur warum? Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier gerät in Erklärungsnot. Unter seiner Aufsicht stehen die Wirtschaftsprüfer, die an den Wirecard-methoden jahrelang nichts auszusetzen hatten. Karl-theodor zu Guttenberg Der Exwirtschaftsminister nutzte seine Kontakte, um für Wirecard zu trommeln. Von den Unregelmäßigkeiten zeigt er sich nun schockiert. Man sei in „atemberaubender Weise getäuscht“worden, teilt seine Beratungsfirma mit. Mit seiner Lobbyarbeit für Wirecard zog Guttenberg auch die Kanzlerin mit in den Skandal hinein, die sich in China für den Zahlungsabwickler starkmachte. Frank Thelen Der Investor, bekannt aus der Fernsehsendung „Höhle der Löwen“, steht für die Digitalbranche wie kaum ein anderer. Die Idee, an Millionen bargeldlosen Zahlungen weltweit mitzuverdienen, überzeugte ihn. Thelen hoffte auf einen neuen digitalen Riesen made in Germany, kaufte Aktien – und verbrannte eine Menge Geld.