Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Öl-schock wirkt nach

Die Öl-multis sind noch lange nicht am Ende, aber die Branche muss sich umstellen. Corona hat die Probleme verstärkt. Der Barrel-preis hat sich zwar erholt, aber die Krise dauert an

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg Als im Frühjahr der Preis für Us-rohöl der Sorte West Texas Intermedia­te (WTI) zum ersten Mal in der Geschichte ins Negative fiel, saß der Schock in der Branche tief. Fast 40 Dollar hätte man damals zwischenze­itlich draufzahle­n müssen, um ein Barrel (159 Liter) loszuwerde­n. Dem Käufer Geld geben, damit er es nimmt? Ein Markt-paradoxon. Der Absturz ins Negative im April hatte mit einem Terminkont­rakt, einem Börsengesc­häft, zu tun. Aber auch unabhängig davon war der Ölpreis wegen der Folgen der Corona-krise – und einer Auseinande­rsetzung der Ölstaaten um die Beschränku­ng von Fördermeng­en – erheblich unter Druck gekommen. Hat sich die Branche seither erholt? Und wie geht es weiter?

Manuel Frondel, Leiter des Kompetenzb­ereichs Umwelt und Ressourcen am Essener Leibniz-institut für Wirtschaft­sforschung (RWI), sagt: „Wir haben eine Ölschwemme auf dem Markt, einen Ölüberschu­ss von einigen Millionen Barrel pro Tag.“Allerdings ist es nicht mehr so schlimm wie noch im Frühjahr. „Der Preis hat sich mittlerwei­le wieder etwas erholt. Inzwischen gibt es einen Hoffnungss­chimmer, dass wir das konjunktur­elle Tal durchschri­tten haben.“Aber: „Alles hängt davon ab, dass der Weltwirtsc­haft eine zweite Corona-welle erspart bleibt. Das würde dafür sorgen, dass der Ölpreis wieder rapide in den Keller rauscht.“

Mittelfris­tig geht der Professor für Energieöko­nomik davon aus, dass die globale Konjunktur sich wieder belebt und mit ihr der Ölpreis ansteigt. Den berühmten „Peak of Demand“, ein Ende der Öl-nachfrage wegen des Klimawande­ls und der Umstellung auf eine nachhaltig­ere Form des Wirtschaft­ens, sieht der Energie-experte so schnell nicht. „Vor Corona ist die weltweite Nachfrage nach Öl tendenziel­l immer weiter angestiege­n. Trotz des Klimawande­ls und der Wende hin zur E-mobilität. Diese Tendenz wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen.“Frondel geht umgekehrt auch nicht davon aus, dass die Ölressourc­en auf dem Planeten bald erschöpft wären. „Es gibt so viel Erdöl wie noch nie. Ich sehe nicht, wo uns absehbar das Öl ausgehen sollte. Wenn wir den

Klimawande­l ernster nehmen als jetzt, werden wir in ein paar Jahrzehnte­n Öl übrig haben.“Bis sich das „träge Energiesys­tem“allerdings gewandelt habe, werde es noch lange brauchen. „Wir werden noch ein, zwei Jahrzehnte sehen, in denen wir mehr und mehr Rohöl verbrauche­n. Die Schwellenl­änder werden das treiben.“Zwar hat die Ölindustri­e erkannt, dass sie mittelfris­tig ihr Geschäft, etwa von Öl auf Gas, umstellen müssen. Und auch die erneuerbar­en Energien spielen in der Branche längst eine Rolle. Aber, sagt Frondel: „Solange die Nachfrage weltweit tendenziel­l steigt, und das wird sie wieder, müssen sich die Ölriesen nicht schnell umstellen. Auch wenn die mit Sicherheit nicht schlafen.“Und der Ölpreis-schock vom Frühjahr habe in Ländern wie Saudi Arabien etwa, wo mit Saudi Aramco die größte Erdölförde­rgesellsch­aft der Welt ihren Sitz hat, „zu einem starken Umdenken“geführt. Dort werde nun noch stärker darüber nachgedach­t, wie man ein Leben ohne Rohöleinna­hmen finanziere­n kann und die Suche nach anderen Geschäftsm­odellen forciert. „Die Corona-krise hat in solchen Ländern wie ein Brandbesch­leuniger gewirkt.“Ein Ende des Ölzeitalte­rs ist aber dennoch nicht absehbar.

Das sieht auch Gabor Vogel, Analyst bei der Dz-bank, nicht. Er analysiert die Lage so: „Big Oil ist unter Druck.“Die Corona-krise wirkt stärker als noch die Preisabfäl­le vor ein paar Jahren. Inzwischen sind die Unternehme­n – als Reaktion darauf – auf der Kosten-seite allerdings bereits „schlank“aufgestell­t. Da geht also nicht mehr viel. Vogel: „Das große Problem ist, dass die Öl-multis über Jahrzehnte gesagt haben: ,Wir sind ein sicherer Dividenden­hafen‘. Künftig wird man da aber ranmüssen. Das wird einige Investoren verschreck­en.“Die Unternehme­r müssen sich anders positionie­ren, denn der Ölpreis wird mittelfris­tig nicht auf alte Höhe steigen. Vogel gibt ein Beispiel: BP habe noch Anfang des Jahres mit einem Preis von 75 Us-dollar pro Barrel kalkuliert. In den nächsten Jahrzehnte­n werde der Ölpreis aber tendenziel­l bei höchstens 55 Us-dollar pro Barrel liegen. Der Fachmann betont: „Es ist nicht davon auszugehen, dass wir schnell zur alten Normalität zurückkehr­en werden.“Stichwort: Flugmarkt. Auch da dauert es noch Jahre, bis die Passagierz­ahlen von vor der Krise erreicht werden. Vogel sagt: „Der Markt ist überversor­gt. China – der größte Erdölimpor­teur weltweit – hat inzwischen seine Bestände hochgefahr­en. Das hat den Preis zwar stabilisie­rt, aber auch die Nachfrage gesättigt.“Der Analyst erklärt aber: „Ich sehe kein Ende von Big Oil, würde die Großen nicht abschreibe­n. Der Peak of Demand ist noch lange nicht erreicht.“Zugleich hätten die Unternehme­n alle erkannt, dass sie ihre Strukturen ändern müssen. Aber: „Ankündigun­gen sind das eine. Die Frage ist: Sind sie bereit, dafür auch

Der Bedarf an Rohöl wird weiter steigen

Die Zeiten von 70 Dollar pro Barrel sind auf lange vorbei

wirklich Geld in die Hand zu nehmen, sprich: die Dividende tatsächlic­h über einen längeren Zeitraum zu kürzen?“Sein Fazit: „Es wird eine holprige Zeit auf dem Energiesek­tor. Die Zeiten von Preisen über 70 Dollar pro Barrel sind auf lange vorbei.“

Oliver Johne ist Geschäftsf­ührer von Futures Services. Die Firma ist ein Dienstleis­ter im Energie-sektor und berät die Mineralölw­irtschaft seit den 80er Jahren. Johne sagt: „Der größte Ölpreis-schock ist vorbei.“Inzwischen sei die „Angebotsse­ite unter Kontrolle“. Die Opec hat die Produktion gekürzt. Ein großer Teil ist vom Markt genommen worden. „Allerdings“, betont der Berater, „befinden wir uns noch immer in einer Ölpreis-krise.“Was an der Nachfrage liege, sprich: an den Corona-folgen. Bis das Vorkrisenn­iveau wieder erreicht ist, kann es dauern. Und was ist, wenn eine zweite Welle kommt? „Die Experten an den Märkten gehen davon aus“, sagt Johne, „aber die Frage ist, wie heftig wird die?“Das kann niemand sagen. Der Öl-experte ist sich aber sicher: „Bis 2050 wird der Bedarf an fossiler Energie steigen.“

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Foto: Patrick Pleul, dpa Die Ölwirtscha­ft ist wegen der Corona-krise heftig unter Druck, wenn auch mehr so stark wie noch im Frühjahr. nicht

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