Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (12)
In die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019
Hier aber hat man ein schweres Fass unter großen Risiken transportiert, um den ausgenommenen und in Öl eingelegten Kardinal abzuliefern. Nicht einmal die Italiener wissen, warum der Kardinal sterben musste. Ich habe mit dem Botschafter telefoniert. Er ist entsetzt und kann sich keinen Reim darauf machen. Er stimmt übrigens mit mir überein, die Sache diskret anzugehen.“
„Das glaube ich wohl, aber nicht er sollte dein Gesprächspartner sein, sondern der Botschafter des Vatikans. Hast du dort schon angerufen?“
„Nein, noch nicht. Wie viele Beine habe ich denn?“
„Vier, genau wie ich. Wir beide sind Esel. Heute ist unser freier Tag, und was machen wir?“
„Wir amüsieren uns bei einer Leiche mit Goldmünzen in den Augen.“
„Ich fahr nach Hause und lege mich zwei Stunden hin, sonst hast du heute Abend die zweite Leiche. Bis dann“, sagte Schukri und gähnte herzhaft.
Gemeinsam verließen sie Schukris Büro und gingen die Treppe hinunter, aber auf dem letzten Absatz vor dem ersten Stock hielt Schukri plötzlich inne. „Da ist noch etwas. Das Fass habe ich persönlich unter die Lupe genommen, und zwar gründlich. Da war zunächst nichts Auffälliges. Billiges Olivenöl, wahrscheinlich zweite oder dritte Pressung. Bei genauerem Hinsehen gibt uns das Fass selbst jedoch einen Hinweis auf seine Herkunft. Zwar findet man im Holz kein eingebranntes Firmenzeichen, aber auf dem untersten Metallreifen ist eine schlichte Rosette eingestanzt. Ich habe mich ans Telefon geklemmt und bei den Damaszener Fassbindern nach einer Erklärung gesucht. Ein alter Fassbinder meinte, das sei mit Sicherheit ein Fass von einem gewissen Meister Sahra. Nach alter Schule versieht er seine Werke mit einem Zeichen, so wie sich die Baumeister früherer Zeiten durch ein geheimes Zeichen im Stein verewigt haben. Er gab mir auch den Namen der Manufaktur in Aleppo, bei der Meister Sahra seit über fünfzig Jahren arbeitet. Ich rief dort an, und der junge freundliche Besitzer bestätigte die Information. Die Fabrik trägt den Namen Zeno, normalerweise wird der Name ins Holz eingebrannt, aber viele Kunden wünschen neutrale Fässer. Bei Winzern und Bierbrauern sind Fässer wieder gefragt und werden auch bei der Essigund der Ölherstellung verwendet. Leider konnte er mir nicht sagen, wer das Fass gekauft hat. Inzwischen verkauft er im Monat über zweihundert Fässer. Kaum jemand gibt für die Quittung seine Adresse an. Es tut mir leid, aber mehr war nicht herauszuholen“, sagte Schukri und klopfte Barudi tröstend auf die Schulter.
„Ich danke dir. In dieser Finsternis kann ich jede Kerze brauchen. Und jetzt erhol dich gut bei deiner Siesta.“
Zurück in seinem Büro rief Barudi in der vatikanischen Botschaft an. Nach mehreren Versuchen verband man ihn mit Seiner Exzellenz Mario Saleri, dem Botschafter. Sein offizieller Titel war „Apostolischer Nuntius des Heiligen Stuhls“, aber Barudi fand, das waren zu viele Worte für den kleinsten Staat der Welt. Der Botschafter war über den Mord bereits informiert, wollte aber am Telefon kein Wort darüber verlieren. Also bat Barudi um eine persönliche Unterredung. Der Botschafter blieb zwar sehr reserviert, aber schließlich bekam er doch einen Termin, am nächsten Tag um zehn. Barudi legte auf und studierte das Dossier, das seine Assistenten über den päpstlichen Botschafter zusammengestellt hatten.
Er sei ein erfahrener Diplomat und spreche fünf Sprachen fließend. Allerdings sei er auch sehr zugeknöpft und misstraue den syrischen Politikern… und er habe eine Schwäche für syrische Süßigkeiten.
Barudi warf einen Blick auf die vornehme Schachtel mit Usch al Bulbul, „Nachtigallennestern“, einem leckeren Pistaziengebäck, die ihm sein Assistent Nabil von der nahen Konditorei besorgt hatte. Dann wählte er die Privatnummer seines Kollegen Lutfi Maluli. Lutfi war der beste Psychologe im Amt. Was ihn aber vor allem auszeichnete, waren seine Kenntnisse über Religionen und Geschichte. Dreimal war es ihm gelungen, spektakuläre Entführungen auf friedliche Art zu einem guten Ende zu bringen. Lutfi war selbst am Apparat. „Ich weiß, ich raube dir deine verdiente Ruhe, aber in Sachen Symbole und Seelen bin ich immer noch ein Bauernbub.“
„Aha“, lachte Lutfi. „Nach dieser Demutsgeste erwarte ich eine schwere Frage. Bitte schön, mein Herr, ich langweile mich ohnehin. Meine Frau ist mit den beiden Töchtern zu ihren Eltern gefahren. Ich fahre nie mit, die Alten geizen bei mir sogar mit einem Lächeln. Ich kann sie nicht ausstehen. Aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Also, wie kann ich diesem Schlitzohr von einem Bauernbuben helfen?“
„Wir haben es mit einer Leiche zu tun. Die Mörder haben Augen und Eingeweide entfernt. In den Augenhöhlen liegen zwei Münzen und an der Stelle des Herzen befindet sich ein schwarzer Basaltstein.“
„Lass mich gut überlegen“, sagte Lutfi. Stille trat ein, die Barudi wie eine Ewigkeit vorkam. „Mein lieber Barudi“, sagte Lutfi endlich und pfiff staunend durch die Zähne, „du hast es mit großkalibrigen, intelligenten Verbrechern zu tun. Zunächst die Münzen: Gold ist eigentlich ein Symbol für die Sonne, für Ewigkeit, für unzerstörbare Kraft, aber die Münze symbolisiert etwas anderes. In vielen alten Religionen ist sie der Lohn für den Fährmann, der die Toten ins Jenseits transportiert. Bei einem Ermordeten aber haben Münzen immer etwas mit Strafe zu tun. Sie sind ein Symbol für Gier, für Verrat, denk an die Münzen, für die Judas Jesus verraten hat. Wenn es um einen Verrat geht, legen die Mörder die Münzen in den Mund des Ermordeten. In den Augen platziert, bedeuten sie, dass sogar seine Wahrnehmung korrupt ist. Dahinter könnte die Mafia stecken, die einen bestraft, der zu viel gesehen hat, oder es waren fanatische Puristen am Werk, die sich zum Richter über einen Korrupten erhoben haben. Auf Letzteres deutet auch der Stein im Herzen hin. Basalt ist ein gelöschtes Vulkanprodukt. Statt dem reinigenden Feuer der Menschlichkeit hat der Tote also einen gefühllosen, ausgebrannten Stein im Herzen.“
„Mein Gott, das alles hast du dir in weniger als fünf Minuten zusammengereimt?“, sagte Barudi voller Bewunderung.
„Na ja, fünf Minuten sind die Spitze des Eisbergs, der aus zehn Jahren Studium und weiteren zehn Jahren Berufserfahrung besteht. Das ist aber alles noch ziemlich oberflächlich. Ich komme in den nächsten Tagen bei dir vorbei. Vielleicht fällt mir bis dahin ja noch etwas Klügeres ein“, sagte Lutfi.
Barudi bedankte sich und verabschiedete sich höflich. Sein Kopf brummte von den neuen Erkenntnissen. Er stand noch einmal auf und schaute eine Weile auf den Verkehrskreisel unter seinem Fenster.