Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Von wegen Münchner Freiheit
Eine der wichtigsten U-bahn-strecken der Landeshauptstadt ist wochenlang gesperrt. Das führt in Corona-zeiten zu übervollen Bussen und verärgerten Fahrgästen. Auch auf den Straßen wird es immer enger. Und gefährlicher
München Es sind Bilder, wie sie in Zeiten der Corona-pandemie eigentlich nirgendwo zu sehen sein sollten: wildfremde Menschen, die sich in einem geschlossenen Raum dicht aneinanderdrängen, zum Teil für mehrere Minuten Schulter an Schulter stehen. Kaum Frischluft und ohne die Möglichkeit, auf Abstand zu gehen. Und doch sind es Szenen, wie sie derzeit in München täglich geschehen.
Die meisten Fahrgäste, die an diesem frühen Vormittag aus dem U-bahn-aufgang am Geschwisterscholl-platz strömen, haben es eilig und steuern schnellen Schrittes die blauen Busse an, auf deren Anzeigetafel steht: U6 Schienenersatzverkehr. Viele von ihnen sind vermutlich in Gedanken schon bei der Arbeit oder bei dem nächsten Termin, zu dem sie unbedingt pünktlich kommen wollen. Zeit, um auf den nächsten, vielleicht leereren Bus zu warten, scheint sich niemand nehmen zu wollen. Jeder Fahrgast möchte gleich den ersten Bus erwischen, einer nach dem anderen drängelt sich durch die offenen Doppeltüren. Eng an eng stehen die Menschen im Inneren und klammern sich an Stangen und Griffen fest – in Zeiten der Corona-pandemie nicht nur unangenehm, sondern sogar gefährlich. Denn einen Hygieneabstand einzuhalten, ist bei solchen Zuständen unmöglich.
Wegen der Organisation dieses Schienenersatzverkehrs an der U6 im Norden der Landeshauptstadt zwischen den Haltestellen „Münchner Freiheit“und „Universität“ist die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) bereits in die Kritik geraten. Zum Hintergrund: Diese Strecke, die zu den wichtigsten der Landeshauptstadt zählt, ist wegen Gleisarbeiten seit dem 13. Juli für mindestens zehn Wochen gesperrt, alle Fahrgäste müssen auf Busse umsteigen. Der Münchner Merkur berichtete von einem „Mega-chaos nach U-bahn-sperrung“und zitierte eiBusfahrer, der schildert, wie eng gedrängt die Fahrgäste in den Bussen stehen. Jeder Virologe würde ausflippen, wenn er das sehen würde, soll der Mann gesagt haben.
Es gibt durchaus Dinge, die an diesem Vormittag gut laufen: Die improvisierten Haltestellen sind zum Beispiel leicht zu finden, überall stehen Ordner des MVG in grell leuchtenden Westen. Fährt ein voller Bus davon, schließt ein leerer gleich auf. Doch dann sind immer wieder die gleichen Szenen zu beobachten: Im morgendlichen Berufsverkehr drängen die Fahrgäste in die Busse. Meist ist der erste Wagen, zu dem die Fahrgäste auf ihrem Weg aus dem U-bahn-aufgang gelangen, besonders voll – in den hinteren Wagen und den nachkommenden Bussen ist dagegen noch Platz. Einer von vier Mvg-mitarbeitern, die in ihren Warnwesten an der Haltestelle stehen, ruft: „Einsteigen, dieser Bus fährt jetzt los.“Aber müssten er und seine Kollegen nicht eigentlich ein Auge auf die Einhaltung der Corona-regeln haben? Darauf, dass die Fahrgäste sich verteilen und sie einen Mindestabstand einhalten? Matthias Korte, Sprecher der MVG, sagte dazu auf Anfrage unserer Redaktion: „Selbstverständlich empfehlen wir unseren Fahrgästen, sich auf mehrere Wagen zu verteilen, die Busse kommen ja in kurzen Abständen. Die Ordner sollen einen Beinen trag dazu leisten, dass die Fahrgäste dieser Empfehlung folgen. Das tun sie in der Regel auch.“Die Beobachtung von diesem Vormittag habe man an den Betriebsdienst weitergegeben. „Die Kollegen werden angesprochen. Wir bessern hier nach.“
In den sozialen Netzwerken sind die Nutzer geteilter Meinung darüber, wie der Schienenersatzverkehr in Corona-zeiten funktioniere. Einer schreibt: „Bin heute bereits Schienenersatzverkehr gefahren – hat prima geklappt.“Ein anderer wiederum: „In Zeiten von Corona zu Stoßzeiten so eine Überfüllung zuzulassen, ist ein in hohem Maße fahrlässiger Umgang mit der Gesundheit Ihrer Kunden!“
Doch es ist nicht das einzige Problem, das den Fahrgästen aufstößt. So beklagt ein Nutzer: „Die Lage der Haltestellen ist echt sehr schlecht für Radfahrer und die Fahrgäste.“Was er meint, lässt sich auch an diesem Vormittag beobachten. Im Bereich der Haltestellen, an denen direkt der Radweg vorbeiführt, kommt es immer wieder zu brenzligen Situationen zwischen vorbeirauschenden Radlern und Fußgängern, die in den Bus einsteigen wollen. Das Problem ist bei Matthias Korte von der MVG auf der Agenda: Man mache die Fahrgäste in den Bussen bereits mit Ansagen darauf aufmerksam. Und man wolle in dieser Woche zusätzliche Hinweisschilder aufstellen.
Überhaupt wird das Thema Fahrradfahren in München derzeit viel diskutiert. Wer ein bisschen durch die Innenstadt schlendert, erkennt schnell, warum: Gefühlt sind in der Landeshauptstadt so viele Radler unterwegs wie noch nie. Vor vielen Ampel bilden sich regelrechte Schlangen aus Fahrradfahrern, die es manchmal gar nicht alle in einer Grünphase über die Kreuzung schaffen. Bus- und Autofahrer müssen besonders aufpassen, dass sie keinen Radler streifen und beim Abbiegen niemanden übersehen. Und das sei nicht nur ein Gefühl, bestätigt Florian Paul, der Radverkehrsbeauftragte der Stadt München: „Unsere Zahlen und Daten belegen es, und auch ich beobachte es jeden Tag: Wir haben so viele Fahrradfahrer in München wie noch nie. Die Corona-krise macht das Fahrrad immer beliebter.“
Doch auch der städtische Radverkehrsbeauftragte beobachtet immer häufiger, dass es zu brenzligen Situationen kommt, wenn Fahrradfahrer, Fußgänger, Autos, Busse und Straßenbahnen aufeinandertreffen. „Wir sehen in diesen Tagen besonders gut, dass man neu entscheiden muss, wer wie viel Platz auf der Straße bekommt. Denn es wird immer enger – und auch gefährlicher.“