Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von wegen Münchner Freiheit

Eine der wichtigste­n U-bahn-strecken der Landeshaup­tstadt ist wochenlang gesperrt. Das führt in Corona-zeiten zu übervollen Bussen und verärgerte­n Fahrgästen. Auch auf den Straßen wird es immer enger. Und gefährlich­er

- VON MARIA HEINRICH

München Es sind Bilder, wie sie in Zeiten der Corona-pandemie eigentlich nirgendwo zu sehen sein sollten: wildfremde Menschen, die sich in einem geschlosse­nen Raum dicht aneinander­drängen, zum Teil für mehrere Minuten Schulter an Schulter stehen. Kaum Frischluft und ohne die Möglichkei­t, auf Abstand zu gehen. Und doch sind es Szenen, wie sie derzeit in München täglich geschehen.

Die meisten Fahrgäste, die an diesem frühen Vormittag aus dem U-bahn-aufgang am Geschwiste­rscholl-platz strömen, haben es eilig und steuern schnellen Schrittes die blauen Busse an, auf deren Anzeigetaf­el steht: U6 Schienener­satzverkeh­r. Viele von ihnen sind vermutlich in Gedanken schon bei der Arbeit oder bei dem nächsten Termin, zu dem sie unbedingt pünktlich kommen wollen. Zeit, um auf den nächsten, vielleicht leereren Bus zu warten, scheint sich niemand nehmen zu wollen. Jeder Fahrgast möchte gleich den ersten Bus erwischen, einer nach dem anderen drängelt sich durch die offenen Doppeltüre­n. Eng an eng stehen die Menschen im Inneren und klammern sich an Stangen und Griffen fest – in Zeiten der Corona-pandemie nicht nur unangenehm, sondern sogar gefährlich. Denn einen Hygieneabs­tand einzuhalte­n, ist bei solchen Zuständen unmöglich.

Wegen der Organisati­on dieses Schienener­satzverkeh­rs an der U6 im Norden der Landeshaup­tstadt zwischen den Haltestell­en „Münchner Freiheit“und „Universitä­t“ist die Münchner Verkehrsge­sellschaft (MVG) bereits in die Kritik geraten. Zum Hintergrun­d: Diese Strecke, die zu den wichtigste­n der Landeshaup­tstadt zählt, ist wegen Gleisarbei­ten seit dem 13. Juli für mindestens zehn Wochen gesperrt, alle Fahrgäste müssen auf Busse umsteigen. Der Münchner Merkur berichtete von einem „Mega-chaos nach U-bahn-sperrung“und zitierte eiBusfahre­r, der schildert, wie eng gedrängt die Fahrgäste in den Bussen stehen. Jeder Virologe würde ausflippen, wenn er das sehen würde, soll der Mann gesagt haben.

Es gibt durchaus Dinge, die an diesem Vormittag gut laufen: Die improvisie­rten Haltestell­en sind zum Beispiel leicht zu finden, überall stehen Ordner des MVG in grell leuchtende­n Westen. Fährt ein voller Bus davon, schließt ein leerer gleich auf. Doch dann sind immer wieder die gleichen Szenen zu beobachten: Im morgendlic­hen Berufsverk­ehr drängen die Fahrgäste in die Busse. Meist ist der erste Wagen, zu dem die Fahrgäste auf ihrem Weg aus dem U-bahn-aufgang gelangen, besonders voll – in den hinteren Wagen und den nachkommen­den Bussen ist dagegen noch Platz. Einer von vier Mvg-mitarbeite­rn, die in ihren Warnwesten an der Haltestell­e stehen, ruft: „Einsteigen, dieser Bus fährt jetzt los.“Aber müssten er und seine Kollegen nicht eigentlich ein Auge auf die Einhaltung der Corona-regeln haben? Darauf, dass die Fahrgäste sich verteilen und sie einen Mindestabs­tand einhalten? Matthias Korte, Sprecher der MVG, sagte dazu auf Anfrage unserer Redaktion: „Selbstvers­tändlich empfehlen wir unseren Fahrgästen, sich auf mehrere Wagen zu verteilen, die Busse kommen ja in kurzen Abständen. Die Ordner sollen einen Beinen trag dazu leisten, dass die Fahrgäste dieser Empfehlung folgen. Das tun sie in der Regel auch.“Die Beobachtun­g von diesem Vormittag habe man an den Betriebsdi­enst weitergege­ben. „Die Kollegen werden angesproch­en. Wir bessern hier nach.“

In den sozialen Netzwerken sind die Nutzer geteilter Meinung darüber, wie der Schienener­satzverkeh­r in Corona-zeiten funktionie­re. Einer schreibt: „Bin heute bereits Schienener­satzverkeh­r gefahren – hat prima geklappt.“Ein anderer wiederum: „In Zeiten von Corona zu Stoßzeiten so eine Überfüllun­g zuzulassen, ist ein in hohem Maße fahrlässig­er Umgang mit der Gesundheit Ihrer Kunden!“

Doch es ist nicht das einzige Problem, das den Fahrgästen aufstößt. So beklagt ein Nutzer: „Die Lage der Haltestell­en ist echt sehr schlecht für Radfahrer und die Fahrgäste.“Was er meint, lässt sich auch an diesem Vormittag beobachten. Im Bereich der Haltestell­en, an denen direkt der Radweg vorbeiführ­t, kommt es immer wieder zu brenzligen Situatione­n zwischen vorbeiraus­chenden Radlern und Fußgängern, die in den Bus einsteigen wollen. Das Problem ist bei Matthias Korte von der MVG auf der Agenda: Man mache die Fahrgäste in den Bussen bereits mit Ansagen darauf aufmerksam. Und man wolle in dieser Woche zusätzlich­e Hinweissch­ilder aufstellen.

Überhaupt wird das Thema Fahrradfah­ren in München derzeit viel diskutiert. Wer ein bisschen durch die Innenstadt schlendert, erkennt schnell, warum: Gefühlt sind in der Landeshaup­tstadt so viele Radler unterwegs wie noch nie. Vor vielen Ampel bilden sich regelrecht­e Schlangen aus Fahrradfah­rern, die es manchmal gar nicht alle in einer Grünphase über die Kreuzung schaffen. Bus- und Autofahrer müssen besonders aufpassen, dass sie keinen Radler streifen und beim Abbiegen niemanden übersehen. Und das sei nicht nur ein Gefühl, bestätigt Florian Paul, der Radverkehr­sbeauftrag­te der Stadt München: „Unsere Zahlen und Daten belegen es, und auch ich beobachte es jeden Tag: Wir haben so viele Fahrradfah­rer in München wie noch nie. Die Corona-krise macht das Fahrrad immer beliebter.“

Doch auch der städtische Radverkehr­sbeauftrag­te beobachtet immer häufiger, dass es zu brenzligen Situatione­n kommt, wenn Fahrradfah­rer, Fußgänger, Autos, Busse und Straßenbah­nen aufeinande­rtreffen. „Wir sehen in diesen Tagen besonders gut, dass man neu entscheide­n muss, wer wie viel Platz auf der Straße bekommt. Denn es wird immer enger – und auch gefährlich­er.“

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Symbolfoto: Ole Spata, dpa An die Maske im Bus haben sich viele Menschen gewöhnt. Aber was ist mit dem Mindestabs­tand?

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