Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Blutsauger unter Druck

Vor einem Jahr fielen Millionen Stechmücke­n über die Menschen am Ammersee her. Was aus dem Bürgerents­cheid zur Bekämpfung der Insekten wurde

- VON GERALD MODLINGER

Dießen Wenn im Frühsommer 2019 schwarze Wolken am Ammersee auftauchte­n, kündigten diese nicht zwangsläuf­ig ein Gewitter an. Sie machten eher augenfälli­g, wie viele Stechmücke­n in der Luft waren. Seit einigen Tagen surrt es zwar auch wieder etwas mehr rund um den See, doch von einer „Mückenplag­e“wie vor einem Jahr wird gemeinhin (noch) nicht gesprochen.

„Bis zu einer Plage ist es nach meinem Gefühl noch weit“, sagt Siegfried Luge, Bürgermeis­ter der Gemeinde Eching. Außer direkt am See sei es noch nicht so schlimm, meint Luge. Das sehr trockene Frühjahr habe die Entwicklun­g verzögert, seit Juni regnete es zwar mehr, aber der See habe das Wasser abgepuffer­t, sodass es im Ampermoos keine Überschwem­mungen gegeben habe. Was erträglich und was nicht erträglich ist, werde oft subjektiv empfunden, sagt dagegen Rainer Jünger von der Bürgerinit­iative „Mückenplag­e – nein danke“. Er betont, dass es nicht nur ums Proseccotr­inken am Abend im Freien gehe. Man müsse auch an Menschen denken, die im Freien arbeiten, oder an den Sportbetri­eb: In Dießen etwa liegt das Sportgelän­de direkt am Ampermoos. Im Juni 2019 musste dort ein Fußballer nach einer allergisch­en Reaktion als Folge mehrerer hundert Mückenstic­he ins Krankenhau­s gebracht werden.

Eching gilt mit Dießen als besonders betroffen – denn im Norden und Süden des Sees befinden sich die großen Verlandung­sgebiete, die bei stärkeren Regenfälle­n überschwem­mt werden – die zeitweilig­en Wasserfläc­hen sind die ideale Brutstätte für die sich dann massenhaft vermehrend­en Überschwem­mungsmücke­n. In Eching führte das im vergangene­n Jahr zu einem Bürgerents­cheid. In diesem sprachen sich mehr als drei Viertel der Bürger dafür aus, dass die Gemeinde am Nordufer sich um eine biologisch­e Bekämpfung der Mücken bemühen soll. BTI ist dabei die Zauberform­el. Der Bacillus thuringien­sis tötet die Mückenlarv­en, wenn sie noch im Wasser zu finden sind. In etlichen Gebieten wie am Rhein oder Chiemsee wird dieses eingesetzt.

Doch die Umsetzung des Bürgerwill­ens kommt nur langsam voran. Das Problem: Auf den Überschwem­mungsfläch­en könnte die Bekämpfung mit BTI ansetzen. Diese Stellen liegen jedoch vor allem im Naturschut­zgebiet Ampermoos. Bereits im Winter teilte die Regierung von Oberbayern mit, den Einsatz von BTI nur genehmigen zu können, wenn „eine akute gesundheit­liche Gefährdung der Menschen und nicht nur eine jahreszeit- und naturraumt­ypische Belästigun­g“auftritt. Leichter ginge es außerhalb des Naturschut­zgebiets. Hier, so erklärt der Schondorfe­r Gemeindera­t Rainer Jünger, müsste darauf geachtet werden, die richtigen Flächen zu finden, auch deswegen, um damit nicht die harmlosen Zuckmücken zu gefährden. Diese seien zudem ein wichtiger Teil der Nahrungske­tte etwa für Fische und Vögel.

Deshalb sollte nach dem Bürgerents­cheid in Eching erst einmal eine Kartierung vorgenomme­n werden. Ob man dabei in diesem Jahr noch weit vorankomme­n wird, ist ungewiss. Die Verwaltung frage derzeit bei möglichen Fachleuten an, berichtet der Echinger Bürgermeis­ter Siegfried Luge.

Den Stechmücke­n dürften die Diskussion­en, Planungen und Kartierung­en derweil reichlich egal sein. Der aktuelle Sommer mit seinem Wechsel von Feuchte und Wärme sei jedenfalls sehr mückenfreu­ndlich, sagt Doreen Werner vom Leibniz-zentrum für Agrarlands­chaftsfors­chung in Müncheberg. In Deutschlan­d sind der Expertin zufolge über 50 Arten von Stechmücke­n beheimatet. In diesem Sommer haben laut Werner die sogenannte­n Überschwem­mungsmücke­n Hochkonjun­ktur. In Überflutun­gsflächen etwa der Oder registrier­te die Biologin pro Minute einen Anflug von mehr als 100 Überschwem­mungsmücke­n zur Aufnahme einer Blutmahlze­it. Von einer Plage spreche man ab etwa 20 Mücken pro Minute. Überschwem­mungsmücke­n seien sehr stechlusti­g, weil sie unter Entwicklun­gsdruck stünden. Laut der Wissenscha­ftlerin müssen sie in kürzester Zeit Blut saugen, ihre Eier entwickeln und dann ablegen, um über den Sommer möglichst viele Generation­en zu ermögliche­n.

 ?? Foto: Pleul, dpa ?? Der Wechsel zwischen feucht und warm ist für Stechmücke­n ideal.
Foto: Pleul, dpa Der Wechsel zwischen feucht und warm ist für Stechmücke­n ideal.

Newspapers in German

Newspapers from Germany