Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Virtuose Musikanten auf großer Bergtour

Projekt Nach den Konzertabs­agen durch Corona haben Matthias Schriefl und Johannes Bär viel Zeit. Deshalb laufen die beiden Künstler acht Tage lang quer durch die heimatlich­en Alpen. Wir sind ein Stück mitgegange­n

- VON KLAUS-PETER MAYR

90 Minuten sind es noch bis Sibratsgfä­ll. Das steht auf dem Wanderschi­ld irgendwo an den Hängen des Bullerschk­opfs. Doch das Konzert, das Matthias Schriefl und Johannes Bär auf dem Dorfplatz geben sollen, beginnt schon in 75 Minuten. Deshalb haben die Beiden es plötzlich sehr eilig; die Trinkpause fällt kurz aus. „Wir müssen weiter“, sagt Bär und treibt den kleinen Tross an, der in den Bregenzerw­älder Bergen unterwegs ist. Er und Schriefl schreiten mit langen Schritten voran, ungeachtet der schweren Rucksäcke auf ihren Rücken. Dennoch bleibt ihnen genügend Luft, um nebenbei ihren Auftritt zu planen. Sie legen fest, welche Stücke sie spielen, singen schwierige Melodien durch und versuchen, den Text alter Schlager ins Gedächtnis zu rufen, die sie neben Volksmusik, Blues, Jazz, Weltmusik und Jodlern ihrem Publikum auf dem Dorfplatz von Sibratsgfä­ll präsentier­en möchten.

Begonnen hat ihre Tour zehn Stunden früher in Andelsbuch, dort wo Johannes Bär wohnt. Er und Matthias Schriefl, musikalisc­he Brüder im Geiste und Multiinstr­umentalist­en, machen sich den Spaß, in acht Etappen vom Geburtsort des Bregenzerw­älders Bär zum Geburtsort des Allgäuers Schriefl zu wandern. Über etliche Bergkämme, viele tausend Höhenmeter hinauf und hinab. Sie ziehen von Tal zu Tal, von Alpe zu Alpe. Zu Fuß, deshalb nennen die Dialektfre­unde ihr Projekt „zfuaß“-tour. Jeden Abend spielen sie ein Konzert, dazwischen immer wieder mal ein Ständchen. Am kommenden Sonntag wollen sie im „Almcafé Schnakenhö­he“in Maria Rain einen finalen Auftritt hinlegen – und vermutlich von ihren Erlebnisse­n erzählen mit all den humorvolle­n Ausschmück­ungen und Abschweifu­ngen, die die beiden seelenverw­andten Spaßvögel so lieben. Schon nach zwei Tagen hat sich einiges ereignet, darunter ein Gewaltmars­ch, Nacktdusch­en am Berghang, Entdecken eines unbekannte­n, aber genialen Alphornbau­ers und Erkunden eines schiefen Hauses. Schon lange hegte Matthias Schriefl den Wunsch, solch eine Bergtour zu machen. „Corona hat uns endlich die Zeit dafür gegeben“, sagt er.

Die „zfuaß“-tour findet ein mediales Echo. Eine Kamerafrau filmt fürs Bayerische Fernsehen, eine Hörfunkrep­orterin nimmt O-töne für eine Br-klassik-sendung auf. Beim Start in Andelsbuch halten sie ihre Mikrofone in Richtung der beiden Nichten von Johannes Bär, die an der Haustür einen Abschiedsj­odler singen. Dann geht es hinauf Richtung „Niedere“, dem Hausberg des

Dorfes, wo an diesem Sonntag ein Weisenblas­en stattfinde­t. Bekleidet mit hirschlede­rnen Kniebundho­sen, urigen Filzhüten auf den langen Haaren und dicken Rucksäcken auf dem Buckel marschiere­n Bär, 37, und Schriefl, 39, los. Man glaubt gar nicht, was sie so alles eingepackt haben neben der Kleidung: Schriefl trägt zwei (zerlegte) Alphörner mit, Bär eine Tuba. Schwer wiegen die Rucksäcke, schätzungs­weise 20 bis 25 Kilogramm wie ein Hebetest ergibt. Dennoch gehen die beiden zügig die ersten 1000 Höhenmeter bergan. Den Ratschlag von Johannes’ Mutter, dass sie „hofele“, also vorsichtig und langsam tun sollen, ignorieren sie. Man merkt, dass sie in den vergangene­n Wochen gezielt Sport gemacht haben. Ein zweiköpfig­es Kamerateam, das die beiden in den nächsten acht Tagen begleitet und einen Kinofilm machen soll, nimmt sicherheit­shalber den Sessellift.

Oben reihen sich die beiden weltläufig­en Musiker nahtlos ins traditione­lle Weisenblas­en ein. Keine Spur von Distanz. Warum auch, schließlic­h sind Matthias und Johannes mit Volks- und Blasmusik groß geworden, bevor sie im Teenager

Alter andere klangliche Welten erobert haben, vor allem den Jazz. Schriefl studierte Jazz in Köln und gilt als einer der kreativste­n Trompeter seiner Generation; Bär ließ sich, ebenfalls auf der Trompete, im Vorarlberg­er Landeskons­ervatorium und im Salzburger Mozarteum ausbilden. Vermutlich ist es nicht übertriebe­n, ihn als einen der herausrage­nden Virtuosen Europas zu bezeichnen, vor allem auf den tieferen Blechblas-instrument­en. Bei der Vorarlberg­er Band HMBC hat er auch mitgemacht – und begeistert­e mit dem Bregenzerw­ald-hit „Vo Mello bis ge Schopporno­u“ein großes, vor allem junges Publikum.

Schriefl packt nun seine Alphörner aus. Eines besteht aus acht Holzteilen, die er routiniert zusammensc­hraubt. „Das ist ein frühes Freejazz-instrument“, witzelt er, wie so oft auf der Tour. „Die Hirten haben sich improvisie­rend die Botschafte­n zugespielt.“Das andere Alphorn ist aus Karbon und lässt sich wie ein Teleskop-stecken auseinande­rziehen. Die ersten Töne klingen noch brav, doch bald stimmen sie anderes an: Bluesiges, Jazziges, Afrikanisc­hes. Die Bergschuhe haben sie ausgezogen und spielen barfuß.

Menschlich und musikalisc­h pfeifen sie auf Konvention­en, was ihnen den Ruf eingebrach­t hat, wahlweise schräge Vögel oder bunte Hunde zu sein. Freigeiste­r mit sprühender

Fantasie sind sie allemal. Das schließt das Konservati­ve im besten Sinn mit ein, weil sie das Ursprüngli­che, das Echte, das Einfache lieben. Weil sie sich um Natur und Kultur sorgen. Mit Heimattüme­lei hat das nichts zu tun.

Beim Weisenblas­en tun sie wirklich „hofele“: Erst am späten Nachmittag machen sie sich Richtung Sibratsgfä­ll auf, wo sie abends das erste Konzert der Tour geben sollen. Unterwegs wird oft so gesprochen, wie Schriefl und Bär Musik machen. Neben dem tiefen Ernst steht fast bruchlos der Humor. Wegbegleit­er sind schräge Sprüche, ironische Bemerkunge­n und immer wieder mal

Juchzer, die Freudensch­reie der „Beargler“. Nicht immer ist ganz klar, was wahr und was geflunkert ist. Einer von Schriefls Sprüchen lautet: „In der Schule hat man uns beigebrach­t, dass Ordnung das halbe Leben ist. Ich konzentrie­re mich auf die andere Hälfte.“

Doch Ordnung muss (auch) sein: Als sie merken, dass es knapp wird mit der Zeit, geben sie gehörig Gas. Den Schnaps, den man ihnen auf einer Alpe anbietet, weil sie ein Jodler-ständchen gesungen haben, lehnen sie ab. So erreichen sie Sibratsgfä­ll rechtzeiti­g. Auf dem idyllische­n Dorfplatz warten schon dutzende Zuhörer. Eine Pause gönnen sich Schriefl und Bär nach der siebenstün­digen Wanderung nicht.

Sie packen ihre Instrument­e aus, setzen sich auf eine Bank und fangen pünktlich mit einer Alphorn-hymne an. Sie passt bestens zur blutroten Abendsonne, die mit den Gewitterwo­lken und den Bergen ringsum farblich spielt. Dann folgt der übliche schräge Mix aus Volksmusik, Rock, Blues, Jazz und Weltmusik, garniert mit ironisch-lustigen Moderation­en. Das zaubert den Zuhörern schnell ein Lächeln auf die Gesichter.

Während Johannes Bär sich gleich nach dem Konzert ins Bett legt, schlägt sich sein Kompagnon mit ein paar Fans auf dem Dorfplatz die Nacht um die Ohren.

Corona hat ihnen endlich die Zeit für die Tour gegeben

 ?? Foto: Ingrid Grohe ?? Barfuß nur fürs Alphorn-ständchen mit Blick über den Bodensee und das Allgäu: Matthias Schriefl (vorne) und Johannes Bär bei ihrer „zfuaß“-tour.
Foto: Ingrid Grohe Barfuß nur fürs Alphorn-ständchen mit Blick über den Bodensee und das Allgäu: Matthias Schriefl (vorne) und Johannes Bär bei ihrer „zfuaß“-tour.

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