Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Leiden der Frauen
In Frankreich gefeiert: Victoria Mas’ Debüt
Was erwartet man (oder frau), wenn man (oder frau) von einem Roman hört, er sei in Frankreich als bestes Debüt des Jahres ausgezeichnet worden? Dass er auch in hiesigen Bestenlisten auftaucht? Das ist mit „Die Tanzenden“von Victoria Mas bereits geschehen. Dass er literarisch heraussticht, eindrucksvoll erzählt ist, originell komponiert? Das hingegen ist nicht der Fall.
Die Autorin, Jahrgang 1987, liefert einen Schmöker, emotional und eingängig geschrieben und bis in die Figuren hinein so gebaut, dass sich Ken-follett-haft aus dem historischen Stoff das beabsichtigte Bild aufs Klarste konturiert zeigt. Und das hat es in sich. Denn Victoria Mas führt im Jahr 1885 in die Salpêtrière in Paris, nominell eine psychiatrische Frauenklinik – tatsächlich aber nicht selten der Nicht-ort, an den Männer die Frauen bringen, die sich nicht rollengemäß fügen, und seien es ihre Mütter, Ehefrauen oder Töchter.
Hysterikerinnen, Manische, Depressive, Psychotikerinnen…– die Leiden dieser Frauen sind meist der Ignoranz und der Tyrannei der Männer geschuldet, wie hier am Beispiel vor allem von Louise und Eugénie erzählt wird, die eine traumatisiertes Gewaltopfer, die andere noch wie eine Hexe Verfemte wegen übersinnlicher Talente. Und tatsächlich: So lange ist das alles ja gar nicht her! Dieser historische Skandal lässt sich mit Victoria Mas erlesen – bloß allzu märchenhaft. Aber immerhin wird es so wohl viele Leserinnen und Leser erreichen.
Übs. Julia Schoch, Piper, 240 S., 20 ¤