Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Tod wartet nicht
Kent Harufs Vermächtnis
Dad Lewis hat Krebs. Er ist 77 und weiß, er wird sterben. Aber „Kostbare Tage“will er noch erleben – und so heißt auch dieser nächste Roman von Kent Haruf, der nun, sechs Jahre nach dessen Tod, zu entdecken ist, weil sein eigentlich letztes Buch ein Überraschungserfolg wurde: „Unsere Seelen bei Nacht“.
Für die kostenbaren Tage nun wollen Lewis’ Frau und seine Tochter sorgen. Nur der schwule Sohn fehlt. Das Zerwürfnis mit dem reaktionären Vater hat ihn aus dem Haus getrieben. In seinen letzten Tagen würde Dad es gerne wieder gutmachen. Auch sein Erbe will der Eisenwarenhändler bestellen. Aber es scheint, als würde neben Dads Persönlichkeit auch die Welt um ihn herum zerfallen. Der neue Pastor wird aus der Kirche gejagt, weil er vom Vergeben predigte, sein Sohn versucht, sich umzubringen. Nur die Frauen halten alles noch zusammen. Und das Waisenmädchen Alice in der Nachbarschaft nährt die Hoffnung, dass es weitergeht mit dem Leben auch nach Dads Tod. Dessen Tage vergehen quälend langsam, und die Beschreibung der täglichen Pflegerituale quält auch die Leser. Kent Haruf schont sie nicht; da ist nichts Poetisches in seinen detailreichen Beschreibungen, nur die Banalität des Todes. Doch während der sterbende Dad im abgedunkelten Zimmer mit den Gespenstern seiner Vergangenheit hadert, macht Alice erste Schritte in ein eigenständiges Leben …
Übs. pocacio u. Roberto de Hollanda, Diogenes, 350 S. 24 ¤