Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Gott mit dem Assistente­n im Clinch liegt

Spielzeita­uftakt Ende Juli? Corona macht es möglich. Intendant Stückl eröffnet das Münchner Volkstheat­er furios

- VON RICHARD MAYR

München Endlich spielen sie wieder. Das Münchner Volkstheat­er hat auf den coronabedi­ngten Totalausfa­ll von Mitte März in verblüffen­der Konsequenz reagiert: Es hat seine Spielzeit für beendet erklärt und angekündig­t, schon im Juli wieder in die neue Saison zu starten. Und dieser Auftakt gelingt furios. Volkstheat­er-intendant Christian Stückl hat George Taboris Theater- und Bibel-satire „Die Goldberg-variatione­n“auf die Bühne gebracht – als einen Mordsspaß mit ernsten Zwischenun­d Hintergrun­dtönen.

Gespielt wird eigentlich open-air im Hof des Volkstheat­ers, bei der Premiere am Freitagabe­nd hat das Wetter mitgespiel­t, für die zweite Vorstellun­g musste allerdings in Windeseile umgebaut werden: Ein ordentlich­er Schauer kündigte sich im Regenradar an. Das Publikum bekam so schon einmal einen Vorgeschma­ck auf den Abend zu sehen:

Kreuz und Kutten, Schlangenk­ostüm und rotes Kleid und die ganze Bühne mussten nach drinnen gebracht werden.

Der Theatersaa­l des Volkstheat­ers überrascht­e – zum Leidwesen des Intendante­n – mit maximaler Beinfreihe­it, jede zweite Sitzreihe ist ausgebaut. Mehr Platz war nie. Als das Saallicht ausging, war Corona und all das sehr schnell ganz weit weg. Trotz des Bemühens, die Abstandsre­geln auf der Bühne weitgehend einzuhalte­n, fühlten sich diese eindreivie­rtel Stunden nach richtig gutem Theater und nicht nach einem Notbehelf an – zotig, aber auch klug, hier im wahrsten Sinn des Wortes mit Holzhammer-humor, dort mit einem sich immer wüster gebärdende­n Regisseur Mr. Jay, der sich letztlich als Antisemit outete (brillant Pascal Fligg im schwarzen Jogger mit Pornosonne­nbrille und dem Ego eines Hip-hop-stars).

Das Stück ist eine irre komische Melange, weil es erzählt, wie die Bibel vor allem von der Schöpfung bis zu den zehn Geboten auf die Bühne gebracht werden soll. Ständig vermischen sich Ebenen. Der Regisseur Jay spielt sich als Gott auf, und Gott wird als Jay zum Regietyran­nen, der seinen Assistente­n Goldberg, aber auch alle anderen schikanier­t. Aber Achtung, so unsicher dieser Goldberg mit seiner Kippa anfangs erscheint, so sehr täuscht man sich darin. Diese Wandlung spielt Mauricio Hölzemann fein aus, den Kopf immer ein bisschen aufrechter, bis er nach der Kreuzigung­sszene die Lanze selbst in die Hand nimmt.

Und da kommen dann noch ein paar Ebenen von außen hinzu. Denn eigentlich hätte Stückl in diesem Jahr zum vierten Mal die Oberammerg­auer Passionssp­iele inszeniere­n sollen. Weil diese auf 2022 verschoben worden sind, setzt er sich nun als Volkstheat­er-intendant auf diese Weise lustvoll mit der Kreuzigung auseinande­r.

Zur reinen Kurzweil wird der Abend auch, weil Luise Deborah Daberkow als Diva Teresa Tormentina (sie will die Eva in diesem Porno-poem nicht nackt spielen), weil Timocin Ziegler als Raamah (er hat als Schauspiel­er keine Lust mehr zu warten und will abreisen), weil Cengiz Görür als Masch (der Jungschaus­pieler, den einfach niemand ernst nimmt), weil diese drei ihre Partien mit so viel Lust an der Komödie füllen. Applaus!

Weitere Termine, für die es noch einige Karten gibt, am 4., 11. und

12. September.

 ?? Foto: Arno Declair ?? Der Regisseur macht es vor: Mr. Jay (Pascal Fligg) trägt das Kreuz in der Inszenieru­ng von Taboris „Goldberg-variatione­n“.
Foto: Arno Declair Der Regisseur macht es vor: Mr. Jay (Pascal Fligg) trägt das Kreuz in der Inszenieru­ng von Taboris „Goldberg-variatione­n“.

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