Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Scharfe Kritik am Fugger und Welser Museum

Debatte Schönt das Augsburger Haus die Geschichte? Und verharmlos­t es den Menschenha­ndel mit der Schwarzen Bevölkerun­g? Zum Beispiel gibt es da diese App für Kinder und Jugendlich­e, die aus der Perspektiv­e eines Sklavenjun­gen durchs Museum führt

- VON RICHARD MAYR

Die Kritik an einem neuen spielerisc­hen Rundgang durch das Fugger und Welser Erlebnismu­seum mithilfe einer neuen App ist massiv und deutlich: Die Augsburger Kolonialge­schichte werde darin „stark verharmlos­end“dargestell­t. Man gehe mit dem Thema leichtfert­ig um. Schlimmer noch, Kindern werde ein völlig falsches Bild der Sklaverei gezeigt. Das Museum erzähle in der Tradition des Kolonialre­visionismu­s, der die gewaltsame Eroberungs­geschichte der Kolonien zu einer europäisch­en Abenteuerf­antasie verdrehe. ,,Es ist unwürdig, Massenmord und Menschenha­ndel mit Schwarzen Menschen zum Erlebnissp­ielplatz und Ratespiel für Kinder zu verharmlos­en. Ein Genozid ist nicht lustig“, sagt der Münchner Raphael Dernbach von der Initiative Schwarze Menschen in München.

Im Januar hat das Fugger und Welser Erlebnismu­seum als eines der ersten Museen in Bayern eine neue App in Betrieb genommen, die extra für alle nichtstaat­lichen bayerische­n Museen entwickelt wurde. Eine technische Plattform, die die Museen mit eigenen Inhalten füllen können. Das Fugger und Welser Erlebnismu­seum hat sich dazu entschiede­n, mit der App einen spiele

Rundgang durch das Museum für Kinder und Jugendlich­e zu ermögliche­n – aus der Sicht des 12-jährigen Sklavenjun­gen Perico, der im frühen 16. Jahrhunder­t von dem Handelshau­s der Welser gekauft und später mit Gewinn verkauft worden ist.

Und da setzt dann auch sofort die Kritik ein: „Das ist überhaupt nicht akzeptabel“, sagt der Münchner Raphael Dernbach, der gemeinsam mit der Ethnologin Ina Hagen-jeske, dem Kulturgesc­hichtler Claas Henschel und dem Historiker Philipp Bernhard (alle Universitä­t Augsburg) die App bereits vor Monaten getestet hat. Dernbach, dessen Großvater noch selbst als Nachfahre von Sklaven auf Jamaika in bitterer Armut lebte und mit elf Jahren seine Familie verließ, um allein auf einem Schiff anzuheuern, führt in einem Gespräch kurz aus, wie brutal und unmenschli­ch der Sklavenhan­del im 16. Jahrhunder­t war: „Auf der Überfahrt sind ein Drittel der Menschen auf den Schiffen gestorben“, sagt Dernbach. In der App heißt es lediglich, dass Perico auf dem Schiff Hunger gehabt habe.

Bernhard, Hagen-jeske und Henschel haben in dem Augsburger Blog DAZ – Die Augsburger Zeitung einen Beitrag verfasst. Dort heißt es in Bezug auf diese App, „wie ver

gut gemeinte und innovative Bildungsfo­rmate Rassismus reproduzie­ren können“. Dass die Kinder und Jugendlich­en, die mit dieser App auf Tour durchs Museum gehen, dann auch noch die Gewinnspan­ne errechnen sollen, die die Welser mit dem Verkauf des Sklavenjun­gen Pericos erzielt haben, findet Dernbach im Gespräch „einfach unsäglich“.

Vor einem halben Jahr haben Bernhard, Hagen-jeske und Henrischen schel dem Museum mitgeteilt, wie problemati­sch sie die App finden. „Wir haben eine grundlegen­de Neukonzept­ion ohne Perico gefordert, und dass die App in der aktuellen Form offline genommen werden soll. Allerdings wollte das Museum nicht von der Figur des Perico abrücken“, sagt Hagen-jeske. „Uns gegenüber wurde eine Überarbeit­ung der Tour angedeutet, jedoch ist seitdem nicht viel geschehen – außer kleine Änderungen im Ankündimei­ntlich gungstext der Homepage.“Laut Bernhard, Hagen-jeske und Henschel seien die beiden Quellenbel­ege, auf die sich das Museum bei der historisch­en Figur des Perico bezieht, von zwei unterschie­dlichen Personen.

Das Problem unabhängig davon sei außerdem, dass die erfundene Figur Perico gänzlich ahistorisc­h sei. Sie denke und handele völlig anders, als es die Forschung nahelege: Er empfinde seine Überseefah­rt als lustiges Abenteuer, er hege Sympathien für seinen „Herren“, er denke nicht an Widerstand und hoffe auf ein Happy End. Was völlig fehle, sei zum Beispiel auch ein Hinweis auf den demografis­chen Kollaps der indigenen Bevölkerun­g Amerikas, zu dem das Welser-unternehme­n durch Gewaltherr­schaft und das Einschlepp­en von Krankheite­n einen Beitrag geleistet habe.

Die Leiterin des Fugger und Welser Erlebnismu­seums, Wiebke Schreier, bestätigt, dass sie mit Bernhard, Hagen-jeske und Henschel in Kontakt war. „Wir bemühen uns, offen und gesprächsb­ereit mit unseren Themen umzugehen“, sagt sie. Das Fugger und Welser Erlebnismu­seum wolle kritisch mit der Geschichte der beiden Familien umgehen. „Uns hat man jetzt gesagt, dass wir der Altersgrup­pe, die wir mit der App ansprechen wollen, auch noch mehr zumuten kann“, sagt Schreier. Das Museum sei offen für eine Überarbeit­ung, um die Punkte, die kritisiert worden seien, nachzuschä­rfen. Seit längerem werde die App überarbeit­et, die Geschichte solle darin nicht herunterge­spielt werden. Im Augenblick setze man sich mit der öffentlich geäußerten Kritik von Bernhard, Hagenjeske und Henschel auseinande­r und berate, wie das in die Anpassung der App einfließen könne. „Und wenn sich herausstel­lt, dass wir die Figur Perico nicht halten können, ändern wir sie.“

Oft im Einsatz sei die App noch nicht gewesen. Corona habe auch das Fugger und Welser Erlebnismu­seum über Wochen lahmgelegt. Wenn sie für Schulklass­en zum Einsatz komme, gebe es flankieren­d dazu immer auch Gespräche mit den Kindern und Jugendlich­en. „Da hatten wir den Eindruck, dass die Schüler nachdenkli­ch geworden sind“– etwa mit welchen Gewinnspan­nen Sklaven früher verkauft worden seien. Falls das aber nicht eindeutig genug in der App formuliert sei, werde man da noch nacharbeit­en. Das Museum sei nach wie vor offen für Dialog. „Wir wollen diese Themen diskutiere­n“, sagt Schreier.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Einen spielerisc­hen Rundgang durch das Museum bietet eine App des Fugger und Welser Erlebnismu­seums für Kinder- und Jugendlich­e. An deren Inhalten gibt es jetzt Kritik.
Foto: Silvio Wyszengrad Einen spielerisc­hen Rundgang durch das Museum bietet eine App des Fugger und Welser Erlebnismu­seums für Kinder- und Jugendlich­e. An deren Inhalten gibt es jetzt Kritik.

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