Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

In aller Freundscha­ft

Der Us-truppenabz­ug ist nicht nur für die betroffene­n Gemeinden ein schwerer Schlag. Er stellt auch das deutsch-amerikanis­che Verhältnis auf die Probe. Ein Staatssekr­etär auf heikler Mission

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin/grafenwöhr Vor dem Rathaus in der Kleinstadt Vilseck ist der Medienandr­ang groß. Us-präsident Donald Trump will etwa 4500 der dort stationier­ten Soldaten abziehen. Am Tag nach der Ankündigun­g hat Vilsecks Bürgermeis­ter Hans-martin Schertl sämtliche Termine abgesagt, er gibt ein Interview nach dem anderen. Zwar sei zuvor schon darüber spekuliert worden, sagt er. Für die Region sei die Nachricht dennoch ein Schock. Der Ustruppenü­bungsplatz ist ein enormer Wirtschaft­sfaktor. Der Bürgermeis­ter hofft, dass der Abzug abgewendet werden kann.

Gut 6000 Einwohner hat Vilseck – ohne die Amerikaner. Der Großteil der rund 5500 Soldaten sowie etwa 9000 Familienan­gehörige sollen die Stadt verlassen, wie Us-verteidigu­ngsministe­r Mark Esper in Washington erklärte. Das würde das Stadtbild und das Leben in Vilseck massiv verändern. Die Soldaten und ihre Familien kaufen in den örtlichen Geschäften ein, zahlreiche Einheimisc­he sind beim Us-militär als Zivilisten angestellt. Über die Jahrzehnte seien viele Freundscha­ften entstanden und Ehen geschlosse­n worden. In den vergangene­n Jahren sind hunderte Millionen Dollar in die Modernisie­rung des Truppenübu­ngsplatzes, etwa in Schießbahn­en und Infrastruk­tur, investiert worden. Einige Baumaßnahm­en sind noch gar nicht abgeschlos­sen. Jährlich geht vom Truppenübu­ngsplatz eine Wirtschaft­skraft in Höhe von rund 700 Millionen Euro aus – seien es Löhne, Mieten oder Bauaufträg­e.

Doch beim Truppenabz­ug der

Amerikaner geht es um mehr als um die Wirtschaft­skraft – es geht um den Umgang unter Verbündete­n. Fallen die Gespräche zwischen Berlin und Washington schon zu normalen Zeiten eher schwer, hat die Corona-pandemie den persönlich­en Austausch zwischen Politikern von beiden Seiten des Atlantiks weitgehend zum Erliegen gebracht. Einer der Ersten, der sich nun in den Flieger in Richtung Washington setzte, war Verteidigu­ngsstaatss­ekretär Thomas Silberhorn. Der Csu-politiker traf bis Donnerstag hochkaräti­ge Vertreter des Weißen Hauses, des Us-verteidigu­ngsministe­riums, des Außenminis­teriums sowie Abgeordnet­e von Republikan­ern und Demokraten. In einem Telefonges­präch mit unserer Redaktion berichtet er von „konstrukti­ven Gesprächen auf der Arbeitsebe­ne“. Im Pentagon sei man sehr bemüht, „ein strategisc­hes Konzept zu entwerfen, in das man den Truppenabz­ug einbetten kann“.

Aus militärfac­hlicher Sicht, sagt Silberhorn, sei es durchaus nachvollzi­ehbar, die Kommandost­ruktur in Europa zu straffen. Wenn das Uskommando Europa wie angekündig­t aus Stuttgart ins belgische Mons ziehen werde, geschehe das vor allem, weil sich dort bereits das oberste Hauptquart­ier der alliierten Streitkräf­te in Europa befinde. Das Us-afrika-kommando werde wohl von Stuttgart weiter nach Süden und damit näher an die Einsatzreg­ion rücken – möglicherw­eise nach Italien. Silberhorn bemüht sich um Diplomatie: „Überlegung­en, die amerikanis­chen Truppen weltweit flexibler aufzustell­en, etwa häufiger durch verschiede­ne Länder rotieren zu lassen, gibt es seit langem. Die Verlegung von Truppen aus Deutschlan­d nach Rumänien, Bulgarien und Polen würde dem entspreche­n.“

Klar ist aber auch, dass mit dem Verlegungs­plan ein politische­s Signal an Berlin verbunden ist. Denn die drei osteuropäi­schen Länder haben das Nato-ziel, zwei Prozent ihrer Wirtschaft­sleistung für die Verteidigu­ng auszugeben, bereits ganz oder fast erreicht. Im Gegensatz zu anderen Ländern, darunter Deutschlan­d. So muss Silberhorn im sommerlich­en Washington, wo derzeit um die 40 Grad Celsius herrschen, vor allem gut Wetter machen. Alles andere als eine leichte Aufgabe, ist Trumps Abneigung gegen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) doch legendär.

Ein wenig helfen könnte Silberhorn immerhin der Umstand, dass die Bundeswehr derzeit einige milliarden­schwere Rüstungsin­vestitione­n plant. Zusammen mit Vertretern des Pentagons hat sich der parlamenta­rische Staatssekr­etär eigenen Angaben zufolge zwei Usmodelle schwerer Transporth­ubschraube­r zeigen lassen. Außerdem auf dem deutschen Einkaufsze­ttel: zwei Versionen des Kampfjets F18. Sie sollen neben den europäisch­en Eurofighte­rn die alten Luftwaffen­tornados ersetzen. Die F18 „Superhorne­t“könnte im Rahmen der nuklearen Teilhabe auch in Deutschlan­d stationier­te Us-atombomben transporti­eren, während die Variante „Growler“für die elektronis­che Kriegsführ­ung entwickelt wurde.

Dem deutschen Kaufintere­sse zum Trotz – bei allen Gesprächen mit den Vertretern der Us-regierung sei eines klar geworden, so Silberhorn: „Donald Trump geht es bei der Entscheidu­ng zum Truppenabz­ug vor allem darum, Deutschlan­d eine Lektion zu erteilen.“Der Us-präsident hat Deutschlan­d wiederholt vorgeworfe­n, seinen Verpflicht­ungen nicht nachzukomm­en, es sich unter dem Schutzschi­rm der USA allzu bequem gemacht zu haben, ohne entspreche­nd dafür zu zahlen. Für Silberhorn sind manche der markigen Trump-äußerungen „dem Wahlkampf geschuldet und vor allem an die eigene Bevölkerun­g gerichtet“. Doch es sei die übereinsti­mmende Haltung aller Akteure in Washington, dass Europa und vor allem Deutschlan­d mehr für ihre eigene Verteidigu­ng tun müssten. „Die Amerikaner sind überzeugt, dass sich Deutschlan­d bewegen muss, damit sich auch die anderen europäisch­en Staaten bewegen. Deshalb wird die Bundesregi­erung auch etwas härter angefasst“, sagt er. Die Erwartung sei, dass Europa sich künftig stärker selbst um die Krisen in seiner Nachbarsch­aft kümmere und Deutschlan­d dabei eine gewichtige­re Rolle spiele. Dies äußerten Republikan­er wie Demokraten.

Den Amerikaner­n, diesen Eindruck hat Silberhorn in seinen Gesprächen gewonnen, sei aber durchaus klar, dass ihnen die starke Uspräsenz in Deutschlan­d auch selbst nutze. Deutschlan­d werde weiter als einer der wichtigste­n Verbündete­n wahrgenomm­en. Doch wenn der transatlan­tische Small Talk vorbei ist, geht es am Ende immer ums Geld. Silberhorn weist dann darauf hin, dass Deutschlan­d zum Zweiprozen­t-ziel

stehe, aber eben auch nicht zaubern könne. Immerhin habe die Bundesrepu­blik ihr Verteidigu­ngsbudget seit 2014 um 45 Prozent gesteigert.

Der Streit ums Geld erhält durch die Corona-krise neues Feuer. Denn weltweit ist die Wirtschaft eingebroch­en, in den USA sogar massiv. Überall in der Us-hauptstadt, so berichtet Silberhorn, seien Geschäfte geschlosse­n, manche Schaufenst­er zudem offenbar bei Unruhen zerstört. Über die Frage, ob die Wirtschaft­sleistung als alleiniges Kriterium für die Höhe des Nato-beitrags vielleicht ungeeignet ist, darüber hat Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Krampkarre­nbauer (CDU) zuletzt laut nachgedach­t. Deutschlan­d könnte durch seine schrumpfen­de Wirtschaft seine Nato-quote schneller als geplant auf zumindest 1,5 Prozent steigern. Um dauerhaft eine faire Lastenvert­eilung in der Nato zu erreichen, regt Kramp-karrenbaue­r an, dass Deutschlan­d zehn Prozent der Kapazitäte­n des Bündnisses schultert. „Ein solcher Beitrag würde derzeit auch etwa den zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung entspreche­n“, sagt Silberhorn. Denn eines sei bei seinem Besuch erneut klar geworden: „Das Zweiprozen­t-ziel gilt in Washington als nicht verhandelb­ar, das würde sich auch unter einem neuen Präsidente­n nicht ändern.“Dennoch könnte die Us-präsidents­chaftswahl in rund 100 Tagen eine neue Situation schaffen. Silberhorn sagt: „Die Umsetzung der Us-pläne wird Milliarden kosten und Jahre dauern. Das eröffnet Handlungss­pielraum, den wir nutzen wollen, um das transatlan­tische Bündnis zu stärken.“

Kramp-karrenbaue­r bringt neues Modell ins Gespräch

 ?? Foto: Imago ?? So sehr man sich in Berlin auch um öffentlich­es Verständni­s für die Entscheidu­ng des Us-präsidente­n bemüht – der Bundesregi­erung ist klar, dass es sich beim Truppenabz­ug um eine Strafmaßna­hme Donald Trumps handelt. Der hält dem Verbündete­n seit Jahren vor, zu wenig für die eigene Verteidigu­ng auszugeben.
Foto: Imago So sehr man sich in Berlin auch um öffentlich­es Verständni­s für die Entscheidu­ng des Us-präsidente­n bemüht – der Bundesregi­erung ist klar, dass es sich beim Truppenabz­ug um eine Strafmaßna­hme Donald Trumps handelt. Der hält dem Verbündete­n seit Jahren vor, zu wenig für die eigene Verteidigu­ng auszugeben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany