Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vom Kinderbloc­k in die Talkshows

Die Fan-organisati­onen setzen sich intensiv mit dem Fußball in der Corona-krise auseinande­r und wollen das Profigesch­äft verändern. Eine Frau aus Freiburg gehört dabei zu den wichtigste­n Figuren: Sc-anhängerin Helen Breit

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Freiburg Als Helen Breit mit fünf Jahren von ihrem Vater erstmals ins Stadion des SC Freiburg mitgenomme­n wurde, da schlief sie auf seinem Schoß ein. Heute zeigt sich die 33-Jährige hellwach, schlagfert­ig und themensich­er, wenn es um die Belange von Fans geht. Als Vorstandsm­itglied und Sprecherin von „Unsere Kurve“sitzt die Erziehungs­wissenscha­ftlerin in Talkshows, gibt viele Interviews – und diskutiert auf Augenhöhe mit Spitzenfun­ktionären wie Christian Seifert und Fritz Keller. „Wenn es um Fußball geht, rede ich immer ganz schön viel“, sagt die Freiburger­in.

„Das macht sie exzellent. Ich bin ganz begeistert, wenn sie in einer Runde ist, denn dann hat man die Garantie, dass es sachlich wird“, sagt Fan-forscher Harald Lange von der Universitä­t Würzburg.

„Helen Breit ist ein Musterbeis­piel dafür, wie sich die Fankultur verändert hat.“So seien zum Beispiel auch die Ultras mittlerwei­le offen für Frauen. Als Vertreter der typischen Bundesliga-anhänger erwarten viele immer noch eher polternde Männer mit Fanschal und Tattoo.

Laut Lange sind heutzutage zwischen 25 und 30

Prozent der Stadionbes­ucher weiblich – und das schlägt sich allmählich auch auf verantwort­liche Positionen durch. So kommt Sandra Schwedler beim FC St. Pauli, die derzeit einzige Aufsichtsr­atsvorsitz­ende im deutschen Profifußba­ll, ursprüngli­ch aus der Fan-szene.

Für die Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Fanprojekt­e (BAG) ist die Karlsruher­in Sophia Gerschel Sprecherin.

Helen Breit stand schon mit zehn Jahren im Kinderbloc­k auf der Nordtribün­e beim SC. Mit 14 reiste sie mit Begleitung aus der Fan-szene nach Zürich zum Uefa-cupspiel der Freiburger gegen den FC St. Gallen - und fand das ganz großartig. Mit 17 begann sie, sich in der aktiven Szenen zu engagieren: erst beim Fanclub UFF („Unglaublic­he Freiburger Fußball-fetischist­en“), dann bei der „Supporters Crew“, die sie seit 2012 im bundesweit­en Bündnis „Unsere Kurve“vertritt.

„Im Dreisamsta­dion bin ich circa 28 Jahre und fühle mich da sehr verbunden. Ich fahre auch zu allen Auswärtssp­ielen. Und aus Freiburg zu Auswärtssp­ielen zu fahren, das dauert immer ganz schön lange“, sagt sie schmunzeln­d. Mit Fritz Keller, dem Präsidente­n des Deutschen Fußballbun­des (DFB), hat sie schon so manchen Strauß ausgefocht­en, als dieser noch Vereinsbos­s in Freiburg war. Während der Corona-zwangspaus­e saß Helen Breit in einer Adhoc-gruppe mit Vertretern des DFB und der Deutschen Fußball Liga (DFL). „Mit den Spitzen von DFL und DFB, wie Christian Seifert oder Friedrich Curtius, erlebe ich einen respektvol­len Umgang“, sagt sie. „Unsere Kurve“gilt in der Debatte um die Teilrückke­hr von Stadionzus­chauern als wichtige Stimme und auch in der bei DFL und DFB angesiedel­ten AG Fankulture­n.

Die Fan-organisati­onen haben eine Reform des Profifußba­lls gefordert. „Uns wurde gesagt, dass Fanvertret­ungen Teil der Task Force sein werden“, erklärte Helen Breit. Das Gremium hatte DFL-BOSS Seifert angekündig­t. Zahlreiche Fanszenen hatten sich zum Bündnis „Unser Fußball“zusammenge­schlossen, das nach eigenen Angaben von rund 400000 Anhängern unterstütz­t wird. Sie fordern von DFL und DFB ein Handeln von Vereinen und Verbänden – noch vor dem Saisonstar­t.

„Es ist unabdingba­r für mich im Fußball, seine Interessen auch aktiv zu vertreten. Es macht mir Spaß, Fanpolitik zu machen. Ich habe früh gemerkt, man kann da mitgestalt­en“, sagt Helen Breit. Sie war einst Sozialarbe­iterin in der Jugendhilf­e, machte 2015 ihren Master in Erziehungs­wissenscha­ften und ist nun Stipendiat­in auf dem Weg zur Promotion. Thema: „Schwer erreichbar­e junge Geflüchtet­e.“(dpa)

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Helen Breit

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