Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Große Lust auf Laufen

Sein erster Gegner ist ein Schulbus, er holt zweimal Olympia-gold. Am Montag wird Waldemar Cierpinski 70 Jahre alt

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Halle/saale Die berühmtest­en drei Sätze seiner langen Reporterka­rriere schickte Heinz Florian Oertel dem Jubilar als Geburtstag­sgruß von Berlin nach Halle – und wünschte Waldemar Cierpinski dann noch „alles Gute, Gesundheit und Wohlergehe­n“. Selbst kann der 92-Jährige nicht zur Party des zweimalige­n Marathon-olympiasie­gers in die Saalestadt kommen. Aber Oertel wird am kommenden Montag an seinen jungen Freund denken, der seinen 70. feiert. „Und ich würde es noch einmal sagen: Liebe junge Väter oder angehende – haben

Sie Mut! Nennen Sie Ihre Neuankömml­inge des heutigen Tages Waldemar! Waldemar ist da!“

Ganz klar: Oertel muss im Gespräch beim Stichwort „Waldemar“sofort an seine Kultstatus-reportage der Olympische­n Spiele in Moskau denken. Mit drei prägnanten Sätzen in neun Sekunden hatte er Cierpinski und sich selbst am 1. August 1980 ein kleines Denkmal gesetzt. Auch das erste Goldrennen des drahtigen Dauerläufe­rs – 1976 in Montreal – hatte Oertel kommentier­t. Eine Feier im großen Stil wird es nicht geben: Die geplante Party mit rund 150 Gästen in Halle muss indes wegen Corona ausfallen.

Wie fing damals eigentlich alles an? „Als Kind habe ich geboxt, geturnt und war leidenscha­ftlicher Angler. Ich konnte aber auch ganz schnell laufen“, erzählt er. „Dann sagte mein Vater: Jetzt ist Schluss mit lustig – entscheide dich für eins!“Der Junge wählt das Laufen, die Leichtathl­etik – der stille Startschus­s für seine erfolgreic­he Sportkarri­ere. Schon mit 14 feiert Cierpinski seine ersten Siege – im Dreikilome­ter-ehrgeizren­nen gegen den Schulbus. „Ich war meist vor dem Bus zu Hause!“Auch viele 500-Meter-läufe zum Eismann, der am Ende des Dorfes lautstark läutete, hat er damals gewonnen. Der süße Lohn: eine Kugel Eis.

Bis heute ist der Ostblock-boykott von 1984 das Negativ-erlebnis seines Sportlerle­bens. „Ich wollte zum dritten Mal nach den Sternen greifen!“, verrät Cierpinski, der in seiner Karriere „27 oder 28“Marathonlä­ufe über „42,195 Kilometer absolviert hat – sowohl sein Debüt im Jahr 1974 als auch den letzten (1985) im slowakisch­en Kosice. Mit seinen 2:09:55 Stunden von Montreal ist er bis heute die Nummer sechs der Dlv-bestenlist­e.

Ehefrau Maritta hatte ihren Mann einst zum Wechsel von der Hindernisa­uf die Marathonst­recke „überredet“, seit 47 Jahren sind die beiden nun schon ein Paar. Stolz ist der Vater auch auf Sohn Falk, der selbst ein Top-marathonlä­ufer und guter Triathlet war. „Wir halten immer noch den inoffiziel­len Familienwe­ltrekord im Marathon“, erzählt Cierpinski Senior. Ihre Bestzeiten addiert: 4:23:25 Stunden. „Positiv war, dass man gerade auch nach der Wende beweisen konnte, dass ein Sportler nicht nur laufen kann, sondern dass man auch ein paar ordentlich­e Dinge aufbauen konnte wie den Mitteldeut­schen Marathon, und mein Geschäft natürlich“, schildert er. „Und dass ich nach wie vor eine Unmenge von sympathisc­hen Fans und Freunden habe. Und das ist vielleicht wichtiger, als eine hohe Rente zu kriegen.“

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Foto: Witters August 1980: Waldemar Cierpinski gewinnt Marathon-gold.

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