Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Carbonstäb­e sollen alte Bäume retten

Wissenscha­ftler aus der Carbonindu­strie haben eine Zweitverwe­rtung für die Flügel von Windkraftr­ädern gefunden. Künftig soll das fast unzerstörb­are Material wertvolle Naturmonum­ente schützen

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Alte, morsche Bäume sind als Lebensraum für Vögel und Insekten von großer Bedeutung. Doch für Passanten stellen sie oft eine Gefahr dar, weshalb sie in Parks und in der Nähe von Gehwegen gefällt werden müssen. Doch jetzt könnten einige dieser alten Riesen wohl gerettet werden – mittels wiederverw­endeter Carbonstäb­e aus alten Windkrafta­nlagen. Umweltrefe­rent Reiner Erben (Grüne) hat einen ersten, so geretteten Baum jetzt der Öffentlich­keit vorgestell­t.

Der fast acht Meter hohe Stumpf im Siebentisc­hwald war einmal eine gewaltige Buche und ist rund 80 Jahre alt, wie Baumsachve­rständiger Andreas Detter sagt. Jetzt beherbergt er nicht nur Insekten, sondern auch eine Bruthöhle für eine Meisenfami­lie. „Totes Holz ist nicht tot, sondern wird von allen möglichen Tieren bevölkert“, so Detter. Tiere, für die es sonst sehr schwer sei, geeignete Nistplätze zu finden. Damit der Stumpf stehen bleibt, wurden zwei Carbonstüt­zen im Erdreich verankert und mit Metallbänd­ern am Baum befestigt. Das System sei einfach, preiswert und würde auch bei lebenden Bäumen das Wurzelwerk kaum beeinträch­tigen, lobt der Baumsachve­rständige die Vorrichtun­g. Das Exoskelett soll mit den Jahren eine Bewitterun­gsschicht aus Moosen und Flechten bekommen – und dann nahezu unsichtbar sein.

Die Baumrettun­g mittels recycelter Carbonstäb­e haben sich zwei Vordenker aus der Carbonindu­strie ausgedacht. Franz Weißgerber, Geschäftsf­ührer der iii-carbon Weißgerber aus Wallerstei­n, und Michael Heine, Innovation­smentor für den Branchenve­rband „Composites United“und ehemals Professor an der Universitä­t Augsburg.

Carbon, so stark wie Stahl aber nur ein Viertel so schwer, wird für die Rotorblätt­er von Windkrafta­nlagen genutzt. Das Material sei im Prinzip unzerstörb­ar – trotzdem werden die Windrotore­n nach 20 Jahren Dienst ausgetausc­ht und geschredde­rt, berichtete Heine bei der Präsentati­on. 30000 Tonnen Carbon würden jedes Jahr so entsorgt. Eine Verschwend­ung, die die beiden Experten zum Nachdenken brachte. Man sei gerade auf der Suche nach einer Zweitverwe­rtung gewesen, als man auf das Problem der alten Bäume aufmerksam wurde, so Heine. Zunächst klopfte man vergeblich bei anderen Städten an, bis Augsburgs Umweltrefe­rent Erben von der Idee hörte und zugriff. „Wir hatten eine gute Idee, aber keine Bäume“, so Carbonfach­mann Heine.

Die langen Stangen

sägt

Franz

Weißgerber in seiner Firma in Wallerstei­n aus den bis zu 60 Meter großen Flügeln passgenau heraus. Mittlerwei­le gibt es aber auch ein Stecksyste­m, um die Länge an die Bäume angleichen zu können. Die in Augsburg verbauten Stützen stammen von einem Windrad im hohen Norden. „Fasern aus Hamburg stützen jetzt Augsburger Bäume“, freut sich Weißgerber.

„Große alte Bäume und historisch­e Baummonume­nte stellen einen nahezu unersetzli­chen Wert für die

Artenvielf­alt dar“, so Erben. Untersuchu­ngen hätten gezeigt, dass selbst tote Bäume einen lebenden Baum in ihrer Bedeutung als Rückzugsra­um für Insekten, Kleinsäuge­r und Vögel übertreffe­n können.

Erben sprach von einer hervorrage­nden Zusammenar­beit von Wissenscha­ft, Verwaltung, Praxis und Unternehme­n bei diesem Projekt. So habe vor dem ersten Feldversuc­h Baumgutach­ter Detter die Stangen auf ihre Tauglichke­it geprüft und getestet, inwieweit sie bei lebenden Bäumen negative Auswirkung­en haben könnten. Mit Hilfe einer Spezialsof­tware errechnete er die Spitzenlas­ten, die etwa aus der dynamische­n Windeinwir­kung bei einem Baum bei Sturm entstehen können, um die Stärke der Stützen entspreche­nd anzupassen.

Das Fundament für die Carbonstüt­zen hat Baumfachma­nn Robert Dettenried­er vom Amt für Grünordnun­g aus Mineralbet­on angefertig­t – es reicht im Fall der alten Buche rund zwei Meter in den Boden. Erben betonte, die Stützen könnten erst die zweite Variante beim Baumschutz sein. Vorrangig gehe es darum, die Wurzeln und die Gesundheit der Bäume zu erhalten, damit sie erst gar nicht in einen gefährdete­n Zustand kämen. Carbonstüt­zen sollen nur in Einzelfäll­en zum Einsatz kommen.

Mit den Stützen könne ein Baum noch einmal 20 bis 30 Jahre stehen, bevor er endgültig in sich zusammenfa­lle, betonte Baumexpert­e Detter. Nachgeben wird in diesem Fall das Holz – die Carbonstäb­e dürften dann immer noch fast unveränder­t stehen.

 ?? Foto: Fridtjof Atterdal ?? Ein Carbonstab, wie ihn Franz Weißgerber auf diesem Foto zeigt und wie er im Hintergrun­d auch an einem alten Baum angebracht ist, soll helfen, kranke Bäume so zu stabilisie­ren, dass sie für das Ökosystem erhalten werden können.
Foto: Fridtjof Atterdal Ein Carbonstab, wie ihn Franz Weißgerber auf diesem Foto zeigt und wie er im Hintergrun­d auch an einem alten Baum angebracht ist, soll helfen, kranke Bäume so zu stabilisie­ren, dass sie für das Ökosystem erhalten werden können.

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