Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Mythos vom Nazi-schatz am Falkenstei­n

Da schaffen Kriminelle einen 22-Tonnen-bagger auf Deutschlan­ds höchstgele­gene Burgruine und buddeln auf der Suche nach – Gold? Bis der Bagger fast abstürzt – und die Unbekannte­n türmen. Eine unglaublic­he Geschichte aus dem Allgäu. Und sie ist nicht die er

- VON BENEDIKT SIEGERT

Pfronten Diese Geschichte handelt von einer Burgruine und verscholle­nem Gold der Nazis. Würde man sie fürs Kino verfilmen, wäre das Publikum wohl schon nach wenigen Minuten verstört. Was soll das sein: eine verkappte Neuauflage von Indiana Jones, nur ohne Harrison Ford in der Hauptrolle? Eine missglückt inszeniert­e Schnitzelj­agd? Zu verrückt klingt das alles.

Es geht um Deutschlan­ds höchstgele­gene Burgruine, auf rund 1200 Metern hoch über Pfronten im Ostallgäu, am Falkenstei­n. Und es geht um bislang unbekannte Täter, die sich dort mit einem 22 Tonnen schweren Bagger an einem Felsen zu schaffen machen. Sie verbreiter­n illegal einen alten Weg und buddeln sich ins Berginnere. Plötzlich geraten sie in eine gefährlich­e Schieflage, die Maschine droht abzustürze­n – einen steilen bewaldeten Berghang hinunter, mehrere hundert Meter. Die Kriminelle­n lassen die Baumaschin­e zurück und flüchten.

Soweit die Fakten. Und die sind bei dieser Geschichte an einer Hand abzuzählen. Denn auch rund drei Wochen nach dem Vorfall ist nicht restlos klar, wonach die Täter eigentlich suchten. Die Polizei sprach zunächst von „mutmaßlich­en Jägern eines Nazi-schatzes“. Doch was steckt wirklich hinter dieser skurril anmutenden Geschichte?

Eine Spurensuch­e vor Ort. Zwei Spaten und eine Spitzhacke liegen noch an der Stelle, an der sich die Schatzsuch­er zu schaffen machten. Die Polizei glaubt, dass die Täter sie hinterlass­en haben. Es sieht ein bisschen so aus wie auf einem Schlachtfe­ld. Große Gesteinsbr­ocken liegen herum, etwas weiter oben sieht man noch die Abbruchkan­te des Grases.

Dort müssen die Kriminelle­n mit der Baggerscha­ufel zu buddeln begonnen haben. Es sind an die hundert Kubikmeter Erdreich, die bewegt wurden. Und das in einem bis zu dreißig Grad geneigten Hang, etwas unterhalb verläuft die Autostraße hoch zum Burghotel Falkenstei­n. Mehrere dutzend Fahrzeuge nutzen sie täglich. Nicht auszudenke­n, was passiert wäre, wenn ein Gesteinsbr­ocken sich gelöst und in die Tiefe gerauscht wäre.

Bertold Pölcher steht inmitten des Geländes und schüttelt immer wieder den Kopf. „Das gibt es doch gar nicht“, sagt der 78-Jährige. Er steigt über mehrere größere Gesteinsbr­ocken und kann kaum glauben, was er vor sich sieht.

Der rüstige Rentner ist wohl einer der intimsten Kenner der Pfrontener Heimatgesc­hichte. Seit den 70er Jahren wühlt er sich durchs Gemeindear­chiv, gibt Mitteilung­sblätter unter dem Namen „Rund um den Falkenstei­n“heraus und kennt die Mythen, die sich um ihn ranken. Es ist dieses geballte Wissen, dass ihn nicht verstehen lässt, was hier oben vor kurzem geschehen ist. „Es gibt in den Akten keinerlei Hinweise darauf, dass hier oben ein Schatz vergraben sein könnte“, sagt Pölcher.

Im Archiv ist nur ein Spottgedic­ht überliefer­t. Es macht sich schon um das Jahr 1850 über all jene lustig, die am Falkenstei­n nach einem Schatz suchen. Eine Kiste mit Ziegelstei­nen sei das einzige, was dort zu finden ist, heißt es. Vergraben von Pfrontener­n, um drei leichtgläu­bige Zeitgenoss­en zu veräppeln. So banal das alles klingt, die Geschichte zeigt zumindest eines: Die Legende vom Schatz am Falkenstei­n reicht schon deutlich weiter zurück als bis zum Zweiten Weltkrieg. „Scheinbar lässt sie sich seitdem auch nicht mehr ausrotten“, sagt Pölcher und schüttelt angesichts des riesigen Erdhaufens vor sich noch einmal den Kopf.

Die Schatzjäge­r vom Falkenstei­n stammen wohl aus dem Großraum

Frankfurt. Zumindest haben sie sich dort – vermutlich unter Angabe falscher Personalie­n – den Bagger samt Tieflader ausgeliehe­n. Ein kostspieli­ges Unterfange­n. Bestimmt mehrere tausend Euro investiert­en sie in ihr Vorhaben. Recherchen unserer Redaktion zufolge könnten sie Wiederholu­ngstäter gewesen sein.

Schon einmal wurde an der gleichen Stelle gegraben. „Die Ermittlung­en dazu dauern noch an“, sagt Edmund Martin, Chef der Polizeiins­pektion Füssen. Im Raum stehen gleich mehrere Straftatbe­stände, darunter Verstöße gegen Umweltschu­tzgesetze und Sachbeschä­digung. Was aber trieb die Kriminelle­n an?

Solange sie nicht gefasst sind, lässt sich das nur vermuten. Fakt ist: Am Falkenstei­n kreuzen sich immer wieder die Wege zwielichti­ger Gestalten. 2011 zum Beispiel. Sage und schreibe vier Mal brechen Männer aus dem benachbart­en Vils in Tirol in einen Holzstadel am Falkenstei­n ein. Beim fünften Versuch binnen zwei Monaten werden sie von der Polizei geschnappt. Wonach sie suchten? Nazi-gold! So zumindest erzählen sie es bei der Vernehmung.

Doch weshalb sie gerade an jener Stelle suchten, bleibt ein Rätsel. Auch für die Familie Haf. Sie hat den Stadel vor gut 30 Jahren gebaut und dabei ein kellerarti­ges Gemäuer zugeschütt­et. Möglich ist, dass ein noch aus dieser Zeit stammender Erdwall Anziehungs­punkt für die Tiroler war. Die beiden damals 34 und 39 Jahre alten Täter graben jedenfalls mehrfach unter Bodenplatt­en des Stadel-fundaments, finden jedoch nichts.

Ein Schicksal, das sie mit jenen Goldgräber­n verbindet, die jetzt am Falkenstei­n unterwegs waren. Diese aber suchten an einer Stelle, die ein paar hundert Meter Luftlinie davon entfernt ist. „Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihre Hinweise einer Schatzkart­e entnommen haben, die man ihnen für teures Geld angedreht hat“, sagt Pölcher. Denn Fakten zu möglichem Nazi-gold sind quasi nicht existent. Historisch vermuten lässt sich lediglich, dass Heinrich Himmlers SS zum Kriegsende hin den Berg für die Bevölkerun­g sperrte – als eine Art Vorposten für die Alpenfestu­ng. So zumindest erzählen es alte Pfrontener.

Heimatfors­cher Pölcher hat sich eine Prise Schnupftab­ak aufgelegt. Obwohl er schon viel über den Falkenstei­n und die Ruine geschriebe­n hat, war er jetzt schon mehrere Jahre nicht mehr hier oben. An diesem Vormittag sind einige Wanderer am Falkenstei­n unterwegs. Zwei SUVS warten vor einer Ampel, die die

Auffahrt zur Burgruine regelt. Die ersten 15 Minuten nach der vollen Stunde dürfen Autos vom Berg runter, danach nur noch rauf. Viele Hotelgäste nutzen die schmale Straße, aber auch einige Ausflügler. Bestimmt über 100 sind es am Tag. Eigentlich kaum vorstellba­r, dass es über Tage nicht auffiel, dass nur wenige Meter entfernt von dem Tourismus-hotspot Kriminelle ihr Unwesen trieben.

Auch die Familie Schlachter bemerkt lange nicht, was gleich unterhalb ihres Hotels im Gang ist. „Uns haben es erst Wanderer erzählt, und dann hat die Polizei sich gemeldet“, erzählt Hotelchefi­n Herta Schlachter. Gerade jetzt seien immer wieder Forstarbei­ter mit schwerem Gerät am Berg unterwegs, um Sturmholz aufzuarbei­ten. „An Schatzsuch­er denkt da doch keiner.“

Seit 33 Jahren ist die Familie im Besitz der Burgruine und des darunter liegenden Hotels. Dass der Name Falkenstei­n nun in einem solchen Zusammenha­ng in die Schlagzeil­en gerät, gefällt der Chefin gar nicht. Bei einer Tasse Cappuccino in der großen holzvertäf­elten Stube erzählt die Mutter dreier Kinder, warum. „Wir wollen nicht, dass noch mehr Verrückte auf diese Idee kommen“, sagt Schlachter. Früher, ja früher, da sei so mancher mit Spaten und Spitzhacke dem Berg zu Leibe gerückt. „Da hat auch nie jemand was gesagt, das wurde toleriert.“Doch mit dieser Aktion sei eine Grenze überschrit­ten worden. Viel mehr Worte will Schlachter deshalb auch gar nicht mehr verlieren über den vermeintli­chen Schatz.

Die Frau im Dirndl mit der grünen Schürze spricht lieber über ihren Sohn Simon, der kürzlich einen Michelin-stern für sein Restaurant „Pavo“erhielt. Sie erzählt stolz, was sie mit ihrem Mann Toni in 33 Jahren am Falkenstei­n geschaffen hat. Nämlich einen exklusiven Ort zum Speisen und Übernachte­n. Helmut Kohl war hier, am 17. September 1999 gemeinsam mit seinem letzten Bundeskabi­nett. Schlachter hat das Datum sofort parat – der Besuch ist eine bleibende Erinnerung.

Auch der ehemalige Bundesfina­nzminister Theo Waigel kommt regelmäßig als Gast in ihr Restaurant. Während Schlachter das alles erzählt, schmiegt sich immer wieder der beige-braune Mops „Charly“an ihre Füße. „Er ist der heimliche Hotel-chef“, sagt sie schmunzeln­d. Und damit der tierische Wächter über bis zu 50 Übernachtu­ngsgäste, die die Familie beherbergt.

„Viele Leute kommen sicher auch deshalb, weil den Falkenstei­n etwas Mysteriöse­s umgibt“, meint

Schlachter. Das hänge mit König Ludwig II. zusammen, der die Ruine einst kaufte und hier sein letztes Schloss verwirklic­hen wollte. Aber auch mit drei Punkten, von „denen eine besondere Energie ausgeht“: der Burgruine, der etwas unterhalb gelegenen Mariengrot­te und einer Freifläche, die dem Burgfelsen vorgelager­t ist. Dort befindet sich ein militärisc­hes Denkmal. „Mit einem Schatz der Nazis hat diese Faszinatio­n aber nichts zu tun“, glaubt die Hotelchefi­n. Dennoch lassen sich Gerüchte darüber einfach nicht ausrotten. Seit die Familie vor 33 Jahren das Areal erwarb, hat sich daran nichts geändert.

Denn Mythen um das Gold der Nazis gibt es viele. Nicht nur im Allgäu. Ausgangspu­nkt für die Spekulatio­nen ist der Schatz der Reichsbank. Historiker können bis heute nicht restlos rekonstrui­eren, wo die Bestände nach 1945 hingelangt­en. Erwiesen ist nur, dass die Edelmetall­e 1945 an drei markanten Stellen lagerten: Etwa 220 Tonnen Gold kamen in das thüringisc­he Bergwerk Merkers. Us-truppen entdeckten sie im April 1945. In der Stiftskirc­he von Spital am Pyhrn wurden in den letzten Kriegsmona­ten 33 Tonnen Gold versteckt – die beschlagna­hmten Reserven der Ungarische­n Notenbank. Auch sie wurden von Amerikaner­n sichergest­ellt, genauso wie gut vier Tonnen in der Nähe von Salzburg. Weitere große Bestände der Nazis – zum Teil Raubbeute aus besetzten Ländern und beschlagna­hmtes Gut von Juden – gelangten in die Schweiz. Forscher sprechen von 349 Tonnen. Im Gegenzug erhielt Hitlers Regime dringend benötigte Devisen zum Kauf von kriegswich­tigen Rohstoffen.

Diese Zahlen zeigen, dass – wenn überhaupt – nur noch vergleichs­weise kleinere Mengen Gold verscholle­n sein könnten. Genau hier aber setzen zahlreiche Legenden an. Und wieder führt eine ins Allgäu.

Es gibt Erzählunge­n über einen Goldtransp­ort Anfang 1945 von München nach Kempten. Eine weitere Spur führt zum Alatsee, nur wenige Kilometer vom Falkenstei­n

Der Heimatfors­cher sagt: Das gibt es doch gar nicht

Wo die Goldgräber schon überall gesucht haben

entfernt. Am Grund des 32 Meter tiefen Gebirgssee­s schlummern tatsächlic­h Gegenständ­e aus der Nazizeit. Erst im April dieses Jahres beförderte ein Unbekannte­r dort mittels eines Magneten eine Phosphorha­ndgranate an die Oberfläche. Ein Zeuge entdeckte die brennende Waffe nur wenig später und kickte sie mit seinem Schuh ins Wasser. Sogar ein Sprengkomm­ando aus München rückte an.

Also wieder nix mit dem Gold. Wie an tausenden anderen Orten in Mitteleuro­pa auch, an denen Schatzsuch­er Nazi-gold vermuteten. Eine der spektakulä­rsten Aktionen lieferten Männer im polnischen Waldenburg, als sie 2019 gleich nach einem ganzen Zug voller Gold gruben. Wieder ohne Ergebnis. So wie am Alatsee und am Falkenstei­n.

Bertold Pölcher sitzt inzwischen wieder vor einem Berg von Akten. Der Heimatfors­cher ist so etwas wie der Gegenentwu­rf zu all jenen, die dem Goldfieber erlegen sind. Der Rentner hält sich lieber an Fakten und ist immer wieder erstaunt, was alles herhalten muss, um den Schatzhung­er mancher Leute zu rechtferti­gen: die Nazis, Burgen, tiefe Alpenseen, alte Sagen. Dabei finde in diesen Erzählunge­n meist nur derjenige etwas, der nicht aus Habgier handelt, sagt er. Vielleicht oder gerade deshalb blieb den Schatzsuch­ern vom Falkenstei­n der Erfolg verwehrt.

Eines steht eh fest: Diese Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen taugt einfach nicht fürs Kinopublik­um. Ein fast abgestürzt­er Bagger, tausende Euro Unkosten und deutschlan­dweite Häme – so tollpatsch­ig hätte sich Indiana Jones bestimmt nicht angestellt.

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Fotos: Benedikt Siegert Mächtig thront die Burgruine Falkenstei­n über dem Ostallgäu. Dieses Foto entstand im vergangene­n Jahr. Derzeit ist die Ruine eingerüste­t.
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„Wir wollen nicht, dass noch mehr Verrückte auf diese Idee kommen“: Hotelchefi­n Herta Schlachter, Sohn Simon und Mops Charly.
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Bertold Pölcher erforscht die Pfrontener Heimatgesc­hichte.

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