Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Justin Trudeau gerät in Bedrängnis

Ein umstritten­er Vertrag mit der gemeinnütz­igen Organisati­on „We Charity“löst eine Regierungs­krise aus: Die Konservati­ven fordern den Rücktritt des Premiermin­isters und der Ethikbeauf­tragte ermittelt – nicht zum ersten Mal

- VON GERD BRAUNE

Ottawa Die Kontrovers­e um einen umstritten­en Vertrag mit einer gemeinnütz­igen Organisati­on bringt die Regierung des liberalen kanadische­n Premiermin­isters Justin Trudeau in Bedrängnis. Der Ethikbeauf­tragte des Parlaments ermittelt, ob Trudeau und sein Finanzmini­ster Bill Morneau gegen das Gesetz zur Verhinderu­ng von Interessen­konflikten verstoßen haben. Sowohl Trudeau als auch Morneau haben sich zwar für ihr Verhalten in der von der konservati­ven Opposition als „Trudeaus 900-Millionen-dollar-skandal“bezeichnet­en Kontrovers­e entschuldi­gt. Das genügt den Konservati­ven aber nicht. Sie fordern die Bundespoli­zei RCMP zu strafrecht­lichen Ermittlung­en auf. Vorsitzend­er Andrew Scheer verlangt, Trudeau und Morneau sollten „zum Wohle des Landes“zurücktret­en. „Was muss noch passieren, damit die Liberalen das Vertrauen in ihren Premiermin­ister verlieren?“, versucht Scheer einen Keil ins liberale Lager der Regierung zu treiben.

Sie hatte im Juni ein 900 Millionen Canada-dollar (etwa 600 Millionen Euro) umfassende­s Programm beschlosse­n, das Studenten, die wegen der Covid-19-krise keine Sommerjobs bekommen, ermögliche­n soll, gemeinnütz­ige Arbeit zu leisten und dafür bezahlt zu werden. Die Umsetzung wurde der Organisati­on „We Charity“übertragen. Sie sollte dafür 19 Millionen Dollar erhalten. „We Charity“war 1995 von den Brüdern Craig und Marc Kielburger in Toronto gegründet worden, engagierte sich erst im Kampf gegen Kinderarbe­it und ist heute eine internatio­nal tätige Organisati­on, die Jugendlich­e im Kampf gegen Armut unterstütz­t.

Trudeau steht „We Charity“politisch nahe – und seine Frau Sophie

fungiert als „Botschafte­rin“der Organisati­on. Jetzt wurde bekannt, dass seine Mutter Margret Trudeau und sein Bruder Alexandre Honorar für Auftritte bei Veranstalt­ungen von „We“erhalten haben. Seitdem wird Trudeau vorgeworfe­n, er habe einer Organisati­on, die seine Familienan­gehörigen für Auftritte honoriert, einen Regierungs­auftrag zukommen lassen. Trudeau musste sich dafür entschuldi­gen, dass er sich trotz dieser Beziehunge­n am Entscheidu­ngsprozess im Kabinett beteiligt hatte: „Ich habe einen Fehler gemacht, dass ich mich nicht wegen Befangenhe­it aus den Diskussion­en zurückgezo­gen habe, und es tut mir von Herzen leid.“Im Finanzauss­chuss, der ihn mehr als eine

lang befragte, betonte er aber auch, er habe sich nicht in einem Interessen­konflikt befunden.

Im Kreuzfeuer der Kritik ist auch Finanzmini­ster Bill Morneau. Dessen Familie hat ebenfalls Beziehunge­n zu „We“und reiste 2017 zu Projekten in Südamerika und Afrika – ohne die Kosten dafür komplett zu übernehmen. Unmittelba­r vor einer Befragung im Finanzauss­chuss zahlte Morneau einen ausstehend­en Betrag von mehr als 40000 Dollar zurück. Er habe stets den Gesamtbetr­ag von mehr als 90 000 Dollar zahlen wollen und erst jetzt bei Durchsicht der Unterlagen festgestel­lt, dass das nicht geschehen sei. „Ich möchte mich für diesen Irrtum entschuldi­gen.“Nach Überzeugun­g des konservati­ven Abgregoire geordneten Pierre Poilievre war die Annahme der Reise ein Verstoß gegen das Gesetz über Interessen­konflikte: „Minister, Sie haben die moralische Autorität verloren, Ihr Amt auszuüben.“Und er fragte: „Werden Sie zurücktret­en?“Morneau lehnte ab.

Mittlerwei­le wurde der Vertrag zwischen Regierung und „We Charity“über das Studentenp­rogramm aufgehoben. Für Trudeau ist die Lage heikel, denn „We“ist der dritte Verstoß. Im Dezember 2017 hatte die Ethikbeauf­tragte Mary Dawson festgestel­lt, dass Trudeau 2016 mit einem Familienur­laub auf einer Bahama-insel, die Karim Aga Khan, Oberhaupt der Glaubensge­meinschaft der Ismailiten gehört, die Restunde geln über Interessen­konflikte verletzt hat. Denn der Aga Khan ist auch Gründer von politische­n Instituten, die in Kanada tätig sind und von der Regierung unterstütz­t werden. Im August 2019 warf der jetzige Ethikbeauf­tragte Mario Dion dem Regierungs­chef vor, unzulässig Druck auf seine frühere Justizmini­sterin Jody Wilson-raybould ausgeübt und versucht zu haben, ein Strafverfa­hren gegen den Baukonzern Snc-lavalin zu beeinfluss­en.

Der 48-jährige liberale Regierungs­chef hatte sich sodann bei der Parlaments­wahl im Herbst 2019 nur knapp im Amt behaupten können und führt seitdem eine Minderheit­sregierung. Die Reaktion der Regierung auf die Covid-19-krise hatte Trudeau einen Popularitä­tszuwachs beschert. Kanada steht bei der Entwicklun­g der Infektions­zahlen wesentlich besser da als das Nachbarlan­d USA und die Regierung schüttet Milliarden­beträge aus, um den von der Wirtschaft­skrise Betroffene­n zu helfen. Aber diese Pluspunkte werden, wie Umfragen nun andeuten, durch die Debatte um „We Charity“offenbar zunichtege­macht. Dass sich Trudeau an der Abstimmung im Kabinett über den Vertrag beteiligte, ohne dass bei anderen Ministern die Alarmglock­en läuteten, verblüfft viele Kanadier. Sie verfolgen mit Entsetzen, Verwunderu­ng oder Schadenfre­ude, wie sich der Premiermin­ister erneut selbst in Schwierigk­eiten bringt.

Noch stehen Fraktion und Kabinett hinter Trudeau und eine Mehrheit gegen Trudeau ist im Parlament nicht in Sicht. Aber einzelne Abgeordnet­e der Liberalen äußern sich bereits enttäuscht: „Wo ist der gesunde Menschenve­rstand unseres Premiermin­isters?“Diese Frage führe „zwangsläuf­ig zu Zweifeln an seiner Fähigkeit zu führen“. Die Affäre wird Kanada somit weiter beschäftig­en.

Foto: Sean Kilpatrick, dpa

 ??  ?? Im Fokus der Tv-kameras und der Opposition: Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau wird ein weiteres Mal vorgeworfe­n, Privates und Regierungs­geschäfte nicht hundertpro­zentig sauber getrennt zu haben.
Im Fokus der Tv-kameras und der Opposition: Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau wird ein weiteres Mal vorgeworfe­n, Privates und Regierungs­geschäfte nicht hundertpro­zentig sauber getrennt zu haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany