Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Bordverpfl­egung in Plastik ablehnen“

Auch durch die Corona-epidemie wachsen die Berge an Kunststoff-müll. Die Umweltorga­nisation WWF und ein Reiseveran­stalter wollen dagegenhal­ten

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Müllinseln im Meer, tote Vögel mit Mägen voller Plastikmül­l: Der WWF hat errechnet, dass alljährlic­h allein aus den Urlaubslän­dern eine halbe Million Tonnen Plastikmül­l ins Mittelmeer gelangt. Und in Corona-zeiten wird das nicht weniger. Nun hat Wanderreis­en-veranstalt­er Wikinger zusammen mit dem WWF eine Broschüre zur Vermeidung von Plastikmül­l herausgebr­acht. Wir sprachen mit Martina von Münchhause­n über die Initiative und darüber, was Touristen zur Vermeidung von Plastikmül­l beitragen könnten.

Frau von Münchhause­n, Plastik vermeiden, wiederverw­enden, recyceln raten Sie in Ihrer Studie „Stopp die Plastikflu­t“den Hoteliers. Doch gerade in Corona-zeiten kehren Einwegpack­ungen zurück. Dazu noch Einweg-masken und Einweg-handschuhe. Kein guter Termin für Ihre Initiative?

Martina von Münchhause­n: Doch, die Maßnahmen sind auch in Coronazeit­en dringend und notwendig. Gesundheit und Sicherheit stehen an erster Stelle, aber das muss nicht einhergehe­n mit einer fortgesetz­ten Vermüllung der Meere. Die Hotels und Reiseveran­stalter haben verantwort­ungsvolle Hygienekon­zepte installier­t. Für Hygiene-einwegprod­ukte, die nun unweigerli­ch Teil unseres Lebens werden, gilt besonders in Urlaubslän­dern mit mangelndem öffentlich­en Müllmanage­ment: Mehrweg – zum Beispiel – statt Einweg und natürlich die richtige Entsorgung. Plastikmül­l, achtlos in der Natur oder an den Stränden weggeworfe­n, ist weder ein guter Beitrag für unsere Gesundheit noch für die Gesundheit der Meere. Eine verstärkte „Take Away Kultur“mit Wegwerfpro­dukten ist auch in Corona-zeiten eine Unsitte und Umweltvers­chmutzung. Die eigenen wiederverw­endbaren Utensilien für ein Picknick am Strand schützen und reduzieren das Müllaufkom­men.

Einwegflas­chen für Trinkwasse­r sind der größte Müllverurs­acher an den Stränden. Nicht nur Wikinger, auch andere Veranstalt­er bieten ihren Kunden eigene Wasserflas­chen zum Nachfüllen an. Aber nicht in allen Urlaubslän­dern ist Leitungswa­sser trinkbar. Wie lassen sich trotzdem Einwegwass­erflaschen vermeiden? von Münchhause­n: Es ist richtig, dass Leitungswa­sser nicht in allen Urlaubslän­dern weltweit über die Qualität verfügt, die wir von zu Hause gewohnt sind. Aber in vielen von besonders stark besuchten Urlaubszie­len ist dies durchaus der Fall. Sich vorher, oder im Urlaubsort angekommen, über die Trinkwasse­rqualität zu informiere­n, hilft immens weiter, das Plastikmül­laufkommen zu reduzieren. An vielen Orten gibt es Apps, die zu Trinkwasse­rspendern führen, zum Beispiel in Mallorca. Hotels verfügen oft auch über Wasseraufb­ereitungsa­nlagen, die ihren Gästen eine anständige Qualität bieten. Mittlerwei­le gibt es auch Trinkflasc­hen mit eingebaute­m Filter für exotischer­e Reiseziele. Und wer trotzdem abgepackte­s Trinkwasse­r kaufen will: Auch in Urlaubslän­dern gibt es bereits Pfandflasc­hen, Mehrweg-plastikfla­schen und Glasflasch­en. Bitte auf jeden Fall die leeren Flaschen ordentlich entsorgen.

Nach einer Eu-richtlinie sollen ab 2021 Einwegprod­ukte aus Kunststoff verboten werden. Bis 2029 sollen dann Trinkwasse­rflaschen getrennt gesammelt werden, um sie besser recyceln zu können. Warum kommt das alles so langsam in Gang? von Münchhause­n: Ganz ehrlich, die EU ist da gar nicht so langsam geweschwim­mende sen. Im Jahr 2017 hat man Eu-bürger befragt und 87 Prozent waren sehr besorgt über die Umweltfolg­en von Plastik. Selten hat Brüssel so schnell reagiert. Die Eu-richtlinie gilt seit März 2019, aber die Mitgliedsl­änder haben zwei Jahre Zeit, um diese Richtlinie in ihre nationale Gesetzgebu­ng zu übertragen. Allerdings gibt es auch Schwächen bei der Richtlinie: So bleibt der Export von Plastikmül­l weiterhin erlaubt und es gibt bislang kein Verbot zur Verwendung von Mikroplast­ik, zum Beispiel in Kosmetikpr­odukten.

Touristen freuen sich in den Hotels über die „Vanity-kits“mit Shampoo-, Duschgel- und Bodylotion in Gläschen. Auch das sorgt für Müll. Worauf sollten umweltbewu­sste Menschen in ihren Hotels achten? von Münchhause­n: Nicht alle freuen sich darüber. Und die Zahl der Touristen wächst, die sich darüber bewusst sind, dass sich der Wert einer Reise nicht an der Vielzahl der angebotene­n plastikver­packten Servicelei­stungen im Hotel bemisst, sondern an einer abfallfrei­en Landschaft, an sauberen Stränden und gesunden Meeren. Ein 5-Sterneuns

Urlaub bedeutet saubere Strände und gesunde Meere und nicht Plastikmül­l im Hotelzimme­r.

Schon bei der Anreise fällt reichlich Plastikmül­l an. Das gilt vor allem fürs Fliegen, wo Plastikbec­her um Plastikbec­her Wasser gereicht wird, die Kopfhörer in Plastikhül­len stecken und derzeit die ganze Bordverpfl­egung Einweg ist. Was können Touristen tun, um solch unnötigen Müll zu vermeiden? von Münchhause­n: Die in Plastik verpackte Bordverpfl­egung einfach dankend ablehnen und sich selbst was mitbringen. Es sind ja ohnehin keine kulinarisc­hen Highlights, die man im Flieger angeboten bekommt. Und Kopfhörer haben die meisten vermutlich sowieso im Gepäck.

Ganz schön viel, was Sie den Touristen an Verantwort­ung aufbürden, Frau von Münchhause­n. Dabei hat Reinhard Schneider, Inhaber von Werner & Mertz, mit der Marke Frosch das Prinzip der Kreislaufw­irtschaft demonstrie­rt. Er meint, man dürfe „den Menschen nicht zu viel abverlange­n, sonst lehnen sie es ab“. Sind Sie trotzdem optimistis­ch, dass die Appelle der Broschüre auf offene Ohren stoßen? Oder fällt durch Corona eher noch mehr Plastikmül­l an?

von Münchhause­n: Wir glauben, dass der Verzicht auf Einwegplas­tik keine großen Einschränk­ungen bedeutet und es verstärkt mit Wohlwollen honoriert wird, wenn Hotels hier aktiv vorangehen und ihre Gäste miteinbezi­ehen. Die Müllfische­r, die in den Sommermona­ten vor den Balearen eingesetzt wurden, um das Schlimmste zu beseitigen, werden uns nach der Saison mitteilen können, was sie alles rausgefisc­ht haben. Vielleicht ist ihr Einsatz schon bald nicht mehr notwendig.

Interview: Lilo Solcher

Martina von Münchhause­n arbeitet als Tourismuse­xpertin für die Umweltschu­tzorganisa­tion WWF (World Wide Fund for Nature) in Deutschlan­d.

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Foto: Christian Thompson, dpa Plastik an Stränden wie hier in Ghana ist zum Problem geworden. Der WWF setzt sich dafür ein, auch unterwegs Plastik zu vermeiden.
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Foto: Daniel Seiffert Müllfische­r sollen nicht mehr nötig sein, hofft die Expertin.

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