Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eine ganz besondere WG

Beim Wohnprojek­t Fritz & Jack in Augsburg leben Menschen mit und ohne Behinderun­g unter einem Dach. Wie das Zusammenle­ben funktionie­rt

- VON ADRIAN BAUER

Augsburg Wer das Wohnprojek­t Fritz & Jack in der Augsburger Altstadt besuchen will, sollte genau wissen, wo er klingeln muss. Denn an der Glasschieb­etür weist nur ein kleiner Aufkleber neben den vielen Namen auf den Klingelsch­ildern darauf hin, dass sich dahinter eine besondere Hausgemein­schaft verbirgt. Im ehemaligen Altenheim im Jakobsstif­t leben meist junge Menschen mit und ohne Behinderun­g nicht nur neben-, sondern miteinande­r. Hinter dem Projekt stecken eine simple Idee und viel Planung.

Der Grundgedan­ke hinter dem inklusiven Wohnprojek­t Fritz & Jack ist schnell erklärt: Menschen mit Behinderun­g bekommen eine Wohnung in der Innenstadt und werden in ihrem Alltag von ihren nicht behinderte­n Hausgenoss­en unterstütz­t. Diese erhalten im Gegenzug eine Wohnung mit bezahlbare­r Miete und können sich mit Assistenzd­iensten ein bisschen Geld dazuverdie­nen. Im Jahr 2018 hat das Fritz-felsenstei­n-haus in Königsbrun­n den Umbau des historisch­en Gebäudes angeschobe­n. Daher kommt auch der Name: „Fritz“kommt vom Fritz-felsenstei­nhaus, „Jack“von Jakobsstif­t.

Seit März stehen alle 24 Wohneinhei­ten zur Verfügung. Bereits im vergangene­n Jahr sind die ersten Bewohner eingezogen. Eine von ihnen ist Teresa Wagner. Die junge Frau suchte im vergangene­n Jahr nach einer Wohnung in Augsburg. Nach längerer Online-suche stieß die 24-jährige Lehramtsst­udentin auf Fritz & Jack und war angetan von dem Konzept: „Man bekommt seinen Nebenjob mit null Arbeitsweg mit der Wohnung dazu. Gerade in Corona-zeiten ist das Gold wert.“Für elf Euro pro Stunde hilft die Studentin einer Hausgenoss­in bei den Einkäufen, unterstütz­t beim Kochen und organisier­t Ausflüge. Jedem nicht behinderte­n Bewohner wird mindestens ein Mieter mit Unterstütz­ungsbedarf zugeteilt. Wie viele Stunden pro Monat man leisten will, entscheide­t jeder selbst. Für die pflegerisc­hen Aufgaben gibt es fest angestellt­e Assistente­n des Felsenstei­n-hauses.

Ein zentraler Punkt bei Fritz & Jack ist, dass die Menschen mit Behinderun­g selbst über ihr Leben bestimmen, sagt Daniel Dietrich, der als sozialpäda­gogischer Betreuer dabei hilft, das Zusammenle­ben in der Wohnanlage zu organisier­en: „Sie entscheide­n, was sie machen wollen, und sagen, wenn sie Unterstütz­ung brauchen.“Entspreche­nd wurden Mieter ausgewählt, die intellektu­ell dazu in der Lage sind.

Für Thomas Vögele war das Augsburger Wohnprojek­t Fritz & Jack die Chance auf die erste eigene Wohnung. Der 21-Jährige ist fit im Kopf, braucht aber Menschen, die ihn körperlich unterstütz­en. Er lebte bei seinen Eltern und begann im Frühjahr 2018 eine eigene Wohnung zu suchen. Über eine Bekannte kam er auf Fritz & Jack und ist begeistert: „Es ist tatsächlic­h mehr, als ich mir erwartet hatte. Die Mischung der Leute passt, man kann sich ein soziales Umfeld aufbauen.“

Genau das falle vielen Menschen mit Behinderun­g schwer, sagt Sozialpäda­goge Daniel Dietrich: „Viele leben von der Grundsiche­rung. Geeignete Wohnungen zu finden ist nicht leicht, und wenn es sie gibt, liegen sie oft am Rand der Orte.“Von dort für ein Treffen mit Freunden in die Stadt zu fahren sei sehr beschwerli­ch. Auch diesem Problem

Eine Chance auf die erste eigene Wohnung

Ein paar Appartemen­ts sind noch zu vergeben

wollte man mit dem Wohnprojek­t in der Innenstadt begegnen.

Der Corona-lockdown hat auch die Gemeinscha­ft hart getroffen, unterkrieg­en lasse er sich aber nicht, sagt Thomas Vögele: „Wenn man sieht, dass die anderen sich auch an die Regeln halten, macht es das leichter, die Zeit zu überstehen.“Er selbst nutzte die Monate, um mehr Struktur in seine Haushaltsf­ührung zu bringen. Beispielsw­eise plant er die Einkäufe am Freitag bereits am Donnerstag: „Dann muss ich mit den Assistente­n nicht mehr alles einzeln diskutiere­n.“Und seit die Hygienevor­schriften gelockert wurden, kehrt in den Gemeinscha­ftsbereich­en wie der Dachterras­se mit Blick aufs Rathaus immer mehr Leben ein.

Geht es nach den Verantwort­lichen, könnte es noch etwas mehr Leben sein: Im März wurden die letzten fünf Wohneinhei­ten fertiggest­ellt. Wegen des coronabedi­ngten Lockdowns konnten keine Besichtigu­ngen stattfinde­n. Jetzt sollen sich die restlichen Appartemen­ts füllen. „Wenn es komplett voll ist, bekommt das Haus noch eine ganz andere Dynamik“, sagt Thomas Vögele.

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Foto: Adrian Bauer Teresa Wagner und Thomas Vögele leben im Wohnprojek­t Fritz & Jack. Die Coronakris­e hat die Bewohner weiter zusammenge­schweißt.

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