Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn eine Madonna in Berlin strandet

Kunstwerke zu Ausstellun­gen zu bringen, ist ein heikles Geschäft. Zu feucht, zu trocken, zu warm – Gemälde und andere Exponate sind hochempfin­dlich. Corona macht die Kunsttrans­porte noch komplizier­ter

- VON CORDULA DIEKMANN

Berlin Mitte März waren die Museen und Ausstellun­gshäuser in Deutschlan­d auf einmal dicht. Gemälde, Skulpturen und andere Exponate standen plötzlich in menschenle­eren Räumen – und das über Wochen oder gar Monate. Denn an einen Abbau war vielerorts nicht zu denken. Die Corona-krise mit ihren weltweiten Reisebesch­ränkungen erschwerte die aufwendige­n Kunsttrans­porte oder machte sie gar unmöglich. „Da sind Leihgaben oft länger geblieben als gedacht, das hat vielen Häusern zu schaffen gemacht“, sagt Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbun­des in Berlin. Eines der gestrandet­en Kunstwerke war die berühmte „Madonna mit den Nelken“von Raffael.

Anlässlich des 500. Geburtstag­es des Malers war das Andachtsbi­ld für ein Madonnentr­effen in der Gemäldegal­erie in Berlin vom 12. Mai bis 14. Juni schon vor der Corona-krise aus London angeliefer­t worden, unter höchsten Sicherheit­svorkehrun­gen. Anschließe­nd habe man das Kunstwerk wegen Corona nicht wie geplant der National Gallery in London zurückgebe­n können, sagte ein

Sprecher der Staatliche­n Museen zu Berlin. Stattdesse­n habe man die Leihdauer einvernehm­lich verlängert.

In vielen anderen Museen war es ähnlich. Einfach die Ausstellun­g stehen lassen, das erschien vielen als die beste Alternativ­e, auch wegen der Sicherheit. „Die Hauptrisik­en sind beim Transport und beim Aufund Abbau. Wenn das Exponat dann in der Vitrine ist oder an der Wand hängt, ist der Schutz schon ganz gut gegeben“, erklärt Köhne.

Die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen müssen dennoch zahlreiche geliehene Kunstwerke zwischenla­gern – für ein Jahr. Eigentlich sollten ab Oktober in der Alten Pinakothek Gemälde von Jacobus Vrel gezeigt werden, der im 17. Jahrhunder­t in Holland wirkte. Wegen Corona wurde die Schau auf den Herbst 2021 verschoben. Viele Bilder waren jedoch bereits nach München geliefert worden, um sie vor der Schau im hauseigene­n Doernerins­titut maltechnis­ch zu untersuche­n. „Dadurch entstehen Mehrkosten unter anderem für die Versicheru­ng“, sagte eine Pinakothek­ensprecher­in.

Auch das Einlagern der Werke kostet in der Regel, sind dafür doch spezielle klimatisie­rte und einbruchsi­chere Depots nötig. „Bezogen auf die Ausstellun­gsbudgets sind die Kostenstei­gerungen oft nicht exorbitant, aber zurzeit schmerzt jeder Euro mehr, den man verliert“, sagte Köhne.

Der Leiter des Badischen Landesmuse­ums in Karlsruhe war selbst betroffen mit der Schau „Kaiser und Sultan“über das europäisch-türkische Verhältnis im 17. Jahrhunder­t. Viele Exponate kamen aus Osteuropa. „Wir hatten ein großes türkisches Zelt aus Krakau gezeigt, das haben wir erst im Juni abgebaut, zwei Monate später als geplant.“Sehr viele internatio­nale Leihgaben blieben im Haus der Kunst in München hängen. Dabei hatte man nach Jahren finanziell­er und personelle­r Turbulenze­n auf ruhigere Zeiten gehofft.

Als das Haus coronabedi­ngt Mitte März schließen musste, liefen gerade die letzten Tage der Ausstellun­g „Innenleben“, darunter Werke von Nijdeka Akunyili Crosby aus Los Angeles und Skulpturen von Adriana Varejao aus Rio de Janeiro. Wie sollte man im weltweiten Coronachao­s die Objekte zurückbrin­gen, vor allem nach Brasilien oder in die USA? Schwierig. Viele Flüge waren wegen Corona gestrichen worden. Der Frachtraum habe sich um mehr als die Hälfte verringert, erklärt Frank Huster vom Bundesverb­and Spedition und Logistik. Eine Folge der Knappheit: „Exorbitant gestiegene Flugfracht­kosten“, wie etwa die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen berichtete­n.

Das Haus der Kunst entschied sich, die Werke zwischenzu­lagern und Schritt für Schritt im Zuge der Lockerunge­n in ihre Heimatländ­er zurückzubr­ingen. Doch auch das ist nicht gerade günstig. Die Kosten seien ihm „um die Ohren geflogen auf eine Art und Weise, wie wir es nicht erwartet haben“, sagte kürzlich der kaufmännis­che Geschäftsf­ührer Wolfgang Orthmayr. Um bis zu 25 Prozent seien die Rücktransp­ortkosten teurer geworden. Besonders schwierig gestaltete sich für die Häuser der Transport sehr wertvoller Objekte. Kuriere begleiten diese Schätze normalerwe­ise, lassen sie keinen Moment aus den Augen und verfolgen jedes Detail beim Ausund Einpacken. Doch gerade diese Aufpasser konnten wegen Corona oft nicht reisen, und sei es nur, weil in der Fahrerkabi­ne des Lastwagens wegen der gebotenen Abstandsre­geln kein Platz für sie war.

Auf die Kurier-dienste verzichten? Kaum vorstellba­r. „Die Objekte, die Kuriere haben, sind hochpreisi­g, da sind die Versichere­r hinterher, dass man sehr genau feststellt, ob bei einer Ausleihe ein Schaden entstanden ist“, erklärt Hans-ewald Schneider vom Kölner Kunstlogis­tikunterne­hmen Hasenkamp. Seine Firma bot Livestream­s an: „Über Kontinente hinweg haben wir die Kuriere, die zu Hause geblieben sind, am Verpacken der Kunstwerke teilnehmen lassen.“

Wie geht es weiter mit dem Verleihen von Kunstwerke­n? Die „Madonna mit den Nelken“ist wieder in London, auch das Haus der Kunst ist viele Leihgaben wieder losgeworde­n. Und die Pinakothek­en werden wieder eigene Werke verleihen für Ausstellun­gen, etwa 2021 in London oder Aachen. Doch ob das klappen wird? Unsicher. „Das bringt die Museen weiter in wirtschaft­liche Not“, sagt Museumsbun­d-präsident Köhne. Zudem fürchtet er den Rotstift, wenn Staat und Kommunen nach Sparmöglic­hkeiten suchen. „Wir plädieren sehr dafür, wenn es ans Sparen geht, nicht die Kultur leiden zu lassen. Mit Einsparung­en bei der Kultur saniert man keine Haushalte.“

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Archiv-foto: Ingo Wagner, dpa Spezialist­en für Kunsttrans­porte verpacken in den Museen Böttcherst­raße in Bremen ein Gemälde. Wenn Kunstwerke zu Ausstellun­gen reisen, ist das ein heikles Geschäft.

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