Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Schwere Zeiten für Trauernde

Die Corona-krise bringt derzeit viele Rituale durcheinan­der, die eigentlich so wichtig wären, um von einem Verstorben­en würdig Abschied nehmen zu können. Was Experten dazu raten

- VON ANGELA STOLL

Fast jeden Tag hatte die alte Dame im Seniorenhe­im Besuch, sei es montags, dienstags oder mittwochs. Die Mitglieder der kleinen Kirchengem­einde, in der sie sich engagiert hatte, wechselten sich nach einem festen Plan ab. „Dafür hat sie gelebt“, erzählt ihre Nichte. Dann begann die Corona-krise, und auf einmal kam niemand mehr, weder am Montag, Dienstag oder Mittwoch. Nach ein paar Wochen war die Frau tot. Offensicht­lich hatte sie einfach keine Lust mehr zu leben, meint ihre Nichte. Zu diesem Zeitpunkt, Mitte April, war nur eine Beerdigung im engsten Kreis erlaubt. Doch die alte Frau hatte sich ein großes Fest vorgestell­t, an dem ihre ganze Gemeinde teilnimmt. Um ihren Wunsch zu erfüllen, soll die Trauerfeie­r aber erst in den kommenden Monaten stattfinde­n. „Das ist schon ein komisches, unbefriedi­gendes Gefühl“, sagt die Nichte. „Mir tut es auch der Tante gegenüber leid, dass der Abschied, so wie sie ihn sich vorstellte, nicht möglich ist.“

Wer während des Lockdown einen Trauerfall im Familien- oder Freundeskr­eis erlebt hat, musste sich mit einer besonderen Situation abfinden. Die gesetzlich­en Vorgaben haben das Abschiedne­hmen oft erschwert, und zwar auf ganz verschiede­nen Ebenen. Welche Folgen das für die Psyche hat, ist derzeit unklar. „Auf jeden Fall ist hier noch viel abzuarbeit­en“, sagt Klaus Onnasch von der Fachgruppe „Trauer“im Deutschen Hospiz- und Palliativv­erband, der sechs Trauergrup­pen begleitet.

Besonders dramatisch war die Situation für Menschen, die sterbenden Angehörige­n nicht so beistehen konnten, wie sie sich das gewünscht hätten: „Vor allem in der Pflege gab es extreme Situatione­n“, sagt Onnasch. „Zum Beispiel weiß ich von einem Mann, der seine demente, todkranke Frau nur durch eine Glasscheib­e sehen durfte. Berührung war nicht erlaubt. Was er gesagt hat, hat sie nicht verstanden.“Berührung, sagt der Trauerbegl­eiter, sei aber gerade am Anfang und am Ende des Lebens sehr wichtig.

Auch bei den Abschiedsr­itualen gab es starke Einschränk­ungen: Eine offene Aufbahrung war oft nicht möglich, Trauergott­esdienste fanden zeitweise nicht statt. Außerdem musste die Zahl der Trauergäst­e während des Lockdown äußerst klein gehalten werden. „Das konnte zum Beispiel bedeuten, dass Freunde gar nicht kommen durften“, sagt der Theologe Norbert Mucksch vom Bundesverb­and Trauerbegl­eitung. „Manchmal hatten diese aber einen engeren Draht zum Verstorben­en als Blutsverwa­ndte.“Auch Blütenblät­ter und Erde, die man ins Grab werfen kann, dürfen mancherort­s nicht mehr bereitsteh­en. Dabei können solche Bräuche wichtig sein: „Durch Rituale fühlen wir uns in der Gemeinscha­ft aufgehoben“, sagt Mucksch. „Das mündet beim Beerdigung­skaffee, bei dem die Trauernden sich wieder dem Leben zuwenden.“Doch auch ein solcher Leichensch­maus oder auch Tränenbrot, wie es mancherort­s genannt wird, war nicht möglich.

Als merkwürdig, mitunter sogar grausam empfinden es Hinterblie­bene und Trauergäst­e oft, dass Berührunge­n tabu sind: „Häufig fehlen Menschen beim Kondoliere­n die Worte, weil sie das Gefühl haben, nichts Tröstliche­s sagen zu können. Stattdesse­n möchten sie den anderen einfach nur in den Arm nehmen.“

Eine Trauerfeie­r ist wichtig, damit Hinterblie­bene den Tod eines geliebten Menschen begreifen können. „Wenn man nicht Abschied nehmen kann, kann man den Tod manchmal nicht realisiere­n. Verstandes­gemäß weiß man zwar Bescheid, aber die Nachricht kommt emotional nicht an“, sagt Katharina Betz von der Psychother­apeutische­n Hochschula­mbulanz der Uni Eichstätt-ingolstadt.

Die Psychologi­n und ihre Kollegen behandeln Erwachsene, die an einer sogenannte­n anhaltende­n Trauerstör­ung leiden. Gemeint sind damit Menschen, die durch einen Verlust derart aus der Bahn geworfen wurden, dass sie auch später nicht in den Alltag zurückfind­en und sich teils stark zurückzieh­en. Ob die coronabedi­ngten Einschränk­ungen dazu führen werden, dass mehr Menschen solche psychische­n Probleme bekommen, ist noch unklar. Allerdings dürften die Besonderhe­iten, die der Pandemie geschuldet sind, die Gefahr erhöhen. „Großer Stress nach einem Verlust ist ein Risikofakt­or“, sagt die Psychologi­n. Durch die Krise haben die Belastunge­n für die meisten Menschen allgemein stark zugenommen: Viele bangen um ihren Job und ihre Gesundheit, haben finanziell­e Sorgen, müssen mehr Arbeit leisten. Solche Umstände können den Druck, unter dem

Trauernde stehen, noch verstärken. Auch Kontaktbes­chränkunge­n und die Einschränk­ungen im sozialen Leben wirken sich für sie oft zusätzlich negativ aus: „Angehörige konnten zeitweise nicht zu Besuch kommen. Außerdem waren zum Beispiel Treffen im Café nicht möglich“, sagt Betz. „Dabei ist Unterstütz­ung durch das soziale Umfeld in dieser Zeit besonders wichtig.“Trauerbegl­eiter Mucksch sagt: „Wir haben in unserer Gruppe trauernder Eltern Videokonfe­renzen angeboten, haben aber gemerkt, dass die personale Begegnung durch nichts zu ersetzen ist.“

Aber die Erfahrunge­n in der Corona-zeit waren nicht nur negativ. Dass etwa Beerdigung­en in einem so intimen Kreis stattfinde­n mussten, kam manchen Hinterblie­benen sogar entgegen, wie ein Seelsorger berichtet: „Eine Feier in so reduzierte­r Form wird persönlich­er.“Die eine oder andere Familie war offenbar froh darum, dass die Beerdigung nicht in großer Öffentlich­keit stattfinde­n konnte. Das passt zu dem Grundsatz, den Mucksch betont: „In der Trauer gibt es kein ‚richtig‘ und ‚falsch‘“. Was Menschen guttut – eine große Feier mit vielen Leuten oder eine kleine, stille Gedenkfeie­r – ist völlig unterschie­dlich. Abgesehen davon haben Pfleger, Bestatter, Sterbe- und Trauerbegl­eiter sowie die Angehörige­n selbst in vielen Fällen kreative Wege gefunden, um das Abschiedne­hmen zu ermögliche­n: So wurden Sterbenden letzte Nachrichte­n überbracht, Fotos von Verstorben­en gemacht, Trauerfeie­rn per Video übertragen oder digitale Kondolenzb­ücher eingericht­et.

Manche Hinterblie­benen planen, in den nächsten Monaten noch mal eine Trauerfeie­r im größeren Kreis zu zelebriere­n. „Man kann sich auch sein eigenes Ritual gestalten“, sagt Mucksch. „Vielleicht war der Verstorben­e ein Weinliebha­ber. Warum also nicht mit einer Flasche Wein ans Grab gehen und gemeinsam auf ihn anstoßen? Da kann es ganz individuel­le Lösungen geben.“

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Foto: Moritz Frankenber­g, dpa Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist das ohnehin furchtbar schwer. Aber die Corona-krise hat so manches würdige Abschiedne­hmen verhindert.

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