Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein versandetes Vergnügen
Warum Strandburgen an den deutschen Küsten rar geworden sind
Borkum/binz Früher gehörte es zum Strandurlaub dazu wie ein Sonnenbrand: Kaum war die Strandkorbmiete bezahlt, griffen die Väter zur Schaufel. Die nächste Zeit waren sie damit beschäftigt, um das Stranddomizil einen Wall aufzuschütten. Die Kinder gingen auf die Suche nach Muscheln oder Steinchen, um damit auf die Strandburg den Namen der Heimatstadt zu legen.
Und heute? „Vorbei die Zeiten, als ungebändigter Schaffensdrang ausgedehnte Strandabschnitte an Nord- und Ostsee in Kraterlandschaften ähnlich der Mondoberfläche verwandeln durfte.“So schreibt es der Kunsthistoriker Harald Kimpel bereits 1995 in dem Buch „Die Strandburg. Ein versandetes Freizeitvergnügen“,
das er mit Johanna Werckmeister verfasst hat.
Ende des 19. Jahrhunderts dominierte die bürgerliche Familie die Badeorte. „Das heißt, die Väter waren dabei“, sagt der Historiker und Soziologe Hasso Spode, Leiter des Historischen Archivs für Tourismus an der Technischen Universität Berlin. „Und denen war stinklangweilig.“Eine Möglichkeit, dem Nichtstun zu entgehen, war das Burgenbauen. „Da wurde der Patriarch zum buddelnden Knaben.“
Diese Art der Beschäftigung sei gefeiert worden, Strandburgen seien von den Badeorten prämiert worden. „Bis in die 1960er Jahre hinein war das üblich“, sagt Spode. Das Bauen von Strandburgen sei ein typisch deutsches Phänomen, erläutert denn auch Kunsthistoriker Kimpel. „Wenn man irgendwo auf der Welt eine Strandburg sieht, kann man sicher sein, Deutsche darin zu finden.“
Dass das Strandburgenbauen inzwischen „ein versandetes Freizeitvergnügen“
sei, habe mit vielen Gründen zu tun, sagt Kimpel. Kommerzielle Aspekte spielten etwa eine Rolle: „Weil die Strandbelegung vielleicht nicht mehr so dicht sein kann, wie man es aus wirtschaftlichen Gründen vielleicht gerne hätte.“Und: „Es hat einen Mentalitätswandel gegeben. Dass man nicht mehr selbst Hand anlegt, sondern sich animieren lässt.“Einen weiteren Aspekt führt Spode ins Feld: Die 68er, „die alles schrecklich fanden, was mit Deutschland zu tun hatte“. Das Burgenbauen sei umgedreht worden „zu einem Zeichen verklemmten Nationalcharakters. Und dieser Spießigkeitsvorwurf hat dann dazu geführt, dass in den 70er Jahren ein allmähliches Verschwinden dieser Sitte einsetzt.“Ab den 90er Jahren sind die Ringwälle am Strand vielerorts gänzlich unüblich. Während das Burgenbauen etwa auf Sylt aus Gründen des Küstenschutzes ganzjährig verboten ist, ist es auf Borkum zwar erlaubt, aber es wird nicht gern gesehen. Der Vorsitzende des Borkumer Strandzeltvermietervereins, Thomas Schneider, befürchtet etwa, dass der Sand aufgelockert und dadurch schneller abgetragen wird. Die Wälle könnten zur Gefahrenquellen werden, weil man darüber stolpern könne. Vielleicht erlebt die Strandburg in diesem Corona-sommer aber dennoch eine Mini-renaissance: als Abstandshalter zum Nachbarn am Strand.