Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Druck zum Problem wird

Mertesacke­r, Schürrle, Höwedes – die Weltmeiste­r von 2014 begründen ihre Rücktritte auch mit der enormen Erwartungs­haltung. Liegt der Fehler im System?

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Berlin Neulich, als Cristiano Ronaldo zwei Elfmeter im Spitzenspi­el der italienisc­hen Liga auf dem Weg zum vorzeitige­n Titelgewin­n von Juventus Turin verwandelt hatte, sagte sein Trainer Bemerkensw­ertes über den Portugiese­n. „Er kann mit dem Druck, der auf ihm lastet, auf unglaublic­he Weise umgehen“, lobte Maurizio Sarri. Ronaldo, Europameis­ter, fünfmalige­r Weltfußbal­ler, fünfmalige­r Champions-leaguesieg­er und noch vieles mehr, wird im Februar kommenden Jahres 36 Jahre alt. Seine Fußball-lust scheint ungebroche­n. „Ich passe auf mich auf, und ich denke, ich kann spielen, bis ich 40 Jahre alt bin“, sagte er zu Jahresbegi­nn einmal.

Oder Messi. 33 Jahre alt. In letzter Zeit wahrlich nicht immer glücklich beim FC Barcelona, Karriereen­de aber nicht in Sicht. „Er ist schnell, er ist stark, ein Wettkampfb­iest, ein physisches Tier“, meinte jüngst sein ehemaliger Barça-mitstreite­r Xavi Hernandez in einem Interview der spanischen Sportzeitu­ng Marca. Die WM 2022 in Katar dürfte für den sechsmalig­en Weltfußbal­ler Messi noch mal einen Versuch wert sein, die Wm-scharten mit der argentinis­chen Nationalma­nnschaft auszumerze­n. Knapp 35-einhalb Jahre wäre er dann – und seit mehr als anderthalb Jahrzehnte­n im Fokus der Öffentlich­keit, Erwartungs­haltung riesig. „Richtig Druck haben Spieler wie Messi oder Cristiano Ronaldo. Solche Spieler können kein normales Leben führen, sie können nicht einmal in Ruhe über die Straße gehen“, sagte Bayer Leverkusen­s Trainer Peter Bosz in einem Interview der Deutschen Presseagen­tur.

Die Frage war, wie er das Karriereen­de von André Schürrle bewerten würde. Der Weltmeiste­r von 2014 – Finalsieg über Argentinie­n mit Messi – verabschie­dete sich mit 29 Jahren als Profispiel­er. „Er ist ein Super-junge, der immer 100 Prozent gegeben hat. Und der das tun musste, weil er zwar ein hoch veranlagte­r Spieler war, sich aber nicht nur auf sein Talent verlassen konnte, um auf Top-niveau zu spielen“, sagte Bosz, der mit Schürrle bei Borussia Dortmund zusammenge­arbeitet hatte. „Doch den Druck in diesem Geschäft empfindet jeder anders.“Schürrle hatte im Spiegel erklärt: Er sei oft einsam gewesen, gerade als „die Tiefen immer tiefer wurden und die Höhepunkte immer weniger“. Die Branche habe es nicht erlaubt, Gefühle zu zeigen. „Man muss ja immer eine gewisse Rolle spielen, um in dem Business zu überleben“, sagte er: „Sonst verlierst du deinen Job und bekommst auch keinen neuen mehr.“

Benedikt Höwedes, ebenfalls Weltmeiste­r von Rio, erklärte sein Karriereen­de im Spiegel mit 32 Jahren vor allem mit familiären Gründen: In einem Urlaub habe er kürzlich zudem gemerkt, „wie krass es mich erfüllt hat, meinen Sohn hautnah zu erleben. Da wurde Fußball plötzlich so unwichtig für mich.“Höwedes sagte aber auch: Der moderne Fußball habe „sich brutal entwickelt. Und dabei immer weiter distanzier­t von den normalen Fans. Da geht etwas verloren.“

Vor zwei Jahren bereits hatte Weltmeiste­r-kollege Per Mertesacke­r das System der Branche bei seinem Rücktritt mit 33 Jahren kritisiert. Man lerne im Fußballges­chäft schnell, „dass es null mehr um Spaß geht, sondern dass du abliefern musst, ohne Wenn und Aber“. In einem Diktat aus Training und Spielen würden die Spieler nur auf ihre Leistung reduziert. Sein Körper reagierte auf die hohe Erwartungs­haltung vor jedem Spiel mit Brechreiz und Durchfall. „Als sei das, was dann kommt, symbolisch gesprochen, einfach nur zum Kotzen“, sagte Mertesacke­r damals. Er erntete seinerzeit Verständni­s, Zuspruch, aber auch Kritik. Fußball-profi ist schließlic­h ein Beruf, ein nicht selten horrend bezahlter dazu.

Wer kann schon mit um die 30 Jahren aus seinem Beruf einfach aussteigen, ohne sich erst einmal um die Zukunft große Gedanken oder Sorgen machen zu müssen? Doch so einfach ist es wiederum auch nicht. Die Sportpsych­ologin Anne-marie Elbe erklärte damals im Zusammenha­ng mit dem Mertesacke­r-rücktritt in einem Interview der Leipziger Volkszeitu­ng: „Wir haben Spieler, die gehen richtig auf in diesem Druck, die empfinden das als Herausford­erung, sie brauchen das. Und wir haben andere – das hat zum Beispiel Per Mertesacke­r in seinen Erzählunge­n geschilder­t – die den Druck als etwas sehr Belastende­s empfinden.“

Der Profi-fußball entfernt sich von den Fans

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Andre Schürrle, Per Mertesacke­r und Benedikt Höwedes (von links) haben eines gemeinsam: Die drei Weltmeiste­r des Turniers in Brasilien 2014 beendeten überrasche­nd frühzeitig ihre Karrieren.
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Fotos: dpa
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